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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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Weile, so hielt man vor einem lehnan gebauten,
mit hohem Dach und vorspringendem Giebel aus¬
staffirten Eckhause, dessen Erdgeschoßfenster so niedrig
über der Straße lagen, daß sie mit dieser fast
dasselbe Niveau hatten. Ein eiserner Arm streckte
sich aus dem Giebel vor und trug einen aufrecht
stehenden vergoldeten Schlüssel.

"Was ist das?" fragte Botho.

"Der Rollkrug."

"Gut. Dann sind wir bald da. Blos hier noch
bergan. Thut mir leid um den Schimmel, aber es
hilft nichts."

Der Kutscher gab dem Pferd einen Knips und
gleich darnach fuhren sie die mäßig ansteigende Berg¬
straße hinauf, an deren einer Seite der alte, wegen
Ueberfüllung schon wieder halb geschlossene Jakobi-
Kirchhof lag, während an der dem Kirchhofszaun
gegenüber gelegenen Seite hohe Miethskasernen auf¬
stiegen.

Vor dem letzten Hause standen umherziehende
Spielleute, Horn und Harfe, dem Anscheine nach
Mann und Frau. Die Frau sang auch, aber der
Wind, der hier ziemlich scharf ging, trieb alles
hügelan und erst als Botho zehn Schritt und mehr
an dem armen Musikantenpaare vorüber war, war
er in der Lage, Text und Melodie zu hören. Es
war dasselbe Lied, das sie damals auf dem Wilmers¬

Weile, ſo hielt man vor einem lehnan gebauten,
mit hohem Dach und vorſpringendem Giebel aus¬
ſtaffirten Eckhauſe, deſſen Erdgeſchoßfenſter ſo niedrig
über der Straße lagen, daß ſie mit dieſer faſt
daſſelbe Niveau hatten. Ein eiſerner Arm ſtreckte
ſich aus dem Giebel vor und trug einen aufrecht
ſtehenden vergoldeten Schlüſſel.

„Was iſt das?“ fragte Botho.

„Der Rollkrug.“

„Gut. Dann ſind wir bald da. Blos hier noch
bergan. Thut mir leid um den Schimmel, aber es
hilft nichts.“

Der Kutſcher gab dem Pferd einen Knips und
gleich darnach fuhren ſie die mäßig anſteigende Berg¬
ſtraße hinauf, an deren einer Seite der alte, wegen
Ueberfüllung ſchon wieder halb geſchloſſene Jakobi-
Kirchhof lag, während an der dem Kirchhofszaun
gegenüber gelegenen Seite hohe Miethskaſernen auf¬
ſtiegen.

Vor dem letzten Hauſe ſtanden umherziehende
Spielleute, Horn und Harfe, dem Anſcheine nach
Mann und Frau. Die Frau ſang auch, aber der
Wind, der hier ziemlich ſcharf ging, trieb alles
hügelan und erſt als Botho zehn Schritt und mehr
an dem armen Muſikantenpaare vorüber war, war
er in der Lage, Text und Melodie zu hören. Es
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[240/0250] Weile, ſo hielt man vor einem lehnan gebauten, mit hohem Dach und vorſpringendem Giebel aus¬ ſtaffirten Eckhauſe, deſſen Erdgeſchoßfenſter ſo niedrig über der Straße lagen, daß ſie mit dieſer faſt daſſelbe Niveau hatten. Ein eiſerner Arm ſtreckte ſich aus dem Giebel vor und trug einen aufrecht ſtehenden vergoldeten Schlüſſel. „Was iſt das?“ fragte Botho. „Der Rollkrug.“ „Gut. Dann ſind wir bald da. Blos hier noch bergan. Thut mir leid um den Schimmel, aber es hilft nichts.“ Der Kutſcher gab dem Pferd einen Knips und gleich darnach fuhren ſie die mäßig anſteigende Berg¬ ſtraße hinauf, an deren einer Seite der alte, wegen Ueberfüllung ſchon wieder halb geſchloſſene Jakobi- Kirchhof lag, während an der dem Kirchhofszaun gegenüber gelegenen Seite hohe Miethskaſernen auf¬ ſtiegen. Vor dem letzten Hauſe ſtanden umherziehende Spielleute, Horn und Harfe, dem Anſcheine nach Mann und Frau. Die Frau ſang auch, aber der Wind, der hier ziemlich ſcharf ging, trieb alles hügelan und erſt als Botho zehn Schritt und mehr an dem armen Muſikantenpaare vorüber war, war er in der Lage, Text und Melodie zu hören. Es war daſſelbe Lied, das ſie damals auf dem Wilmers¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/250>, abgerufen am 24.11.2024.