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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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es ist mindestens möglich, daß es, wenn nicht aus der Slaven-
zeit, so doch aus der Zeit der deutschen Eroberung stammt.
Es diente wohl als Zwischenstation für die Burgen Trebbin und
Saarmund." So viele Zeilen, so viele Fehler.*) Der ganze Bau
war niemals etwas anderes, als eine rechtwinkelige Zusammen-
stellung von vier offenstehenden Portalen, genau das Gegentheil
von Festung, Warte, Burg. Es ist ein Kapellchen aus dem 14.
oder vielleicht auch erst aus dem 15. Jahrhundert, so daß hier
muthmaßlich ein Rechenfehler von dreihundert Jahren zu ver-
zeichnen bleibt.

An diesen Kapellenberg knüpfen sich zahlreiche Sagen, die,
wie verschieden auch in ihrer Einkleidung, doch sämmtlich auf das
alte, namentlich in unserer Mark beliebte Thema hinauslaufen
"daß daselbst ein Schatz vergraben sei." Noch in diesem Jahr-
hundert kam ein Herr v. Thümen ventre a terre von Berlin ge-
ritten, ließ Bauern und Tagelöhner wecken, und zog in langer
Colonne den Berg hinauf, um unter dem alten "Bocksdornstrauch,"
der die linke Kapellenecke mit seinem Gezweige füllt, bohren und
graben zu lassen. Denn unter dem Bocksdornstrauche liegt der
Schatz. Aber der Schatz kam nicht und der tolle Herr v. Thümen mußt'
es schließlich doch wieder aufgeben, gerade so wie es 100 Jahre
früher (noch in der sächsischen Zeit) auch sein Ahnherr, der alte
Kreisdirector v. Thümen, hatte aufgeben müssen "obwohlen der

*) Solche Urtheile datiren noch aus einer Zeit her, wo die Kenntniß
über künstlerische, speciell über architektonische Dinge gleich Null war. Kugler,
Schnaase, Lübke haben eine völlig "neue Aera" geschaffen. Während jetzt Jeder
aus Rund- oder Spitzbogen, aus Tonnen- oder Kreuzgewölbe, den Stil und
das Jahrhundert einer Kirche leidlich genau zu bestimmen weiß, stand
man früher vor diesen Dingen wie vor einem Räthsel und unterschied das
Alter zweier Gebäude oft rein nach dem Grade äußerlichen Verfalls,
dabei zur Architektur eine kaum wissenschaftlichere Stellung einnehmend, wie
die Kinder zur Pflanzenkunde, wenn sie die Blumen in blaue, rothe und gelbe
theilen. Dies muß man immer gegenwärtig haben. In jenen Zeiten abso-
luter baugeschichtlicher Unkenntniß sind durch im Uebrigen grundgescheidte
Leute grundfalsche Dinge zu Papier gebracht worden, die nun, ausgerüstet
mit der Autorität eines Namens, von Buch zu Buch unsterblich weiter
wandern.

es iſt mindeſtens möglich, daß es, wenn nicht aus der Slaven-
zeit, ſo doch aus der Zeit der deutſchen Eroberung ſtammt.
Es diente wohl als Zwiſchenſtation für die Burgen Trebbin und
Saarmund.“ So viele Zeilen, ſo viele Fehler.*) Der ganze Bau
war niemals etwas anderes, als eine rechtwinkelige Zuſammen-
ſtellung von vier offenſtehenden Portalen, genau das Gegentheil
von Feſtung, Warte, Burg. Es iſt ein Kapellchen aus dem 14.
oder vielleicht auch erſt aus dem 15. Jahrhundert, ſo daß hier
muthmaßlich ein Rechenfehler von dreihundert Jahren zu ver-
zeichnen bleibt.

An dieſen Kapellenberg knüpfen ſich zahlreiche Sagen, die,
wie verſchieden auch in ihrer Einkleidung, doch ſämmtlich auf das
alte, namentlich in unſerer Mark beliebte Thema hinauslaufen
„daß daſelbſt ein Schatz vergraben ſei.“ Noch in dieſem Jahr-
hundert kam ein Herr v. Thümen ventre à terre von Berlin ge-
ritten, ließ Bauern und Tagelöhner wecken, und zog in langer
Colonne den Berg hinauf, um unter dem alten „Bocksdornſtrauch,“
der die linke Kapellenecke mit ſeinem Gezweige füllt, bohren und
graben zu laſſen. Denn unter dem Bocksdornſtrauche liegt der
Schatz. Aber der Schatz kam nicht und der tolle Herr v. Thümen mußt’
es ſchließlich doch wieder aufgeben, gerade ſo wie es 100 Jahre
früher (noch in der ſächſiſchen Zeit) auch ſein Ahnherr, der alte
Kreisdirector v. Thümen, hatte aufgeben müſſen „obwohlen der

*) Solche Urtheile datiren noch aus einer Zeit her, wo die Kenntniß
über künſtleriſche, ſpeciell über architektoniſche Dinge gleich Null war. Kugler,
Schnaaſe, Lübke haben eine völlig „neue Aera“ geſchaffen. Während jetzt Jeder
aus Rund- oder Spitzbogen, aus Tonnen- oder Kreuzgewölbe, den Stil und
das Jahrhundert einer Kirche leidlich genau zu beſtimmen weiß, ſtand
man früher vor dieſen Dingen wie vor einem Räthſel und unterſchied das
Alter zweier Gebäude oft rein nach dem Grade äußerlichen Verfalls,
dabei zur Architektur eine kaum wiſſenſchaftlichere Stellung einnehmend, wie
die Kinder zur Pflanzenkunde, wenn ſie die Blumen in blaue, rothe und gelbe
theilen. Dies muß man immer gegenwärtig haben. In jenen Zeiten abſo-
luter baugeſchichtlicher Unkenntniß ſind durch im Uebrigen grundgeſcheidte
Leute grundfalſche Dinge zu Papier gebracht worden, die nun, ausgerüſtet
mit der Autorität eines Namens, von Buch zu Buch unſterblich weiter
wandern.
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[426/0442] es iſt mindeſtens möglich, daß es, wenn nicht aus der Slaven- zeit, ſo doch aus der Zeit der deutſchen Eroberung ſtammt. Es diente wohl als Zwiſchenſtation für die Burgen Trebbin und Saarmund.“ So viele Zeilen, ſo viele Fehler. *) Der ganze Bau war niemals etwas anderes, als eine rechtwinkelige Zuſammen- ſtellung von vier offenſtehenden Portalen, genau das Gegentheil von Feſtung, Warte, Burg. Es iſt ein Kapellchen aus dem 14. oder vielleicht auch erſt aus dem 15. Jahrhundert, ſo daß hier muthmaßlich ein Rechenfehler von dreihundert Jahren zu ver- zeichnen bleibt. An dieſen Kapellenberg knüpfen ſich zahlreiche Sagen, die, wie verſchieden auch in ihrer Einkleidung, doch ſämmtlich auf das alte, namentlich in unſerer Mark beliebte Thema hinauslaufen „daß daſelbſt ein Schatz vergraben ſei.“ Noch in dieſem Jahr- hundert kam ein Herr v. Thümen ventre à terre von Berlin ge- ritten, ließ Bauern und Tagelöhner wecken, und zog in langer Colonne den Berg hinauf, um unter dem alten „Bocksdornſtrauch,“ der die linke Kapellenecke mit ſeinem Gezweige füllt, bohren und graben zu laſſen. Denn unter dem Bocksdornſtrauche liegt der Schatz. Aber der Schatz kam nicht und der tolle Herr v. Thümen mußt’ es ſchließlich doch wieder aufgeben, gerade ſo wie es 100 Jahre früher (noch in der ſächſiſchen Zeit) auch ſein Ahnherr, der alte Kreisdirector v. Thümen, hatte aufgeben müſſen „obwohlen der *) Solche Urtheile datiren noch aus einer Zeit her, wo die Kenntniß über künſtleriſche, ſpeciell über architektoniſche Dinge gleich Null war. Kugler, Schnaaſe, Lübke haben eine völlig „neue Aera“ geſchaffen. Während jetzt Jeder aus Rund- oder Spitzbogen, aus Tonnen- oder Kreuzgewölbe, den Stil und das Jahrhundert einer Kirche leidlich genau zu beſtimmen weiß, ſtand man früher vor dieſen Dingen wie vor einem Räthſel und unterſchied das Alter zweier Gebäude oft rein nach dem Grade äußerlichen Verfalls, dabei zur Architektur eine kaum wiſſenſchaftlichere Stellung einnehmend, wie die Kinder zur Pflanzenkunde, wenn ſie die Blumen in blaue, rothe und gelbe theilen. Dies muß man immer gegenwärtig haben. In jenen Zeiten abſo- luter baugeſchichtlicher Unkenntniß ſind durch im Uebrigen grundgeſcheidte Leute grundfalſche Dinge zu Papier gebracht worden, die nun, ausgerüſtet mit der Autorität eines Namens, von Buch zu Buch unſterblich weiter wandern.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/442>, abgerufen am 22.11.2024.