war, das an jedem Eck einen Rundthurm und zwischen diesen vier Rundthürmen -- und zugleich über sie hinauswachsend -- ebenso viele mit den zierlichsten Rosetten geschmückte Giebel trug.
Aus dem 13. Jahrhundert stammt die Mittenwalder Probstei- oder St. Moritz-Kirche. Die Kreuzgewölbe sind später. Man sieht deutlich, wie die mächtigen alten Pfeiler in bestimmter Höhe weg- gebrochen und die alten Tonnengewölbe durch neue, von eleganterer Construktion ersetzt wurden. Um vieles moderner ist der Thurm, dem übrigens mit Rücksicht auf das Jahr seiner Entstehung (1781) alles mögliche Lob gespendet werden muß. Er paßt nicht zur Kirche, nimmt sich aber nichtsdestoweniger gut genug aus. Aehn- lich wie die schweren alten Steinpfeiler, die jetzt die Kreuzgewölbe tragen, unverändert dieselben geblieben sind, hat auch der Bau- meister von 1781 die früheren Thurmwände bis zu bestimmter Höhe hin als Unterbau fortbestehen lassen. Dadurch ist etwas ziemlich Stilloses, aber nichtsdestoweniger etwas Anziehendes und Malerisches entstanden. Die sich verjüngenden Etagen erheben sich auf dem mächtigen alten Feldsteinfundamente nach Art einer Statue auf ihrem Piedestal, und die Hagerosen und Hollunderbüsche, die zu Füßen dieses aufgesetzten Thurmes auf der Plattform des Unter- baues blühn, erfreuen und fesseln den Blick.
Und nun treten wir in das Innere der Kirche, die reich ist an Bildern und Grabsteinen und noch reicher an Erinnerungen. An den Wänden ziehen sich, chorstuhlartig, 45 Kirchenstühle der alten Gewerks- und Innungsmeister hin, jeder einzelne Stuhl an seiner Rückenlehne mit den Gewerks-Emblemen geschmückt. Vor dem Altare liegen die Grabsteine von Burgemeister und Rath, der Altar selbst aber, ein Schnitzwerk aus katholischer Zeit und mit Bildern auf der Kehrseite seiner Thüren, ist muthmaßlich ein Ge- schenk, das von Kurfürst Joachim I. der Mittenwalder Kirche ge- macht wurde. Zwischen Altarwand und Altartisch, auf schmalem Raume, begegnen wir noch einem Christuskopf auf dem Schweiß- tuche der heiligen Veronica, die Theilnahme jedoch die wir diesem Bilde zuwenden, erlischt vor dem größeren Interesse mit dem wir eines Portraits ansichtig werden, das vom Seitenschiffe her
Fontane, Wanderungen. IV. 18
war, das an jedem Eck einen Rundthurm und zwiſchen dieſen vier Rundthürmen — und zugleich über ſie hinauswachſend — ebenſo viele mit den zierlichſten Roſetten geſchmückte Giebel trug.
Aus dem 13. Jahrhundert ſtammt die Mittenwalder Probſtei- oder St. Moritz-Kirche. Die Kreuzgewölbe ſind ſpäter. Man ſieht deutlich, wie die mächtigen alten Pfeiler in beſtimmter Höhe weg- gebrochen und die alten Tonnengewölbe durch neue, von eleganterer Conſtruktion erſetzt wurden. Um vieles moderner iſt der Thurm, dem übrigens mit Rückſicht auf das Jahr ſeiner Entſtehung (1781) alles mögliche Lob geſpendet werden muß. Er paßt nicht zur Kirche, nimmt ſich aber nichtsdeſtoweniger gut genug aus. Aehn- lich wie die ſchweren alten Steinpfeiler, die jetzt die Kreuzgewölbe tragen, unverändert dieſelben geblieben ſind, hat auch der Bau- meiſter von 1781 die früheren Thurmwände bis zu beſtimmter Höhe hin als Unterbau fortbeſtehen laſſen. Dadurch iſt etwas ziemlich Stilloſes, aber nichtsdeſtoweniger etwas Anziehendes und Maleriſches entſtanden. Die ſich verjüngenden Etagen erheben ſich auf dem mächtigen alten Feldſteinfundamente nach Art einer Statue auf ihrem Piedeſtal, und die Hageroſen und Hollunderbüſche, die zu Füßen dieſes aufgeſetzten Thurmes auf der Plattform des Unter- baues blühn, erfreuen und feſſeln den Blick.
