Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

die jeden Morgen aus den Treibhäusern hervor¬
geholten Blumen ihre frische Luft schöpfen durften,
hier war der Stall mit Kuh und Ziege, hier die
Hütte mit dem Ziehhund und von hier aus erstreckte
sich auch das wohl fünfzig Schritte lange Doppel-
Mistbeet, mit einem schmalen Gange dazwischen, bis
an den großen, weiter zurückgelegenen Gemüsegarten.
In diesem sah es nicht sonderlich ordentlich aus,
einmal weil Dörr keinen Sinn für Ordnung, außerdem
aber eine so große Hühnerpassion hatte, daß er diesen
seinen Lieblingen, ohne Rücksicht auf den Schaden,
den sie stifteten, überall umherzupicken gestattete
Groß freilich war dieser Schaden nie, da seiner
Gärtnerei, die Spargelanlagen abgerechnet, alles
Feinere fehlte. Dörr hielt das Gewöhnlichste zu¬
gleich für das Vortheilhafteste, zog deshalb Majoran
und andere Wurstkräuter, besonders aber Borre,
hinsichtlich dessen er der Ansicht lebte, daß der richtige
Berliner überhaupt nur drei Dinge brauche: eine
Weiße, einen Gilka und Borre. "Bei Borre,"
schloß er dann regelmäßig, "ist noch keiner zu kurz
gekommen." Er war überhaupt ein Original, von
ganz selbstständigen Anschauungen und einer ent¬
schiedenen Gleichgiltigkeit gegen das, was über ihn
gesagt wurde. Dem entsprach denn auch seine zweite
Heirath, eine Neigungsheirath, bei der die Vor¬
stellung von einer besondren Schönheit seiner Frau

die jeden Morgen aus den Treibhäuſern hervor¬
geholten Blumen ihre friſche Luft ſchöpfen durften,
hier war der Stall mit Kuh und Ziege, hier die
Hütte mit dem Ziehhund und von hier aus erſtreckte
ſich auch das wohl fünfzig Schritte lange Doppel-
Miſtbeet, mit einem ſchmalen Gange dazwiſchen, bis
an den großen, weiter zurückgelegenen Gemüſegarten.
In dieſem ſah es nicht ſonderlich ordentlich aus,
einmal weil Dörr keinen Sinn für Ordnung, außerdem
aber eine ſo große Hühnerpaſſion hatte, daß er dieſen
ſeinen Lieblingen, ohne Rückſicht auf den Schaden,
den ſie ſtifteten, überall umherzupicken geſtattete
Groß freilich war dieſer Schaden nie, da ſeiner
Gärtnerei, die Spargelanlagen abgerechnet, alles
Feinere fehlte. Dörr hielt das Gewöhnlichſte zu¬
gleich für das Vortheilhafteſte, zog deshalb Majoran
und andere Wurſtkräuter, beſonders aber Borré,
hinſichtlich deſſen er der Anſicht lebte, daß der richtige
Berliner überhaupt nur drei Dinge brauche: eine
Weiße, einen Gilka und Borré. „Bei Borré,“
ſchloß er dann regelmäßig, „iſt noch keiner zu kurz
gekommen.“ Er war überhaupt ein Original, von
ganz ſelbſtſtändigen Anſchauungen und einer ent¬
ſchiedenen Gleichgiltigkeit gegen das, was über ihn
geſagt wurde. Dem entſprach denn auch ſeine zweite
Heirath, eine Neigungsheirath, bei der die Vor¬
ſtellung von einer beſondren Schönheit ſeiner Frau

