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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Nirgends ein Verkleinern Anderer, nirgends ein Vordrängen des
eigenen Ich, nirgends ein Verkennen oder wohl gar ein Grollen
über die Fortschritte, die Zeit und Kunst um ihn her gemacht
hatten. Selten mag ein Künstler mit größerer Unbefangenheit
über seine Werke zu Gericht gesessen haben. "Es kann dies Denk-
mal Tauentziens -- so schreibt er selbst -- nicht zu den Kunst-
werken gezählt werden, die als Vorbilder dienen dürfen",
und über die Statue Friedrich's II. in Stettin, die von vielen
Seiten seinen besten Arbeiten zugezählt und über das Rauch'sche
Kolossal-Werk gestellt worden ist, läßt er sich selber in abwehrender
Weise vernehmen: "Ich zähl auch diese Arbeit nicht zu den ge-
lungenen; die Drapirung des Mantels war ein mühseliges Unter-
nehmen." Von den Reliefs am Berliner Münzgebäude sagt er in
heiterer Anspruchslosigkeit: "Wer diese Arbeiten als meine besten
gepriesen hat, mag es vor sich und vor der Welt verantworten."

Solcher Aussprüche finden sich viele. Eine ungeheure Pro-
ductionskraft und eine bis in's späte Alter hinein dem entsprechende
Leichtigkeit des Schaffens machten ihn gleichgültig dagegen, ob
das ein' oder andre seiner Werke verloren ging oder nicht.
Immer das Ganze vor Augen, war er nicht ängstlich bei
jedem Einzelnen auf Ruhm und Unsterblichkeit bedacht, auch
wenn das Einzelne wirklichen Werth besaß. Eine kleine
Anekdote mag das zeigen. Unter den vielen Statuetten, die
in seinem Zimmer auf Consolen und Simsen umherstanden, be-
fanden sich auch die Modell-Figuren zweier Grazien, die er in
grüner Wachsmasse ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus
seiner besten Zeit, kleine Meisterwerke, die mehr als einmal die
Bewunderung eintretender Künstler und Kenner erregt hatten.
Durch eine Unvorsichtigkeit indeß waren während des Winters 1840
beide Figuren in die Nähe des Ofens gestellt worden und hatten,
weil das Wachs an der Oberfläche schmolz, eine wie mit Pickeln
übersäte Haut bekommen. Ein Tausendkünstler aus der Scha-
dow'schen Bekanntschaft erbot sich, mit Hülfe von Naphta oder
Aether, die alte normale Schönheit wiederherzustellen. "Na, na,"
hatte der Alte kopfschüttelnd abgewehrt, sich aber schließlich doch
bestimmen lassen. Leider sehr zur Unzeit, und in einem Zustande
merkwürdiger Schlankheit kehrten nach kaum acht Tagen die Aether-

Nirgends ein Verkleinern Anderer, nirgends ein Vordrängen des
eigenen Ich, nirgends ein Verkennen oder wohl gar ein Grollen
über die Fortſchritte, die Zeit und Kunſt um ihn her gemacht
hatten. Selten mag ein Künſtler mit größerer Unbefangenheit
über ſeine Werke zu Gericht geſeſſen haben. „Es kann dies Denk-
mal Tauentziens — ſo ſchreibt er ſelbſt — nicht zu den Kunſt-
werken gezählt werden, die als Vorbilder dienen dürfen“,
und über die Statue Friedrich’s II. in Stettin, die von vielen
Seiten ſeinen beſten Arbeiten zugezählt und über das Rauch’ſche
Koloſſal-Werk geſtellt worden iſt, läßt er ſich ſelber in abwehrender
Weiſe vernehmen: „Ich zähl auch dieſe Arbeit nicht zu den ge-
lungenen; die Drapirung des Mantels war ein mühſeliges Unter-
nehmen.“ Von den Reliefs am Berliner Münzgebäude ſagt er in
heiterer Anſpruchsloſigkeit: „Wer dieſe Arbeiten als meine beſten
geprieſen hat, mag es vor ſich und vor der Welt verantworten.“

