Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.Effi Briest wäre, wenn mir hier ein tiefes Rachegefühl gesessenhätte ... Rache ist nichts Schönes, aber 'was Menschliches und hat ein natürlich menschliches Recht. So aber war alles einer Vorstellung, einem Begriff zu Liebe, war eine gemachte Geschichte, halbe Komödie. Und diese Komödie muß ich nun fortsetzen und muß Effi wegschicken und sie ruinieren, und mich mit ... Ich mußte die Briefe verbrennen, und die Welt durfte nie davon erfahren. Und wenn sie dann kam, ahnungslos, so mußt' ich ihr sagen: ,Da ist Dein Platz,' und mußte mich innerlich von ihr scheiden. Nicht vor der Welt. Es giebt so viele Leben, die keine sind, und so viele Ehen, die keine sind ... dann war das Glück hin, aber ich hätte das Auge mit seinem Frageblicke und mit seiner stummen leisen An¬ klage nicht vor mir." Kurz vor zehn hielt Innstetten vor seiner "Wie steht es mit Annie?" "Gut, gnäd'ger Herr. Sie schläft noch nicht ... "Nein, nein, das regt sie bloß auf. Ich sehe Effi Brieſt wäre, wenn mir hier ein tiefes Rachegefühl geſeſſenhätte … Rache iſt nichts Schönes, aber 'was Menſchliches und hat ein natürlich menſchliches Recht. So aber war alles einer Vorſtellung, einem Begriff zu Liebe, war eine gemachte Geſchichte, halbe Komödie. Und dieſe Komödie muß ich nun fortſetzen und muß Effi wegſchicken und ſie ruinieren, und mich mit … Ich mußte die Briefe verbrennen, und die Welt durfte nie davon erfahren. Und wenn ſie dann kam, ahnungslos, ſo mußt' ich ihr ſagen: ,Da iſt Dein Platz,‘ und mußte mich innerlich von ihr ſcheiden. Nicht vor der Welt. Es giebt ſo viele Leben, die keine ſind, und ſo viele Ehen, die keine ſind … dann war das Glück hin, aber ich hätte das Auge mit ſeinem Frageblicke und mit ſeiner ſtummen leiſen An¬ klage nicht vor mir.“ Kurz vor zehn hielt Innſtetten vor ſeiner „Wie ſteht es mit Annie?“ „Gut, gnäd'ger Herr. Sie ſchläft noch nicht … „Nein, nein, das regt ſie bloß auf. Ich ſehe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0436" n="427"/><fw place="top" type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> wäre, wenn mir hier ein tiefes Rachegefühl geſeſſen<lb/> hätte … Rache iſt nichts Schönes, aber 'was<lb/> Menſchliches und hat ein natürlich menſchliches Recht.<lb/> So aber war alles einer Vorſtellung, einem Begriff<lb/> zu Liebe, war eine gemachte Geſchichte, halbe Komödie.<lb/> Und dieſe Komödie muß ich nun fortſetzen und muß<lb/> Effi wegſchicken und ſie ruinieren, und mich mit …<lb/> Ich mußte die Briefe verbrennen, und die Welt<lb/> durfte nie davon erfahren. Und wenn ſie dann kam,<lb/> ahnungslos, ſo mußt' ich ihr ſagen: ,Da iſt Dein<lb/> Platz,‘ und mußte mich innerlich von ihr ſcheiden.<lb/> Nicht vor der Welt. Es giebt ſo viele Leben, die<lb/> keine ſind, und ſo viele Ehen, die keine ſind …<lb/> dann war das Glück hin, aber ich hätte das Auge mit<lb/> ſeinem Frageblicke und mit ſeiner ſtummen leiſen An¬<lb/> klage nicht vor mir.“</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Kurz vor zehn hielt Innſtetten vor ſeiner<lb/> Wohnung. Er ſtieg die Treppen hinauf und zog<lb/> die Glocke; Johanna kam und öffnete.</p><lb/> <p>„Wie ſteht es mit Annie?“</p><lb/> <p>„Gut, gnäd'ger Herr. Sie ſchläft noch nicht …<lb/> Wenn der gnäd'ge Herr …“</p><lb/> <p>„Nein, nein, das regt ſie bloß auf. Ich ſehe<lb/> ſie lieber morgen früh. Bringen Sie mir ein Glas<lb/> Thee, Johanna. Wer war hier?“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [427/0436]
Effi Brieſt
wäre, wenn mir hier ein tiefes Rachegefühl geſeſſen
hätte … Rache iſt nichts Schönes, aber 'was
Menſchliches und hat ein natürlich menſchliches Recht.
So aber war alles einer Vorſtellung, einem Begriff
zu Liebe, war eine gemachte Geſchichte, halbe Komödie.
Und dieſe Komödie muß ich nun fortſetzen und muß
Effi wegſchicken und ſie ruinieren, und mich mit …
Ich mußte die Briefe verbrennen, und die Welt
durfte nie davon erfahren. Und wenn ſie dann kam,
ahnungslos, ſo mußt' ich ihr ſagen: ,Da iſt Dein
Platz,‘ und mußte mich innerlich von ihr ſcheiden.
Nicht vor der Welt. Es giebt ſo viele Leben, die
keine ſind, und ſo viele Ehen, die keine ſind …
dann war das Glück hin, aber ich hätte das Auge mit
ſeinem Frageblicke und mit ſeiner ſtummen leiſen An¬
klage nicht vor mir.“
Kurz vor zehn hielt Innſtetten vor ſeiner
Wohnung. Er ſtieg die Treppen hinauf und zog
die Glocke; Johanna kam und öffnete.
„Wie ſteht es mit Annie?“
„Gut, gnäd'ger Herr. Sie ſchläft noch nicht …
Wenn der gnäd'ge Herr …“
„Nein, nein, das regt ſie bloß auf. Ich ſehe
ſie lieber morgen früh. Bringen Sie mir ein Glas
Thee, Johanna. Wer war hier?“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |