Erde reichende schwarze Kreppschleier, die zugleich ihr Gesicht verhüllten. Und nun wurde der Sarg, auf dem einige Kränze und sogar ein Palmenwedel lagen, auf den Wagen gestellt, und die beiden Ehepaare setzten sich in die Kutschen. In die erste -- gemein¬ schaftlich mit dem einen der beiden leidtragenden Paare -- stieg auch Lindequist, hinter der zweiten Kutsche aber ging die Hauswirtin, und neben dieser die stattliche Person, die die Verstorbene zur Aus¬ hülfe mit nach Kessin gebracht hatte. Letztere war sehr aufgeregt und schien durchaus ehrlich darin, wenn dies Aufgeregtsein auch vielleicht nicht gerade Trauer war; der sehr heftig schluchzenden Hauswirtin aber, einer Witwe, sah man dagegen fast allzu deutlich an, daß sie sich beständig die Möglichkeit eines Extrageschenkes berechnete, trotzdem sie in der bevorzugten und von anderen Wirtinnen auch sehr beneideten Lage war, die für den ganzen Sommer vermietete Wohnung noch einmal vermieten zu können.
Effi, als der Zug sich in Bewegung setzte, ging in ihren hinter dem Hofe gelegenen Garten, um hier, zwischen den Buchsbaumbeeten, den Eindruck des Lieb- und Leblosen, den die ganze Scene drüben auf sie gemacht hatte, wieder los zu werden. Als dies aber nicht glücken wollte, kam ihr die Lust, statt ihrer eintönigen Gartenpromenade lieber einen weiteren
Effi Brieſt
Erde reichende ſchwarze Kreppſchleier, die zugleich ihr Geſicht verhüllten. Und nun wurde der Sarg, auf dem einige Kränze und ſogar ein Palmenwedel lagen, auf den Wagen geſtellt, und die beiden Ehepaare ſetzten ſich in die Kutſchen. In die erſte — gemein¬ ſchaftlich mit dem einen der beiden leidtragenden Paare — ſtieg auch Lindequiſt, hinter der zweiten Kutſche aber ging die Hauswirtin, und neben dieſer die ſtattliche Perſon, die die Verſtorbene zur Aus¬ hülfe mit nach Keſſin gebracht hatte. Letztere war ſehr aufgeregt und ſchien durchaus ehrlich darin, wenn dies Aufgeregtſein auch vielleicht nicht gerade Trauer war; der ſehr heftig ſchluchzenden Hauswirtin aber, einer Witwe, ſah man dagegen faſt allzu deutlich an, daß ſie ſich beſtändig die Möglichkeit eines Extrageſchenkes berechnete, trotzdem ſie in der bevorzugten und von anderen Wirtinnen auch ſehr beneideten Lage war, die für den ganzen Sommer vermietete Wohnung noch einmal vermieten zu können.
Effi, als der Zug ſich in Bewegung ſetzte, ging in ihren hinter dem Hofe gelegenen Garten, um hier, zwiſchen den Buchsbaumbeeten, den Eindruck des Lieb- und Lebloſen, den die ganze Scene drüben auf ſie gemacht hatte, wieder los zu werden. Als dies aber nicht glücken wollte, kam ihr die Luſt, ſtatt ihrer eintönigen Gartenpromenade lieber einen weiteren
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Effi Brieſt
Erde reichende ſchwarze Kreppſchleier, die zugleich
ihr Geſicht verhüllten. Und nun wurde der Sarg,
auf dem einige Kränze und ſogar ein Palmenwedel
lagen, auf den Wagen geſtellt, und die beiden Ehepaare
ſetzten ſich in die Kutſchen. In die erſte — gemein¬
ſchaftlich mit dem einen der beiden leidtragenden
Paare — ſtieg auch Lindequiſt, hinter der zweiten
Kutſche aber ging die Hauswirtin, und neben dieſer
die ſtattliche Perſon, die die Verſtorbene zur Aus¬
hülfe mit nach Keſſin gebracht hatte. Letztere war
ſehr aufgeregt und ſchien durchaus ehrlich darin,
wenn dies Aufgeregtſein auch vielleicht nicht gerade
Trauer war; der ſehr heftig ſchluchzenden Hauswirtin
aber, einer Witwe, ſah man dagegen faſt allzu
deutlich an, daß ſie ſich beſtändig die Möglichkeit
eines Extrageſchenkes berechnete, trotzdem ſie in der
bevorzugten und von anderen Wirtinnen auch ſehr
beneideten Lage war, die für den ganzen Sommer
vermietete Wohnung noch einmal vermieten zu können.
Effi, als der Zug ſich in Bewegung ſetzte, ging
in ihren hinter dem Hofe gelegenen Garten, um
hier, zwiſchen den Buchsbaumbeeten, den Eindruck des
Lieb- und Lebloſen, den die ganze Scene drüben auf
ſie gemacht hatte, wieder los zu werden. Als dies
aber nicht glücken wollte, kam ihr die Luſt, ſtatt
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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/193>, abgerufen am 16.02.2025.
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