Solcher Ausſprüche finden ſich viele. Eine ungeheure Pro-
ductionskraft und eine bis in’s ſpäte Alter hinein dem entſprechende
Leichtigkeit des Schaffens machten ihn gleichgültig dagegen, ob
das ein’ oder andre ſeiner Werke verloren ging oder nicht.
Immer das Ganze vor Augen, war er nicht ängſtlich bei
jedem Einzelnen auf Ruhm und Unſterblichkeit bedacht, auch
wenn das Einzelne wirklichen Werth beſaß. Eine kleine
Anekdote mag das zeigen. Unter den vielen Statuetten, die
in ſeinem Zimmer auf Conſolen und Simſen umherſtanden, be-
fanden ſich auch die Modell-Figuren zweier Grazien, die er in
grüner Wachsmaſſe ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus
ſeiner beſten Zeit, kleine Meiſterwerke, die mehr als einmal die
Bewunderung eintretender Künſtler und Kenner erregt hatten.
Durch eine Unvorſichtigkeit indeß waren während des Winters 1840
beide Figuren in die Nähe des Ofens geſtellt worden und hatten,
weil das Wachs an der Oberfläche ſchmolz, eine wie mit Pickeln
überſäte Haut bekommen. Ein Tauſendkünſtler aus der Scha-
dow’ſchen Bekanntſchaft erbot ſich, mit Hülfe von Naphta oder
Aether, die alte normale Schönheit wiederherzuſtellen. „Na, na,“
hatte der Alte kopfſchüttelnd abgewehrt, ſich aber ſchließlich doch
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[345/0361] Nirgends ein Verkleinern Anderer, nirgends ein Vordrängen des eigenen Ich, nirgends ein Verkennen oder wohl gar ein Grollen über die Fortſchritte, die Zeit und Kunſt um ihn her gemacht hatten. Selten mag ein Künſtler mit größerer Unbefangenheit über ſeine Werke zu Gericht geſeſſen haben. „Es kann dies Denk- mal Tauentziens — ſo ſchreibt er ſelbſt — nicht zu den Kunſt- werken gezählt werden, die als Vorbilder dienen dürfen“, und über die Statue Friedrich’s II. in Stettin, die von vielen Seiten ſeinen beſten Arbeiten zugezählt und über das Rauch’ſche Koloſſal-Werk geſtellt worden iſt, läßt er ſich ſelber in abwehrender Weiſe vernehmen: „Ich zähl auch dieſe Arbeit nicht zu den ge- lungenen; die Drapirung des Mantels war ein mühſeliges Unter- nehmen.“ Von den Reliefs am Berliner Münzgebäude ſagt er in heiterer Anſpruchsloſigkeit: „Wer dieſe Arbeiten als meine beſten geprieſen hat, mag es vor ſich und vor der Welt verantworten.“ Solcher Ausſprüche finden ſich viele. Eine ungeheure Pro- ductionskraft und eine bis in’s ſpäte Alter hinein dem entſprechende Leichtigkeit des Schaffens machten ihn gleichgültig dagegen, ob das ein’ oder andre ſeiner Werke verloren ging oder nicht. Immer das Ganze vor Augen, war er nicht ängſtlich bei jedem Einzelnen auf Ruhm und Unſterblichkeit bedacht, auch wenn das Einzelne wirklichen Werth beſaß. Eine kleine Anekdote mag das zeigen. Unter den vielen Statuetten, die in ſeinem Zimmer auf Conſolen und Simſen umherſtanden, be- fanden ſich auch die Modell-Figuren zweier Grazien, die er in grüner Wachsmaſſe ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus ſeiner beſten Zeit, kleine Meiſterwerke, die mehr als einmal die Bewunderung eintretender Künſtler und Kenner erregt hatten. Durch eine Unvorſichtigkeit indeß waren während des Winters 1840 beide Figuren in die Nähe des Ofens geſtellt worden und hatten, weil das Wachs an der Oberfläche ſchmolz, eine wie mit Pickeln überſäte Haut bekommen. Ein Tauſendkünſtler aus der Scha- dow’ſchen Bekanntſchaft erbot ſich, mit Hülfe von Naphta oder Aether, die alte normale Schönheit wiederherzuſtellen. „Na, na,“ hatte der Alte kopfſchüttelnd abgewehrt, ſich aber ſchließlich doch beſtimmen laſſen. Leider ſehr zur Unzeit, und in einem Zuſtande merkwürdiger Schlankheit kehrten nach kaum acht Tagen die Aether-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/361>, abgerufen am 22.11.2024.