Dies und noch manches der Art rief eine Sehnsucht in mir wach, Teupitz zu sehen, das Ideal der Armuth, von dem ich in Büchern nur fand, daß es vor hundert Jahren 258 und vor fünfzig Jahren 372 Einwohner gehabt habe, daß das Personal der Gesundheitspflege (wörtlich) "auf eine Hebamme beschränkt sei", und daß der Ertrag seiner Aecker 11/4 Sgr. pro Morgen betrage. Angedeutet hab' ich übrigens schon, und es sei hier eigens noch wiederholt, daß ich die Dinge doch anders fand, als ich nach diesen Schilderungen erwarten mußte. Wie es Familien giebt, die, trotzdem sie längst leidlich wohlhabend geworden sind, den guten und ihnen bequemen Ruf der Armuth durch eine gewisse Passivität geschickt aufrecht zu erhalten wissen, so auch die Teu- pitzer. Solche vielbedauerten "kleinen Leute" leben glücklich-ange- nehme Tage, und unbedrückt von den Mühsalen der Gastlichkeit oder der Repräsentation, lächeln sie still und vergnügt in sich hinein, wenn sie dem lieben, alten Satze begegnen, daß "geben seliger sei denn nehmen".
Um 12 Uhr Nachts geht oder ging wenigstens die Post, die die Verbindung zwischen Teupitz und Zossen und dadurch mit der Welt überhaupt unterhielt. Zossen ist der Paß für Teupitz: "es führt kein andrer Weg nach Küßnacht hin".
Während der ersten anderthalb Meilen haben wir noch Chaussee, deren Pappeln, soviel die Mitternacht eine Musterung gestattet, nicht anders aussehen als andern Orts, und erst bei Morgengrauen biegen wir nach links hin in die tiefen Sandgeleise der recht eigent- lichen Teupitzer Gegend ein. Es ist ein ausgesprochenes Haideland, mehr oder weniger unsern Wedding-Parthien verwandt, wie sie vor hundert oder auch noch vor fünfzig Jahren waren. Selbst die Namen klingen ähnlich: "Sandkrug, Spiesberg" und "der hungrige Wolf". Immer dieselben alten und wohlbekannten Elemente: See und Sand und Kiefer und Kussel; aber so gleichartig die Dinge selber sind, so apart ist doch ihre Gruppirung in dieser Teupitzer Ge- gend. Die Kiefer, groß und klein, tritt nirgends in geschlossenen Massen auf, nicht en colonne steht sie da, sondern aufgelöst in Schützenlinien. Und die Dämmerung unterstützt diese Vorstellung eines Heerlagers. Auf der Kuppe drüben stehen drei Vedetten und lugen aus, am Abhang lagert eine Feldwacht und eine lange
Dies und noch manches der Art rief eine Sehnſucht in mir wach, Teupitz zu ſehen, das Ideal der Armuth, von dem ich in Büchern nur fand, daß es vor hundert Jahren 258 und vor fünfzig Jahren 372 Einwohner gehabt habe, daß das Perſonal der Geſundheitspflege (wörtlich) „auf eine Hebamme beſchränkt ſei“, und daß der Ertrag ſeiner Aecker 1¼ Sgr. pro Morgen betrage. Angedeutet hab’ ich übrigens ſchon, und es ſei hier eigens noch wiederholt, daß ich die Dinge doch anders fand, als ich nach dieſen Schilderungen erwarten mußte. Wie es Familien giebt, die, trotzdem ſie längſt leidlich wohlhabend geworden ſind, den guten und ihnen bequemen Ruf der Armuth durch eine gewiſſe Paſſivität geſchickt aufrecht zu erhalten wiſſen, ſo auch die Teu- pitzer. Solche vielbedauerten „kleinen Leute“ leben glücklich-ange- nehme Tage, und unbedrückt von den Mühſalen der Gaſtlichkeit oder der Repräſentation, lächeln ſie ſtill und vergnügt in ſich hinein, wenn ſie dem lieben, alten Satze begegnen, daß „geben ſeliger ſei denn nehmen“.
Um 12 Uhr Nachts geht oder ging wenigſtens die Poſt, die die Verbindung zwiſchen Teupitz und Zoſſen und dadurch mit der Welt überhaupt unterhielt. Zoſſen iſt der Paß für Teupitz: „es führt kein andrer Weg nach Küßnacht hin“.
