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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Unser Wagen war ein Ereigniß. Einer stürzte halbrasirt
ans Fenster und der rückwärts gewandte Gruß, den ich ihm zuschickte,
traf noch seine seifenschaumene Hälfte. Weiter. Endlich mündeten
wir auf einen lindenumstellten Platz, der die "Freiheit" hieß.
Wir nahmen es als selbstverständlich hin. Warum sollte hier
nicht Freiheit sein?

Der Eindruck des Oeden, den die ganze Stadt macht, an
dieser Stelle steigert er sich, denn hier war einmal Leben. Unter
den Fenstern des ersten Stockes hin, ziehen sich lange Wirthshaus-
schilder "Stadt Halle," "Stadt Leipzig", die sich fast wie Grab-
schriften lesen über einer Zeit, die nicht mehr ist. Hier führte vor
fünfzig oder hundert Jahren die große Straße von Sachsen vor-
über, hier war ein Hauptzollamt, und Saarmund hatte damals
eine Bedeutung, etwa wie Wittenberge heut oder irgend sonst ein
Platz, an dem der Koffer untersucht und die Sprache des deutschen
Biedermannes in der Mauth- und Zoll-Nüance gesprochen wird.
Das ist nun alles dahin. Die geschlossenen Fenster zeigen nichts mehr
als lange Rouleaux, deren in der Schräge schwebende Landschaften
auf ein völlig gestörtes Roll- und Räderwerk deuten; alle Krippen
stehen leer, und müde vom Warten haben sie sich an die Wand
gelehnt. Die Hühner picken drum herum. Wo sie's hernehmen,
Gott weiß.

Ein eignes Geschick ist um gewisse Städte, wie um gewisse
Menschen her. Sie sind anmuthig, alles scheint für sie zu sprechen
und sie können es nichtsdestoweniger zu nichts bringen. So Saar-
mund. Einer der vielen Orte, die nicht leben und nicht sterben können
und nur dazu da sind, im Herzen eines Vorüberfahrenden ein senti-
mentales Gefühl zu wecken.

An einem der Prellsteine von "Stadt Leipzig," wo der Weg
nach rechts hin abbiegt, stand ein Mann in mittleren Jahren, mit
einem guten, zuverlässigen Gesicht. Seine Kappe hatte den Schnitt
einer alten Landwehrmütze, sein Rock aber einen Stehkragen von
dunkler Farbe. Eine Art Nachtwächterblau. Mir lagen immer
noch die "Nutheburgen" im Kopf, nach denen ich meine Suche
nicht ohne Weiteres aufgeben wollte. Das ist dein Mann, dacht'
ich, und ließ halten.

"Sind Sie von hier?"

Unſer Wagen war ein Ereigniß. Einer ſtürzte halbraſirt
ans Fenſter und der rückwärts gewandte Gruß, den ich ihm zuſchickte,
traf noch ſeine ſeifenſchaumene Hälfte. Weiter. Endlich mündeten
wir auf einen lindenumſtellten Platz, der die „Freiheit“ hieß.
Wir nahmen es als ſelbſtverſtändlich hin. Warum ſollte hier
nicht Freiheit ſein?

Der Eindruck des Oeden, den die ganze Stadt macht, an
dieſer Stelle ſteigert er ſich, denn hier war einmal Leben. Unter
den Fenſtern des erſten Stockes hin, ziehen ſich lange Wirthshaus-
ſchilder „Stadt Halle,“ „Stadt Leipzig“, die ſich faſt wie Grab-
ſchriften leſen über einer Zeit, die nicht mehr iſt. Hier führte vor
fünfzig oder hundert Jahren die große Straße von Sachſen vor-
über, hier war ein Hauptzollamt, und Saarmund hatte damals
eine Bedeutung, etwa wie Wittenberge heut oder irgend ſonſt ein
Platz, an dem der Koffer unterſucht und die Sprache des deutſchen
Biedermannes in der Mauth- und Zoll-Nüance geſprochen wird.
Das iſt nun alles dahin. Die geſchloſſenen Fenſter zeigen nichts mehr
als lange Rouleaux, deren in der Schräge ſchwebende Landſchaften
auf ein völlig geſtörtes Roll- und Räderwerk deuten; alle Krippen
ſtehen leer, und müde vom Warten haben ſie ſich an die Wand
gelehnt. Die Hühner picken drum herum. Wo ſie’s hernehmen,
Gott weiß.

