Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.Effi Briest Lehrer in der Nähe von Genthin verheiratet, großeDoppelhochzeit mit Festbericht im "Anzeiger fürs Havelland", und Hulda war in Friesack zur Pflege einer alten Erbtante, die sich übrigens, wie gewöhnlich in solchen Fällen, um sehr viel langlebiger erwies, als Niemeyers angenommen hatten. Hulda schrieb aber trotzdem immer zufriedene Briefe, nicht weil sie wirklich zufrieden war (im Gegenteil), sondern weil sie den Verdacht nicht aufkommen lassen wollte, daß es einem so ausgezeichneten Wesen anders als sehr gut ergehen könne. Niemeyer, ein schwacher Vater, zeigte die Briefe mit Stolz und Freude, während der ebenfalls ganz in seinen Töchtern lebende Jahnke sich herausgerechnet hatte, daß beide junge Frauen am selben Tage, und zwar am Weihnachtsheiligabend, ihre Niederkunft halten würden. Effi lachte herzlich und drückte dem Großvater in spe zunächst den Wunsch aus, bei beiden Enkeln zu Gevatter geladen zu werden, ließ dann aber die Familienthemata fallen und erzählte von "Kjöbenhavn" und Helsingör, vom Limfjord und Schloß Aggerhuus, und vor allem von Thora von Penz, die, wie sie nur sagen könne, "typisch skandinavisch" gewesen sei, blauäugig, flachsen und immer in einer roten Plüschtaille, wobei sich Jahnke verklärte und einmal über das andere sagte: "Ja, so sind sie; rein germanisch, viel deutscher als die Deutschen." Effi Brieſt Lehrer in der Nähe von Genthin verheiratet, großeDoppelhochzeit mit Feſtbericht im „Anzeiger fürs Havelland“, und Hulda war in Frieſack zur Pflege einer alten Erbtante, die ſich übrigens, wie gewöhnlich in ſolchen Fällen, um ſehr viel langlebiger erwies, als Niemeyers angenommen hatten. Hulda ſchrieb aber trotzdem immer zufriedene Briefe, nicht weil ſie wirklich zufrieden war (im Gegenteil), ſondern weil ſie den Verdacht nicht aufkommen laſſen wollte, daß es einem ſo ausgezeichneten Weſen anders als ſehr gut ergehen könne. Niemeyer, ein ſchwacher Vater, zeigte die Briefe mit Stolz und Freude, während der ebenfalls ganz in ſeinen Töchtern lebende Jahnke ſich herausgerechnet hatte, daß beide junge Frauen am ſelben Tage, und zwar am Weihnachtsheiligabend, ihre Niederkunft halten würden. Effi lachte herzlich und drückte dem Großvater in spe zunächſt den Wunſch aus, bei beiden Enkeln zu Gevatter geladen zu werden, ließ dann aber die Familienthemata fallen und erzählte von „Kjöbenhavn“ und Helſingör, vom Limfjord und Schloß Aggerhuus, und vor allem von Thora von Penz, die, wie ſie nur ſagen könne, „typiſch ſkandinaviſch“ geweſen ſei, blauäugig, flachſen und immer in einer roten Plüſchtaille, wobei ſich Jahnke verklärte und einmal über das andere ſagte: „Ja, ſo ſind ſie; rein germaniſch, viel deutſcher als die Deutſchen.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0387" n="378"/><fw place="top" type="header">Effi Brieſt<lb/></fw>Lehrer in der Nähe von Genthin verheiratet, große<lb/> Doppelhochzeit mit Feſtbericht im „Anzeiger fürs<lb/> Havelland“, und Hulda war in Frieſack zur Pflege<lb/> einer alten Erbtante, die ſich übrigens, wie gewöhnlich<lb/> in ſolchen Fällen, um ſehr viel langlebiger erwies,<lb/> als Niemeyers angenommen hatten. Hulda ſchrieb<lb/> aber trotzdem immer zufriedene Briefe, nicht weil ſie<lb/> wirklich zufrieden war (im Gegenteil), ſondern weil<lb/> ſie den Verdacht nicht aufkommen laſſen wollte, daß<lb/> es einem ſo ausgezeichneten Weſen anders als ſehr<lb/> gut ergehen könne. Niemeyer, ein ſchwacher Vater,<lb/> zeigte die Briefe mit Stolz und Freude, während<lb/> der ebenfalls ganz in ſeinen Töchtern lebende Jahnke<lb/> ſich herausgerechnet hatte, daß beide junge Frauen<lb/> am ſelben Tage, und zwar am Weihnachtsheiligabend,<lb/> ihre Niederkunft halten würden. Effi lachte herzlich<lb/> und drückte dem Großvater in <hi rendition="#aq">spe</hi> zunächſt den<lb/> Wunſch aus, bei beiden Enkeln zu Gevatter geladen<lb/> zu werden, ließ dann aber die Familienthemata fallen<lb/> und erzählte von „Kjöbenhavn“ und Helſingör, vom<lb/> Limfjord und Schloß Aggerhuus, und vor allem von<lb/> Thora von Penz, die, wie ſie nur ſagen könne, „typiſch<lb/> ſkandinaviſch“ geweſen ſei, blauäugig, flachſen und<lb/> immer in einer roten Plüſchtaille, wobei ſich Jahnke<lb/> verklärte und einmal über das andere ſagte: „Ja, ſo<lb/> ſind ſie; rein germaniſch, viel deutſcher als die Deutſchen.“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [378/0387]
Effi Brieſt
Lehrer in der Nähe von Genthin verheiratet, große
Doppelhochzeit mit Feſtbericht im „Anzeiger fürs
Havelland“, und Hulda war in Frieſack zur Pflege
einer alten Erbtante, die ſich übrigens, wie gewöhnlich
in ſolchen Fällen, um ſehr viel langlebiger erwies,
als Niemeyers angenommen hatten. Hulda ſchrieb
aber trotzdem immer zufriedene Briefe, nicht weil ſie
wirklich zufrieden war (im Gegenteil), ſondern weil
ſie den Verdacht nicht aufkommen laſſen wollte, daß
es einem ſo ausgezeichneten Weſen anders als ſehr
gut ergehen könne. Niemeyer, ein ſchwacher Vater,
zeigte die Briefe mit Stolz und Freude, während
der ebenfalls ganz in ſeinen Töchtern lebende Jahnke
ſich herausgerechnet hatte, daß beide junge Frauen
am ſelben Tage, und zwar am Weihnachtsheiligabend,
ihre Niederkunft halten würden. Effi lachte herzlich
und drückte dem Großvater in spe zunächſt den
Wunſch aus, bei beiden Enkeln zu Gevatter geladen
zu werden, ließ dann aber die Familienthemata fallen
und erzählte von „Kjöbenhavn“ und Helſingör, vom
Limfjord und Schloß Aggerhuus, und vor allem von
Thora von Penz, die, wie ſie nur ſagen könne, „typiſch
ſkandinaviſch“ geweſen ſei, blauäugig, flachſen und
immer in einer roten Plüſchtaille, wobei ſich Jahnke
verklärte und einmal über das andere ſagte: „Ja, ſo
ſind ſie; rein germaniſch, viel deutſcher als die Deutſchen.“
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