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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Paul Gerhardt, wie schon hervorgehoben, war sechs Jahre
lang Probst an der Mittenwalder Kirche und es ist höchst wahr-
scheinlich, daß einige der schönsten Lieder, die wir diesem volks-
thümlichsten unsrer geistlichen Liederdichter verdanken, während
seines Mittenwalder Aufenthaltes, in Leid und Freud' des Hauses
und des Amtes gedichtet wurden.

Begleiten wir ihn auf seinem Ein- und Ausgang.

Paul Gerhardt kam spät in's Amt. Er war bereits 46 Jahr
alt, als die Kirchenvorstände von Mittenwalde, wo der Propst
Goede eben gestorben war, sich an das Ministerium der St. Nicolai-
kirche zu Berlin wandten mit dem Ersuchen, einen geeigneten Mann
für die Mittenwalder Probstei-Kirche in Vorschlag zu bringen.
Die Kirchenbehörden von St. Nicolai waren schnell entschieden;
sie kannten Paul Gerhardt, der seit einer Reihe von Jahren als
Lehrer und Erzieher im Hause des Kammergerichts-Advokaten
Andreas Berthold thätig war und durch Lieder und Vorträge längst
die Aufmerksamkeit aller Kirchlichen auf sich gezogen hatte. Diesen
empfahlen sie. Nach zwanzigjährigem Harren sah sich Paul Ger-
hardt am Ziele seiner innigsten Sehnsucht und mit dem Dankes-
lied: "Auf den Nebel folgt die Sonn', Auf das Trauern Freud'
und Wonn'," empfing er die Vocation und trat mit dem neuen
Kirchenjahr 1651 in's Amt.

Freudig begann er es und voll guten Muths all der Gegner-
schaften und Widerwärtigkeiten Herr zu werden, an denen es von
Anfang an nicht ermangelte. Neid, verletztes Interesse, gekränkte
Eigenliebe -- der seit Jahren an der Mittenwalder Kirche predigende
Diaconus Allborn hatte darauf gerechnet Propst zu werden --
erschwerten ihm Amt und Leben, aber wenn er dann Abends
an dem offenen Hinterfenster seiner Arbeitsstube saß und über
die Stadtmauer hinweg in die dunkler werdenden Felder blickte,
während von der Probstei-Kirche her der Abend eingeläutet und
eine alte Volksweise vom Thurm geblasen wurde, dann ward ihm
das Herz weit, und den Athem Gottes lebendiger fühlend, kam
ihm selber ein Lied und mit dem Liede Glück und Erhebung. Es
war die Volksweise: "Innsbruck, ich muß Dich lassen," die vom
Thurm herab allabendlich erklang, dieselbe alte Weise, von der
Sebastian Bach später zu sagen pflegte: "er gäb' all seine Werke

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Paul Gerhardt, wie ſchon hervorgehoben, war ſechs Jahre
lang Probſt an der Mittenwalder Kirche und es iſt höchſt wahr-
ſcheinlich, daß einige der ſchönſten Lieder, die wir dieſem volks-
thümlichſten unſrer geiſtlichen Liederdichter verdanken, während
ſeines Mittenwalder Aufenthaltes, in Leid und Freud’ des Hauſes
und des Amtes gedichtet wurden.

Begleiten wir ihn auf ſeinem Ein- und Ausgang.

Paul Gerhardt kam ſpät in’s Amt. Er war bereits 46 Jahr
alt, als die Kirchenvorſtände von Mittenwalde, wo der Propſt
Goede eben geſtorben war, ſich an das Miniſterium der St. Nicolai-
kirche zu Berlin wandten mit dem Erſuchen, einen geeigneten Mann
für die Mittenwalder Probſtei-Kirche in Vorſchlag zu bringen.
Die Kirchenbehörden von St. Nicolai waren ſchnell entſchieden;
ſie kannten Paul Gerhardt, der ſeit einer Reihe von Jahren als
Lehrer und Erzieher im Hauſe des Kammergerichts-Advokaten
Andreas Berthold thätig war und durch Lieder und Vorträge längſt
die Aufmerkſamkeit aller Kirchlichen auf ſich gezogen hatte. Dieſen
empfahlen ſie. Nach zwanzigjährigem Harren ſah ſich Paul Ger-
hardt am Ziele ſeiner innigſten Sehnſucht und mit dem Dankes-
lied: „Auf den Nebel folgt die Sonn’, Auf das Trauern Freud’
und Wonn’,“ empfing er die Vocation und trat mit dem neuen
Kirchenjahr 1651 in’s Amt.

