aber in seiner Treue war er womöglich noch ge¬ wachsen. Er wich seiner Herrin nicht von der Seite. Den Jagdhund behandelte er wohlwollend, aber doch als ein Wesen auf niederer Stufe. Nachts lag er vor Effi's Thür auf der Binsenmatte, morgens, wenn das Frühstück im Freien genommen wurde, neben der Sonnenuhr, immer ruhig, immer schläfrig, und nur wenn sich Effi vom Frühstückstisch erhob und auf den Flur zuschritt und hier erst den Strohhut und dann den Sonnenschirm vom Ständer nahm, kam ihm seine Jugend wieder, und ohne sich darum zu kümmern, ob seine Kraft auf eine große oder kleine Probe gestellt werden würde, jagte er die Dorfstraße hinauf und wieder herunter und beruhigte sich erst, wenn sie zwischen den ersten Feldern waren. Effi, der freie Luft noch mehr galt, als landschaftliche Schönheit, vermied die kleinen Waldpartieen und hielt meist die große, zunächst von uralten Rüstern und dann, wo die Chaussee begann, von Pappeln besetzte große Straße, die nach der Bahnhofsstation führte, wohl eine Stunde Wegs. An allem freute sie sich, atmete beglückt den Duft ein, der von den Raps- und Kleefeldern herüber kam, oder folgte dem Auf¬ steigen der Lerchen und zählte die Ziehbrunnen und Tröge, daran das Vieh zur Tränke ging. Dabei klang ein leises Läuten zu ihr herüber. Und dann
Effi Brieſt
aber in ſeiner Treue war er womöglich noch ge¬ wachſen. Er wich ſeiner Herrin nicht von der Seite. Den Jagdhund behandelte er wohlwollend, aber doch als ein Weſen auf niederer Stufe. Nachts lag er vor Effi's Thür auf der Binſenmatte, morgens, wenn das Frühſtück im Freien genommen wurde, neben der Sonnenuhr, immer ruhig, immer ſchläfrig, und nur wenn ſich Effi vom Frühſtückstiſch erhob und auf den Flur zuſchritt und hier erſt den Strohhut und dann den Sonnenſchirm vom Ständer nahm, kam ihm ſeine Jugend wieder, und ohne ſich darum zu kümmern, ob ſeine Kraft auf eine große oder kleine Probe geſtellt werden würde, jagte er die Dorfſtraße hinauf und wieder herunter und beruhigte ſich erſt, wenn ſie zwiſchen den erſten Feldern waren. Effi, der freie Luft noch mehr galt, als landſchaftliche Schönheit, vermied die kleinen Waldpartieen und hielt meiſt die große, zunächſt von uralten Rüſtern und dann, wo die Chauſſee begann, von Pappeln beſetzte große Straße, die nach der Bahnhofsſtation führte, wohl eine Stunde Wegs. An allem freute ſie ſich, atmete beglückt den Duft ein, der von den Raps- und Kleefeldern herüber kam, oder folgte dem Auf¬ ſteigen der Lerchen und zählte die Ziehbrunnen und Tröge, daran das Vieh zur Tränke ging. Dabei klang ein leiſes Läuten zu ihr herüber. Und dann
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Effi Brieſt
aber in ſeiner Treue war er womöglich noch ge¬
wachſen. Er wich ſeiner Herrin nicht von der Seite.
Den Jagdhund behandelte er wohlwollend, aber doch
als ein Weſen auf niederer Stufe. Nachts lag er
vor Effi's Thür auf der Binſenmatte, morgens, wenn
das Frühſtück im Freien genommen wurde, neben
der Sonnenuhr, immer ruhig, immer ſchläfrig, und
nur wenn ſich Effi vom Frühſtückstiſch erhob und
auf den Flur zuſchritt und hier erſt den Strohhut
und dann den Sonnenſchirm vom Ständer nahm,
kam ihm ſeine Jugend wieder, und ohne ſich darum
zu kümmern, ob ſeine Kraft auf eine große oder kleine
Probe geſtellt werden würde, jagte er die Dorfſtraße
hinauf und wieder herunter und beruhigte ſich erſt,
wenn ſie zwiſchen den erſten Feldern waren. Effi,
der freie Luft noch mehr galt, als landſchaftliche
Schönheit, vermied die kleinen Waldpartieen und hielt
meiſt die große, zunächſt von uralten Rüſtern und
dann, wo die Chauſſee begann, von Pappeln beſetzte
große Straße, die nach der Bahnhofsſtation führte,
wohl eine Stunde Wegs. An allem freute ſie ſich,
atmete beglückt den Duft ein, der von den Raps-
und Kleefeldern herüber kam, oder folgte dem Auf¬
ſteigen der Lerchen und zählte die Ziehbrunnen und
Tröge, daran das Vieh zur Tränke ging. Dabei
klang ein leiſes Läuten zu ihr herüber. Und dann
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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/520>, abgerufen am 17.02.2025.
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