Ein eignes Geſchick iſt um gewiſſe Städte, wie um gewiſſe
Menſchen her. Sie ſind anmuthig, alles ſcheint für ſie zu ſprechen
und ſie können es nichtsdeſtoweniger zu nichts bringen. So Saar-
mund. Einer der vielen Orte, die nicht leben und nicht ſterben können
und nur dazu da ſind, im Herzen eines Vorüberfahrenden ein ſenti-
mentales Gefühl zu wecken.

An einem der Prellſteine von „Stadt Leipzig,“ wo der Weg
nach rechts hin abbiegt, ſtand ein Mann in mittleren Jahren, mit
einem guten, zuverläſſigen Geſicht. Seine Kappe hatte den Schnitt
einer alten Landwehrmütze, ſein Rock aber einen Stehkragen von
dunkler Farbe. Eine Art Nachtwächterblau. Mir lagen immer
noch die „Nutheburgen“ im Kopf, nach denen ich meine Suche
nicht ohne Weiteres aufgeben wollte. Das iſt dein Mann, dacht’
ich, und ließ halten.

„Sind Sie von hier?“

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[420/0436] Unſer Wagen war ein Ereigniß. Einer ſtürzte halbraſirt ans Fenſter und der rückwärts gewandte Gruß, den ich ihm zuſchickte, traf noch ſeine ſeifenſchaumene Hälfte. Weiter. Endlich mündeten wir auf einen lindenumſtellten Platz, der die „Freiheit“ hieß. Wir nahmen es als ſelbſtverſtändlich hin. Warum ſollte hier nicht Freiheit ſein? Der Eindruck des Oeden, den die ganze Stadt macht, an dieſer Stelle ſteigert er ſich, denn hier war einmal Leben. Unter den Fenſtern des erſten Stockes hin, ziehen ſich lange Wirthshaus- ſchilder „Stadt Halle,“ „Stadt Leipzig“, die ſich faſt wie Grab- ſchriften leſen über einer Zeit, die nicht mehr iſt. Hier führte vor fünfzig oder hundert Jahren die große Straße von Sachſen vor- über, hier war ein Hauptzollamt, und Saarmund hatte damals eine Bedeutung, etwa wie Wittenberge heut oder irgend ſonſt ein Platz, an dem der Koffer unterſucht und die Sprache des deutſchen Biedermannes in der Mauth- und Zoll-Nüance geſprochen wird. Das iſt nun alles dahin. Die geſchloſſenen Fenſter zeigen nichts mehr als lange Rouleaux, deren in der Schräge ſchwebende Landſchaften auf ein völlig geſtörtes Roll- und Räderwerk deuten; alle Krippen ſtehen leer, und müde vom Warten haben ſie ſich an die Wand gelehnt. Die Hühner picken drum herum. Wo ſie’s hernehmen, Gott weiß. Ein eignes Geſchick iſt um gewiſſe Städte, wie um gewiſſe Menſchen her. Sie ſind anmuthig, alles ſcheint für ſie zu ſprechen und ſie können es nichtsdeſtoweniger zu nichts bringen. So Saar- mund. Einer der vielen Orte, die nicht leben und nicht ſterben können und nur dazu da ſind, im Herzen eines Vorüberfahrenden ein ſenti- mentales Gefühl zu wecken. An einem der Prellſteine von „Stadt Leipzig,“ wo der Weg nach rechts hin abbiegt, ſtand ein Mann in mittleren Jahren, mit einem guten, zuverläſſigen Geſicht. Seine Kappe hatte den Schnitt einer alten Landwehrmütze, ſein Rock aber einen Stehkragen von dunkler Farbe. Eine Art Nachtwächterblau. Mir lagen immer noch die „Nutheburgen“ im Kopf, nach denen ich meine Suche nicht ohne Weiteres aufgeben wollte. Das iſt dein Mann, dacht’ ich, und ließ halten. „Sind Sie von hier?“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/436>, abgerufen am 22.11.2024.