Während der erſten anderthalb Meilen haben wir noch Chauſſee, deren Pappeln, ſoviel die Mitternacht eine Muſterung geſtattet, nicht anders ausſehen als andern Orts, und erſt bei Morgengrauen biegen wir nach links hin in die tiefen Sandgeleiſe der recht eigent- lichen Teupitzer Gegend ein. Es iſt ein ausgeſprochenes Haideland, mehr oder weniger unſern Wedding-Parthien verwandt, wie ſie vor hundert oder auch noch vor fünfzig Jahren waren. Selbſt die Namen klingen ähnlich: „Sandkrug, Spiesberg“ und „der hungrige Wolf“. Immer dieſelben alten und wohlbekannten Elemente: See und Sand und Kiefer und Kuſſel; aber ſo gleichartig die Dinge ſelber ſind, ſo apart iſt doch ihre Gruppirung in dieſer Teupitzer Ge- gend. Die Kiefer, groß und klein, tritt nirgends in geſchloſſenen Maſſen auf, nicht en colonne ſteht ſie da, ſondern aufgelöſt in Schützenlinien. Und die Dämmerung unterſtützt dieſe Vorſtellung eines Heerlagers. Auf der Kuppe drüben ſtehen drei Vedetten und lugen aus, am Abhang lagert eine Feldwacht und eine lange
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Dies und noch manches der Art rief eine Sehnſucht in mir
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Büchern nur fand, daß es vor hundert Jahren 258 und vor
fünfzig Jahren 372 Einwohner gehabt habe, daß das Perſonal
der Geſundheitspflege (wörtlich) „auf eine Hebamme beſchränkt
ſei“, und daß der Ertrag ſeiner Aecker 1¼ Sgr. pro Morgen
betrage. Angedeutet hab’ ich übrigens ſchon, und es ſei hier eigens
noch wiederholt, daß ich die Dinge doch anders fand, als ich nach
dieſen Schilderungen erwarten mußte. Wie es Familien giebt, die,
trotzdem ſie längſt leidlich wohlhabend geworden ſind, den guten
und ihnen bequemen Ruf der Armuth durch eine gewiſſe
Paſſivität geſchickt aufrecht zu erhalten wiſſen, ſo auch die Teu-
pitzer. Solche vielbedauerten „kleinen Leute“ leben glücklich-ange-
nehme Tage, und unbedrückt von den Mühſalen der Gaſtlichkeit
oder der Repräſentation, lächeln ſie ſtill und vergnügt in ſich
hinein, wenn ſie dem lieben, alten Satze begegnen, daß „geben ſeliger
ſei denn nehmen“.
Um 12 Uhr Nachts geht oder ging wenigſtens die Poſt, die
die Verbindung zwiſchen Teupitz und Zoſſen und dadurch mit der
Welt überhaupt unterhielt. Zoſſen iſt der Paß für Teupitz: „es
führt kein andrer Weg nach Küßnacht hin“.
Während der erſten anderthalb Meilen haben wir noch Chauſſee,
deren Pappeln, ſoviel die Mitternacht eine Muſterung geſtattet,
nicht anders ausſehen als andern Orts, und erſt bei Morgengrauen
biegen wir nach links hin in die tiefen Sandgeleiſe der recht eigent-
lichen Teupitzer Gegend ein. Es iſt ein ausgeſprochenes Haideland,
mehr oder weniger unſern Wedding-Parthien verwandt, wie ſie
vor hundert oder auch noch vor fünfzig Jahren waren. Selbſt die
Namen klingen ähnlich: „Sandkrug, Spiesberg“ und „der hungrige
Wolf“. Immer dieſelben alten und wohlbekannten Elemente: See
und Sand und Kiefer und Kuſſel; aber ſo gleichartig die Dinge
ſelber ſind, ſo apart iſt doch ihre Gruppirung in dieſer Teupitzer Ge-
gend. Die Kiefer, groß und klein, tritt nirgends in geſchloſſenen
Maſſen auf, nicht en colonne ſteht ſie da, ſondern aufgelöſt in
Schützenlinien. Und die Dämmerung unterſtützt dieſe Vorſtellung
eines Heerlagers. Auf der Kuppe drüben ſtehen drei Vedetten
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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