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="10"/>
die jeden Morgen aus den Treibhäu&#x017F;ern hervor¬<lb/>
geholten Blumen ihre fri&#x017F;che Luft &#x017F;chöpfen durften,<lb/>
hier war der Stall mit Kuh und Ziege, hier die<lb/>
Hütte mit dem Ziehhund und von hier aus er&#x017F;treckte<lb/>
&#x017F;ich auch das wohl fünfzig Schritte lange Doppel-<lb/>
Mi&#x017F;tbeet, mit einem &#x017F;chmalen Gange dazwi&#x017F;chen, bis<lb/>
an den großen, weiter zurückgelegenen Gemü&#x017F;egarten.<lb/>
In die&#x017F;em &#x017F;ah es nicht &#x017F;onderlich ordentlich aus,<lb/>
einmal weil Dörr keinen Sinn für Ordnung, außerdem<lb/>
aber eine &#x017F;o große Hühnerpa&#x017F;&#x017F;ion hatte, daß er die&#x017F;en<lb/>
&#x017F;einen Lieblingen, ohne Rück&#x017F;icht auf den Schaden,<lb/>
den &#x017F;ie &#x017F;tifteten, überall umherzupicken ge&#x017F;tattete<lb/>
Groß freilich war die&#x017F;er Schaden nie, da &#x017F;einer<lb/>
Gärtnerei, die Spargelanlagen abgerechnet, alles<lb/>
Feinere fehlte. Dörr hielt das Gewöhnlich&#x017F;te zu¬<lb/>
gleich für das Vortheilhafte&#x017F;te, zog deshalb Majoran<lb/>
und andere Wur&#x017F;tkräuter, be&#x017F;onders aber Borr<hi rendition="#aq">é,</hi><lb/>
hin&#x017F;ichtlich de&#x017F;&#x017F;en er der An&#x017F;icht lebte, daß der richtige<lb/>
Berliner überhaupt nur drei Dinge brauche: eine<lb/>
Weiße, einen Gilka und Borr<hi rendition="#aq">é</hi>. &#x201E;Bei Borr<hi rendition="#aq">é</hi>,&#x201C;<lb/>
&#x017F;chloß er dann regelmäßig, &#x201E;i&#x017F;t noch keiner zu kurz<lb/>
gekommen.&#x201C; Er war überhaupt ein Original, von<lb/>
ganz &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändigen An&#x017F;chauungen und einer ent¬<lb/>
&#x017F;chiedenen Gleichgiltigkeit gegen das, was über ihn<lb/>
ge&#x017F;agt wurde. Dem ent&#x017F;prach denn auch &#x017F;eine zweite<lb/>
Heirath, eine Neigungsheirath, bei der die Vor¬<lb/>
&#x017F;tellung von einer be&#x017F;ondren Schönheit &#x017F;einer Frau<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0020] die jeden Morgen aus den Treibhäuſern hervor¬ geholten Blumen ihre friſche Luft ſchöpfen durften, hier war der Stall mit Kuh und Ziege, hier die Hütte mit dem Ziehhund und von hier aus erſtreckte ſich auch das wohl fünfzig Schritte lange Doppel- Miſtbeet, mit einem ſchmalen Gange dazwiſchen, bis an den großen, weiter zurückgelegenen Gemüſegarten. In dieſem ſah es nicht ſonderlich ordentlich aus, einmal weil Dörr keinen Sinn für Ordnung, außerdem aber eine ſo große Hühnerpaſſion hatte, daß er dieſen ſeinen Lieblingen, ohne Rückſicht auf den Schaden, den ſie ſtifteten, überall umherzupicken geſtattete Groß freilich war dieſer Schaden nie, da ſeiner Gärtnerei, die Spargelanlagen abgerechnet, alles Feinere fehlte. Dörr hielt das Gewöhnlichſte zu¬ gleich für das Vortheilhafteſte, zog deshalb Majoran und andere Wurſtkräuter, beſonders aber Borré, hinſichtlich deſſen er der Anſicht lebte, daß der richtige Berliner überhaupt nur drei Dinge brauche: eine Weiße, einen Gilka und Borré. „Bei Borré,“ ſchloß er dann regelmäßig, „iſt noch keiner zu kurz gekommen.“ Er war überhaupt ein Original, von ganz ſelbſtſtändigen Anſchauungen und einer ent¬ ſchiedenen Gleichgiltigkeit gegen das, was über ihn geſagt wurde. Dem entſprach denn auch ſeine zweite Heirath, eine Neigungsheirath, bei der die Vor¬ ſtellung von einer beſondren Schönheit ſeiner Frau

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/20
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/20>, abgerufen am 21.11.2024.