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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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wäre. Mit einem Mal aber sah die Alte, deren
Auge bis dahin immer in derselben Richtung ge¬
gangen war, von ihrem Herdfeuer auf und erschrak,
als sie der Veränderung in Lenens Gesicht gewahr
wurde.

"Lene, Kind, was hast Du? Lene, wie siehst Du
nur aus?" Und so schwer beweglich sie sonsten war,
heute machte sie sich im Umsehn von ihrer Fußbank
los und suchte nach dem Krug, um die noch immer
wie halbtodt Dasitzende mit Wasser zu besprengen.
Aber der Krug war leer und so humpelte sie nach
dem Flur und vom Flur nach Hof und Garten
hinaus, um die gute Frau Dörr zu rufen, die gerade
Goldlack und Jelänger-Jelieber abschnitt, um Markt¬
sträuße daraus zu binden. Ihr Alter aber stand
neben ihr und sagte: "Nimm nich wieder zu viel
Strippe."

Frau Dörr, als sie das jämmerliche Rufen der
alten Frau von fernher hörte, verfärbte sich und
antwortete mit lauter Stimme: "Komme schon,
Mutter Nimptsch, komme schon," und alles weg¬
werfend, was sie von Blumen und Bast in der
Hand hatte, lief sie gleich auf das kleine Vorder¬
haus zu, weil sie sich sagte, daß da was los sein
müsse.

"Richtig, dacht' ich's doch . . . Leneken." Und
dabei rüttelte und schüttelte sie die nach wie vor

wäre. Mit einem Mal aber ſah die Alte, deren
Auge bis dahin immer in derſelben Richtung ge¬
gangen war, von ihrem Herdfeuer auf und erſchrak,
als ſie der Veränderung in Lenens Geſicht gewahr
wurde.

„Lene, Kind, was haſt Du? Lene, wie ſiehſt Du
nur aus?“ Und ſo ſchwer beweglich ſie ſonſten war,
heute machte ſie ſich im Umſehn von ihrer Fußbank
los und ſuchte nach dem Krug, um die noch immer
wie halbtodt Daſitzende mit Waſſer zu beſprengen.
Aber der Krug war leer und ſo humpelte ſie nach
dem Flur und vom Flur nach Hof und Garten
hinaus, um die gute Frau Dörr zu rufen, die gerade
Goldlack und Jelänger-Jelieber abſchnitt, um Markt¬
ſträuße daraus zu binden. Ihr Alter aber ſtand
neben ihr und ſagte: „Nimm nich wieder zu viel
Strippe.“

Frau Dörr, als ſie das jämmerliche Rufen der
alten Frau von fernher hörte, verfärbte ſich und
antwortete mit lauter Stimme: „Komme ſchon,
Mutter Nimptſch, komme ſchon,“ und alles weg¬
werfend, was ſie von Blumen und Baſt in der
Hand hatte, lief ſie gleich auf das kleine Vorder¬
haus zu, weil ſie ſich ſagte, daß da was los ſein
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„Richtig, dacht' ich's doch . . . Leneken.“ Und
dabei rüttelte und ſchüttelte ſie die nach wie vor

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[178/0188] wäre. Mit einem Mal aber ſah die Alte, deren Auge bis dahin immer in derſelben Richtung ge¬ gangen war, von ihrem Herdfeuer auf und erſchrak, als ſie der Veränderung in Lenens Geſicht gewahr wurde. „Lene, Kind, was haſt Du? Lene, wie ſiehſt Du nur aus?“ Und ſo ſchwer beweglich ſie ſonſten war, heute machte ſie ſich im Umſehn von ihrer Fußbank los und ſuchte nach dem Krug, um die noch immer wie halbtodt Daſitzende mit Waſſer zu beſprengen. Aber der Krug war leer und ſo humpelte ſie nach dem Flur und vom Flur nach Hof und Garten hinaus, um die gute Frau Dörr zu rufen, die gerade Goldlack und Jelänger-Jelieber abſchnitt, um Markt¬ ſträuße daraus zu binden. Ihr Alter aber ſtand neben ihr und ſagte: „Nimm nich wieder zu viel Strippe.“ Frau Dörr, als ſie das jämmerliche Rufen der alten Frau von fernher hörte, verfärbte ſich und antwortete mit lauter Stimme: „Komme ſchon, Mutter Nimptſch, komme ſchon,“ und alles weg¬ werfend, was ſie von Blumen und Baſt in der Hand hatte, lief ſie gleich auf das kleine Vorder¬ haus zu, weil ſie ſich ſagte, daß da was los ſein müſſe. „Richtig, dacht' ich's doch . . . Leneken.“ Und dabei rüttelte und ſchüttelte ſie die nach wie vor

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/188>, abgerufen am 24.11.2024.