Küche, wo sie mit Roswitha von allem Möglichen sprach, von dem Epheu drüben an der Christuskirche, nächstes Jahr würden die Fenster wohl ganz zu¬ gewachsen sein, von dem Portier, der den Gashahn wieder so schlecht zugeschraubt habe (sie würden doch noch nächstens in die Luft fliegen), und daß sie das Petroleum doch lieber wieder aus der großen Lampen¬ handlung Unter den Linden als aus der Anhaltstraße holen solle, -- von allem Möglichen sprach sie, nur von Annie nicht, weil sie die Furcht nicht aufkommen lassen wollte, die trotz der Zeilen der Ministerin, oder vielleicht auch um dieser Zeilen willen, in ihr lebte.
Nun war Mittag. Endlich wurde geklingelt, schüchtern, und Roswitha ging, um durch das Guck¬ loch zu sehen. Richtig, es war Annie. Roswitha gab dem Kinde einen Kuß, sprach aber sonst kein Wort, und ganz leise, wie wenn ein Kranker im Hause wäre, führte sie das Kind vom Korridor her erst in die Hinterstube und dann bis an die nach vorn führende Thür.
"Da geh' hinein, Annie." Und unter diesen Worten, sie wollte nicht stören, ließ sie das Kind allein und ging wieder auf die Küche zu.
Effi stand am andern Ende des Zimmers, den Rücken gegen den Spiegelpfeiler, als das Kind ein¬
Effi Brieſt
Küche, wo ſie mit Roswitha von allem Möglichen ſprach, von dem Epheu drüben an der Chriſtuskirche, nächſtes Jahr würden die Fenſter wohl ganz zu¬ gewachſen ſein, von dem Portier, der den Gashahn wieder ſo ſchlecht zugeſchraubt habe (ſie würden doch noch nächſtens in die Luft fliegen), und daß ſie das Petroleum doch lieber wieder aus der großen Lampen¬ handlung Unter den Linden als aus der Anhaltſtraße holen ſolle, — von allem Möglichen ſprach ſie, nur von Annie nicht, weil ſie die Furcht nicht aufkommen laſſen wollte, die trotz der Zeilen der Miniſterin, oder vielleicht auch um dieſer Zeilen willen, in ihr lebte.
Nun war Mittag. Endlich wurde geklingelt, ſchüchtern, und Roswitha ging, um durch das Guck¬ loch zu ſehen. Richtig, es war Annie. Roswitha gab dem Kinde einen Kuß, ſprach aber ſonſt kein Wort, und ganz leiſe, wie wenn ein Kranker im Hauſe wäre, führte ſie das Kind vom Korridor her erſt in die Hinterſtube und dann bis an die nach vorn führende Thür.
„Da geh' hinein, Annie.“ Und unter dieſen Worten, ſie wollte nicht ſtören, ließ ſie das Kind allein und ging wieder auf die Küche zu.
Effi ſtand am andern Ende des Zimmers, den Rücken gegen den Spiegelpfeiler, als das Kind ein¬
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Effi Brieſt
Küche, wo ſie mit Roswitha von allem Möglichen
ſprach, von dem Epheu drüben an der Chriſtuskirche,
nächſtes Jahr würden die Fenſter wohl ganz zu¬
gewachſen ſein, von dem Portier, der den Gashahn
wieder ſo ſchlecht zugeſchraubt habe (ſie würden doch
noch nächſtens in die Luft fliegen), und daß ſie das
Petroleum doch lieber wieder aus der großen Lampen¬
handlung Unter den Linden als aus der Anhaltſtraße
holen ſolle, — von allem Möglichen ſprach ſie, nur
von Annie nicht, weil ſie die Furcht nicht aufkommen
laſſen wollte, die trotz der Zeilen der Miniſterin,
oder vielleicht auch um dieſer Zeilen willen, in
ihr lebte.
Nun war Mittag. Endlich wurde geklingelt,
ſchüchtern, und Roswitha ging, um durch das Guck¬
loch zu ſehen. Richtig, es war Annie. Roswitha
gab dem Kinde einen Kuß, ſprach aber ſonſt kein
Wort, und ganz leiſe, wie wenn ein Kranker im
Hauſe wäre, führte ſie das Kind vom Korridor her
erſt in die Hinterſtube und dann bis an die nach
vorn führende Thür.
„Da geh' hinein, Annie.“ Und unter dieſen
Worten, ſie wollte nicht ſtören, ließ ſie das Kind
allein und ging wieder auf die Küche zu.
Effi ſtand am andern Ende des Zimmers, den
Rücken gegen den Spiegelpfeiler, als das Kind ein¬
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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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