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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
sie noch reden konnte, redete sie immerzu. Es war
'ne richtige Berlin'sche ..."

"Gute Frau?"

"Nein; wenn ich das sagen wollte, müßt' ich
lügen. Da liegt sie nun, und man soll von einem
Toten nichts Schlimmes sagen, und erst recht nicht,
wenn er so kaum seine Ruhe hat. Na, die wird sie
ja wohl haben! Aber sie taugte nichts und war
zänkisch und geizig, und für mich hat sie auch nicht
gesorgt. Und die Verwandtschaft, die da gestern von
Berlin gekommen ... gezankt haben sie sich bis in
die sinkende Nacht ... na, die taugt auch nichts,
die taugt erst recht nichts. Lauter schlechtes Volk,
happig und gierig und hartherzig, und haben mir
barsch und unfreundlich und mit allerlei Redens¬
arten meinen Lohn ausgezahlt, bloß weil sie mußten
und weil es bloß noch sechs Tage sind bis zum
Vierteljahrsersten. Sonst hätte ich nichts gekriegt,
oder bloß halb oder bloß ein Viertel. Nichts aus
freien Stücken. Und einen eingerissenen Fünfmark¬
schein haben sie mir gegeben, daß ich nach Berlin
zurückreisen kann; na, es reicht so gerade für die
vierte Klasse, und ich werde wohl auf meinem Koffer
sitzen müssen. Aber ich will auch gar nicht; ich will
hier sitzen bleiben und warten, bis ich sterbe ...
Gott, ich dachte nun 'mal Ruhe zu haben und hätte

Effi Brieſt
ſie noch reden konnte, redete ſie immerzu. Es war
'ne richtige Berlin'ſche …“

„Gute Frau?“

„Nein; wenn ich das ſagen wollte, müßt' ich
lügen. Da liegt ſie nun, und man ſoll von einem
Toten nichts Schlimmes ſagen, und erſt recht nicht,
wenn er ſo kaum ſeine Ruhe hat. Na, die wird ſie
ja wohl haben! Aber ſie taugte nichts und war
zänkiſch und geizig, und für mich hat ſie auch nicht
geſorgt. Und die Verwandtſchaft, die da geſtern von
Berlin gekommen … gezankt haben ſie ſich bis in
die ſinkende Nacht … na, die taugt auch nichts,
die taugt erſt recht nichts. Lauter ſchlechtes Volk,
happig und gierig und hartherzig, und haben mir
barſch und unfreundlich und mit allerlei Redens¬
arten meinen Lohn ausgezahlt, bloß weil ſie mußten
und weil es bloß noch ſechs Tage ſind bis zum
Vierteljahrserſten. Sonſt hätte ich nichts gekriegt,
oder bloß halb oder bloß ein Viertel. Nichts aus
freien Stücken. Und einen eingeriſſenen Fünfmark¬
ſchein haben ſie mir gegeben, daß ich nach Berlin
zurückreiſen kann; na, es reicht ſo gerade für die
vierte Klaſſe, und ich werde wohl auf meinem Koffer
ſitzen müſſen. Aber ich will auch gar nicht; ich will
hier ſitzen bleiben und warten, bis ich ſterbe …
Gott, ich dachte nun 'mal Ruhe zu haben und hätte

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[189/0198] Effi Brieſt ſie noch reden konnte, redete ſie immerzu. Es war 'ne richtige Berlin'ſche …“ „Gute Frau?“ „Nein; wenn ich das ſagen wollte, müßt' ich lügen. Da liegt ſie nun, und man ſoll von einem Toten nichts Schlimmes ſagen, und erſt recht nicht, wenn er ſo kaum ſeine Ruhe hat. Na, die wird ſie ja wohl haben! Aber ſie taugte nichts und war zänkiſch und geizig, und für mich hat ſie auch nicht geſorgt. Und die Verwandtſchaft, die da geſtern von Berlin gekommen … gezankt haben ſie ſich bis in die ſinkende Nacht … na, die taugt auch nichts, die taugt erſt recht nichts. Lauter ſchlechtes Volk, happig und gierig und hartherzig, und haben mir barſch und unfreundlich und mit allerlei Redens¬ arten meinen Lohn ausgezahlt, bloß weil ſie mußten und weil es bloß noch ſechs Tage ſind bis zum Vierteljahrserſten. Sonſt hätte ich nichts gekriegt, oder bloß halb oder bloß ein Viertel. Nichts aus freien Stücken. Und einen eingeriſſenen Fünfmark¬ ſchein haben ſie mir gegeben, daß ich nach Berlin zurückreiſen kann; na, es reicht ſo gerade für die vierte Klaſſe, und ich werde wohl auf meinem Koffer ſitzen müſſen. Aber ich will auch gar nicht; ich will hier ſitzen bleiben und warten, bis ich ſterbe … Gott, ich dachte nun 'mal Ruhe zu haben und hätte

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/198>, abgerufen am 21.11.2024.