Hintertreppe hinaufbegeben und war mit dem Lesen gerade fertig, als Johanna dazu kam.
Diese legte die Briefe, die ihr Innstetten eben gegeben, auf den Tisch, überflog die Adressen oder that wenigstens so (denn sie wußte längst, an wen sie gerichtet waren) und sagte mit gut erkünstelter Ruhe: "Einer ist nach Hohen-Cremmen."
"Das kann ich mir denken," sagte Roswitha.
Johanna war nicht wenig erstaunt über diese Bemerkung. "Der Herr schreibt sonst nie nach Hohen-Cremmen."
"Ja, sonst. Aber jetzt ... Denken Sie sich, das hat mir eben der Portier unten gegeben."
Johanna nahm das Blatt und las nun halblaut eine mit einem dicken Tintenstrich markierte Stelle: "Wie wir kurz vor Redaktionsschluß von gut unter¬ richteter Seite her vernehmen, hat gestern früh in dem Badeorte Kessin, in Hinterpommern, ein Duell zwischen dem Ministerialrat v. J. (Keithstraße) und dem Major von Crampas stattgefunden. Major von Crampas fiel. Es heißt, daß Beziehungen zwischen ihm und der Rätin, einer schönen und noch sehr jungen Frau, bestanden haben sollen."
"Was solche Blätter auch alles schreiben," sagte Johanna, die verstimmt war, ihre Neuigkeit überholt zu sehen. "Ja," sagte Roswitha. "Und das lesen
Effi Brieſt
Hintertreppe hinaufbegeben und war mit dem Leſen gerade fertig, als Johanna dazu kam.
Dieſe legte die Briefe, die ihr Innſtetten eben gegeben, auf den Tiſch, überflog die Adreſſen oder that wenigſtens ſo (denn ſie wußte längſt, an wen ſie gerichtet waren) und ſagte mit gut erkünſtelter Ruhe: „Einer iſt nach Hohen-Cremmen.“
„Das kann ich mir denken,“ ſagte Roswitha.
Johanna war nicht wenig erſtaunt über dieſe Bemerkung. „Der Herr ſchreibt ſonſt nie nach Hohen-Cremmen.“
„Ja, ſonſt. Aber jetzt … Denken Sie ſich, das hat mir eben der Portier unten gegeben.“
Johanna nahm das Blatt und las nun halblaut eine mit einem dicken Tintenſtrich markierte Stelle: „Wie wir kurz vor Redaktionsſchluß von gut unter¬ richteter Seite her vernehmen, hat geſtern früh in dem Badeorte Keſſin, in Hinterpommern, ein Duell zwiſchen dem Miniſterialrat v. J. (Keithſtraße) und dem Major von Crampas ſtattgefunden. Major von Crampas fiel. Es heißt, daß Beziehungen zwiſchen ihm und der Rätin, einer ſchönen und noch ſehr jungen Frau, beſtanden haben ſollen.“
„Was ſolche Blätter auch alles ſchreiben,“ ſagte Johanna, die verſtimmt war, ihre Neuigkeit überholt zu ſehen. „Ja,“ ſagte Roswitha. „Und das leſen
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Effi Brieſt
Hintertreppe hinaufbegeben und war mit dem Leſen
gerade fertig, als Johanna dazu kam.
Dieſe legte die Briefe, die ihr Innſtetten eben
gegeben, auf den Tiſch, überflog die Adreſſen oder
that wenigſtens ſo (denn ſie wußte längſt, an wen
ſie gerichtet waren) und ſagte mit gut erkünſtelter
Ruhe: „Einer iſt nach Hohen-Cremmen.“
„Das kann ich mir denken,“ ſagte Roswitha.
Johanna war nicht wenig erſtaunt über dieſe
Bemerkung. „Der Herr ſchreibt ſonſt nie nach
Hohen-Cremmen.“
„Ja, ſonſt. Aber jetzt … Denken Sie ſich,
das hat mir eben der Portier unten gegeben.“
Johanna nahm das Blatt und las nun halblaut
eine mit einem dicken Tintenſtrich markierte Stelle:
„Wie wir kurz vor Redaktionsſchluß von gut unter¬
richteter Seite her vernehmen, hat geſtern früh in
dem Badeorte Keſſin, in Hinterpommern, ein Duell
zwiſchen dem Miniſterialrat v. J. (Keithſtraße) und
dem Major von Crampas ſtattgefunden. Major
von Crampas fiel. Es heißt, daß Beziehungen
zwiſchen ihm und der Rätin, einer ſchönen und noch
ſehr jungen Frau, beſtanden haben ſollen.“
„Was ſolche Blätter auch alles ſchreiben,“ ſagte
Johanna, die verſtimmt war, ihre Neuigkeit überholt
zu ſehen. „Ja,“ ſagte Roswitha. „Und das leſen
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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/440>, abgerufen am 22.11.2024.
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