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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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allerbittersten Tod unter den Unbilden seiner nächsten Verwandten,
die, ohne ihre Lebens- und Anstandsformen im Geringsten zu
ändern, erbarmungslos zu seinen Häupten sitzen.

Unter anderen Bäumen lagen herabgestürzte Nester. Sie
gaben uns Veranlassung, ein solches zu untersuchen. Es ist einem
Storchennest ähnlich, aber noch gröber im Gefüge, und besteht aus
angetriebenem Holz der verschiedensten Arten: Kiefern-, Elsen- und
Weidenzweige. Dazu viel trockenes Stechapfelkraut, lange Stengel,
mit aufgesprungenen Kapseln daran. Ob sie für dies Kraut um
Gerucheswillen, vielleicht auch als Arznei-Drogue, eine Vorliebe
haben, oder ob es ihnen lediglich als Bindemittel zu festerer Ver-
schlingung der dicken Holzstäbe dient, muß dahin gestellt bleiben.
Ueberall aber, wo ein solches Nest lag, sproßte wuchernd aus
hundert Samenkörnern ein ganzer Giftgarten von weißblühender
Datura auf, der übrigens, jede Ausschließlichkeit vermeidend, auch
anderem Blumenvolk den Zutritt gestattete. Nur "von Familie"
mußten die Zugelassenen sein: Wolfsmilch, Bilsenkraut, Nacht-
schatten. Das Harmloseste, was sich eingeschlichen hatte, war
Brennessel.

Ein Erinnerungsblatt hier mitzunehmen, verbot sich; so mußten
die umherliegenden Federn aushelfen. Ein paar der schönsten an
unsere Mützen steckend, kehrten wir, nunmehr des Weges kundig,
in kürzester Frist an Bord unseres Schiffes zurück.

Hier hatte sich mittlerweile Mudy nach mehr als einer Seite
hin legitimirt. Der Tisch war unter einer ausgespannten Lein-
wand gedeckt; der weißeste Damast, das blinkendste Silber lachten
uns entgegen. Selbst an Tafel-Aufsätzen gebrach es nicht. Neben
dem großen Cöpenicker Baumkuchen paradirten zwei präch-
tige, in hundert Blüthen stehende Heidekrautbüschel, die Mudy,
sammt dem Erdreich, ausgeschnitten, und in zwei reliefgeschmückte
Weinkühler eingesetzt hatte. Aber Größeres war uns vorbehalten,
was sich erst offenbaren sollte, als die Reihe der vorschriftsmäßigen
Gänge, unter denen sich besonders das Fischgericht "Schlei mit
Dill" auszeichnete, beendet war. Ob aus Nachklang oder In-
spiration, aus Erinnerung oder geoffenbarter Weisheit, gleichviel,
in Mudy's Seele hatte die Vorstellung gedämmert, daß "das
Dessert die Krone jedes Mahles sei." Und dieser Vorstellung

allerbitterſten Tod unter den Unbilden ſeiner nächſten Verwandten,
die, ohne ihre Lebens- und Anſtandsformen im Geringſten zu
ändern, erbarmungslos zu ſeinen Häupten ſitzen.

Unter anderen Bäumen lagen herabgeſtürzte Neſter. Sie
gaben uns Veranlaſſung, ein ſolches zu unterſuchen. Es iſt einem
Storchenneſt ähnlich, aber noch gröber im Gefüge, und beſteht aus
angetriebenem Holz der verſchiedenſten Arten: Kiefern-, Elſen- und
Weidenzweige. Dazu viel trockenes Stechapfelkraut, lange Stengel,
mit aufgeſprungenen Kapſeln daran. Ob ſie für dies Kraut um
Gerucheswillen, vielleicht auch als Arznei-Drogue, eine Vorliebe
haben, oder ob es ihnen lediglich als Bindemittel zu feſterer Ver-
ſchlingung der dicken Holzſtäbe dient, muß dahin geſtellt bleiben.
Ueberall aber, wo ein ſolches Neſt lag, ſproßte wuchernd aus
hundert Samenkörnern ein ganzer Giftgarten von weißblühender
Datura auf, der übrigens, jede Ausſchließlichkeit vermeidend, auch
anderem Blumenvolk den Zutritt geſtattete. Nur „von Familie“
mußten die Zugelaſſenen ſein: Wolfsmilch, Bilſenkraut, Nacht-
ſchatten. Das Harmloſeſte, was ſich eingeſchlichen hatte, war
Brenneſſel.