Und nun treten wir in das Innere der Kirche, die reich iſt an Bildern und Grabſteinen und noch reicher an Erinnerungen. An den Wänden ziehen ſich, chorſtuhlartig, 45 Kirchenſtühle der alten Gewerks- und Innungsmeiſter hin, jeder einzelne Stuhl an ſeiner Rückenlehne mit den Gewerks-Emblemen geſchmückt. Vor dem Altare liegen die Grabſteine von Burgemeiſter und Rath, der Altar ſelbſt aber, ein Schnitzwerk aus katholiſcher Zeit und mit Bildern auf der Kehrſeite ſeiner Thüren, iſt muthmaßlich ein Ge- ſchenk, das von Kurfürſt Joachim I. der Mittenwalder Kirche ge- macht wurde. Zwiſchen Altarwand und Altartiſch, auf ſchmalem Raume, begegnen wir noch einem Chriſtuskopf auf dem Schweiß- tuche der heiligen Veronica, die Theilnahme jedoch die wir dieſem Bilde zuwenden, erliſcht vor dem größeren Intereſſe mit dem wir eines Portraits anſichtig werden, das vom Seitenſchiffe her
Fontane, Wanderungen. IV. 18
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war, das an jedem Eck einen Rundthurm und zwiſchen dieſen vier
Rundthürmen — und zugleich über ſie hinauswachſend — ebenſo
viele mit den zierlichſten Roſetten geſchmückte Giebel trug.
Aus dem 13. Jahrhundert ſtammt die Mittenwalder Probſtei-
oder St. Moritz-Kirche. Die Kreuzgewölbe ſind ſpäter. Man ſieht
deutlich, wie die mächtigen alten Pfeiler in beſtimmter Höhe weg-
gebrochen und die alten Tonnengewölbe durch neue, von eleganterer
Conſtruktion erſetzt wurden. Um vieles moderner iſt der Thurm,
dem übrigens mit Rückſicht auf das Jahr ſeiner Entſtehung (1781)
alles mögliche Lob geſpendet werden muß. Er paßt nicht zur
Kirche, nimmt ſich aber nichtsdeſtoweniger gut genug aus. Aehn-
lich wie die ſchweren alten Steinpfeiler, die jetzt die Kreuzgewölbe
tragen, unverändert dieſelben geblieben ſind, hat auch der Bau-
meiſter von 1781 die früheren Thurmwände bis zu beſtimmter
Höhe hin als Unterbau fortbeſtehen laſſen. Dadurch iſt etwas
ziemlich Stilloſes, aber nichtsdeſtoweniger etwas Anziehendes und
Maleriſches entſtanden. Die ſich verjüngenden Etagen erheben ſich
auf dem mächtigen alten Feldſteinfundamente nach Art einer Statue
auf ihrem Piedeſtal, und die Hageroſen und Hollunderbüſche, die
zu Füßen dieſes aufgeſetzten Thurmes auf der Plattform des Unter-
baues blühn, erfreuen und feſſeln den Blick.
Und nun treten wir in das Innere der Kirche, die reich iſt
an Bildern und Grabſteinen und noch reicher an Erinnerungen.
An den Wänden ziehen ſich, chorſtuhlartig, 45 Kirchenſtühle der
alten Gewerks- und Innungsmeiſter hin, jeder einzelne Stuhl an
ſeiner Rückenlehne mit den Gewerks-Emblemen geſchmückt. Vor
dem Altare liegen die Grabſteine von Burgemeiſter und Rath, der
Altar ſelbſt aber, ein Schnitzwerk aus katholiſcher Zeit und mit
Bildern auf der Kehrſeite ſeiner Thüren, iſt muthmaßlich ein Ge-
ſchenk, das von Kurfürſt Joachim I. der Mittenwalder Kirche ge-
macht wurde. Zwiſchen Altarwand und Altartiſch, auf ſchmalem
Raume, begegnen wir noch einem Chriſtuskopf auf dem Schweiß-
tuche der heiligen Veronica, die Theilnahme jedoch die wir dieſem
Bilde zuwenden, erliſcht vor dem größeren Intereſſe mit dem
wir eines Portraits anſichtig werden, das vom Seitenſchiffe her
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/289>, abgerufen am 22.11.2024.
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