Freudig begann er es und voll guten Muths all der Gegner-
ſchaften und Widerwärtigkeiten Herr zu werden, an denen es von
Anfang an nicht ermangelte. Neid, verletztes Intereſſe, gekränkte
Eigenliebe — der ſeit Jahren an der Mittenwalder Kirche predigende
Diaconus Allborn hatte darauf gerechnet Propſt zu werden —
erſchwerten ihm Amt und Leben, aber wenn er dann Abends
an dem offenen Hinterfenſter ſeiner Arbeitsſtube ſaß und über
die Stadtmauer hinweg in die dunkler werdenden Felder blickte,
während von der Probſtei-Kirche her der Abend eingeläutet und
eine alte Volksweiſe vom Thurm geblaſen wurde, dann ward ihm
das Herz weit, und den Athem Gottes lebendiger fühlend, kam
ihm ſelber ein Lied und mit dem Liede Glück und Erhebung. Es
war die Volksweiſe: „Innsbruck, ich muß Dich laſſen,“ die vom
Thurm herab allabendlich erklang, dieſelbe alte Weiſe, von der
Sebaſtian Bach ſpäter zu ſagen pflegte: „er gäb’ all ſeine Werke

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[275/0291] Paul Gerhardt, wie ſchon hervorgehoben, war ſechs Jahre lang Probſt an der Mittenwalder Kirche und es iſt höchſt wahr- ſcheinlich, daß einige der ſchönſten Lieder, die wir dieſem volks- thümlichſten unſrer geiſtlichen Liederdichter verdanken, während ſeines Mittenwalder Aufenthaltes, in Leid und Freud’ des Hauſes und des Amtes gedichtet wurden. Begleiten wir ihn auf ſeinem Ein- und Ausgang. Paul Gerhardt kam ſpät in’s Amt. Er war bereits 46 Jahr alt, als die Kirchenvorſtände von Mittenwalde, wo der Propſt Goede eben geſtorben war, ſich an das Miniſterium der St. Nicolai- kirche zu Berlin wandten mit dem Erſuchen, einen geeigneten Mann für die Mittenwalder Probſtei-Kirche in Vorſchlag zu bringen. Die Kirchenbehörden von St. Nicolai waren ſchnell entſchieden; ſie kannten Paul Gerhardt, der ſeit einer Reihe von Jahren als Lehrer und Erzieher im Hauſe des Kammergerichts-Advokaten Andreas Berthold thätig war und durch Lieder und Vorträge längſt die Aufmerkſamkeit aller Kirchlichen auf ſich gezogen hatte. Dieſen empfahlen ſie. Nach zwanzigjährigem Harren ſah ſich Paul Ger- hardt am Ziele ſeiner innigſten Sehnſucht und mit dem Dankes- lied: „Auf den Nebel folgt die Sonn’, Auf das Trauern Freud’ und Wonn’,“ empfing er die Vocation und trat mit dem neuen Kirchenjahr 1651 in’s Amt. Freudig begann er es und voll guten Muths all der Gegner- ſchaften und Widerwärtigkeiten Herr zu werden, an denen es von Anfang an nicht ermangelte. Neid, verletztes Intereſſe, gekränkte Eigenliebe — der ſeit Jahren an der Mittenwalder Kirche predigende Diaconus Allborn hatte darauf gerechnet Propſt zu werden — erſchwerten ihm Amt und Leben, aber wenn er dann Abends an dem offenen Hinterfenſter ſeiner Arbeitsſtube ſaß und über die Stadtmauer hinweg in die dunkler werdenden Felder blickte, während von der Probſtei-Kirche her der Abend eingeläutet und eine alte Volksweiſe vom Thurm geblaſen wurde, dann ward ihm das Herz weit, und den Athem Gottes lebendiger fühlend, kam ihm ſelber ein Lied und mit dem Liede Glück und Erhebung. Es war die Volksweiſe: „Innsbruck, ich muß Dich laſſen,“ die vom Thurm herab allabendlich erklang, dieſelbe alte Weiſe, von der Sebaſtian Bach ſpäter zu ſagen pflegte: „er gäb’ all ſeine Werke 18*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/291>, abgerufen am 22.11.2024.