Ein Erinnerungsblatt hier mitzunehmen, verbot ſich; ſo mußten
die umherliegenden Federn aushelfen. Ein paar der ſchönſten an
unſere Mützen ſteckend, kehrten wir, nunmehr des Weges kundig,
in kürzeſter Friſt an Bord unſeres Schiffes zurück.

Hier hatte ſich mittlerweile Mudy nach mehr als einer Seite
hin legitimirt. Der Tiſch war unter einer ausgeſpannten Lein-
wand gedeckt; der weißeſte Damaſt, das blinkendſte Silber lachten
uns entgegen. Selbſt an Tafel-Aufſätzen gebrach es nicht. Neben
dem großen Cöpenicker Baumkuchen paradirten zwei präch-
tige, in hundert Blüthen ſtehende Heidekrautbüſchel, die Mudy,
ſammt dem Erdreich, ausgeſchnitten, und in zwei reliefgeſchmückte
Weinkühler eingeſetzt hatte. Aber Größeres war uns vorbehalten,
was ſich erſt offenbaren ſollte, als die Reihe der vorſchriftsmäßigen
Gänge, unter denen ſich beſonders das Fiſchgericht „Schlei mit
Dill“ auszeichnete, beendet war. Ob aus Nachklang oder In-
ſpiration, aus Erinnerung oder geoffenbarter Weisheit, gleichviel,
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[82/0098] allerbitterſten Tod unter den Unbilden ſeiner nächſten Verwandten, die, ohne ihre Lebens- und Anſtandsformen im Geringſten zu ändern, erbarmungslos zu ſeinen Häupten ſitzen. Unter anderen Bäumen lagen herabgeſtürzte Neſter. Sie gaben uns Veranlaſſung, ein ſolches zu unterſuchen. Es iſt einem Storchenneſt ähnlich, aber noch gröber im Gefüge, und beſteht aus angetriebenem Holz der verſchiedenſten Arten: Kiefern-, Elſen- und Weidenzweige. Dazu viel trockenes Stechapfelkraut, lange Stengel, mit aufgeſprungenen Kapſeln daran. Ob ſie für dies Kraut um Gerucheswillen, vielleicht auch als Arznei-Drogue, eine Vorliebe haben, oder ob es ihnen lediglich als Bindemittel zu feſterer Ver- ſchlingung der dicken Holzſtäbe dient, muß dahin geſtellt bleiben. Ueberall aber, wo ein ſolches Neſt lag, ſproßte wuchernd aus hundert Samenkörnern ein ganzer Giftgarten von weißblühender Datura auf, der übrigens, jede Ausſchließlichkeit vermeidend, auch anderem Blumenvolk den Zutritt geſtattete. Nur „von Familie“ mußten die Zugelaſſenen ſein: Wolfsmilch, Bilſenkraut, Nacht- ſchatten. Das Harmloſeſte, was ſich eingeſchlichen hatte, war Brenneſſel. Ein Erinnerungsblatt hier mitzunehmen, verbot ſich; ſo mußten die umherliegenden Federn aushelfen. Ein paar der ſchönſten an unſere Mützen ſteckend, kehrten wir, nunmehr des Weges kundig, in kürzeſter Friſt an Bord unſeres Schiffes zurück. Hier hatte ſich mittlerweile Mudy nach mehr als einer Seite hin legitimirt. Der Tiſch war unter einer ausgeſpannten Lein- wand gedeckt; der weißeſte Damaſt, das blinkendſte Silber lachten uns entgegen. Selbſt an Tafel-Aufſätzen gebrach es nicht. Neben dem großen Cöpenicker Baumkuchen paradirten zwei präch- tige, in hundert Blüthen ſtehende Heidekrautbüſchel, die Mudy, ſammt dem Erdreich, ausgeſchnitten, und in zwei reliefgeſchmückte Weinkühler eingeſetzt hatte. Aber Größeres war uns vorbehalten, was ſich erſt offenbaren ſollte, als die Reihe der vorſchriftsmäßigen Gänge, unter denen ſich beſonders das Fiſchgericht „Schlei mit Dill“ auszeichnete, beendet war. Ob aus Nachklang oder In- ſpiration, aus Erinnerung oder geoffenbarter Weisheit, gleichviel, in Mudy’s Seele hatte die Vorſtellung gedämmert, daß „das Deſſert die Krone jedes Mahles ſei.“ Und dieſer Vorſtellung

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/98>, abgerufen am 24.11.2024.