und der Diener trat ein, um die draußen abgegebenen Briefe zu bringen. Der eine, graues Kouvert in Quadrat, war offen und mit einer Dreipfennigmarke frankirt. "Hamburger Lotterieloos oder neue Zigarren," sagte Rienäcker und warf Kouvert und Inhalt, ohne weiter nachzusehen, bei Seite. "Aber das hier . . . Ah, von Lene. Nun den verspare ich mir bis zuletzt, wenn ihm dieser dritte, gesiegelte, nicht den Rang streitig macht. Osten'sches Wappen. Also von Onkel Kurt Anton; Poststempel "Berlin", will sagen: schon da. Was wird er nur wollen? Zehn gegen eins, ich soll mit ihm frühstücken oder einen Sattel kaufen oder ihn zu Renz begleiten, vielleicht auch zu Kroll; am wahrscheinlichsten das eine thun und das andere nicht lassen."
Und er schnitt das Kouvert, auf dem er auch Onkel Osten's Handschrift erkannt hatte, mit einem auf dem Fensterbrett liegenden Messerchen auf und nahm den Brief heraus. Der aber lautete:
"Hotel Brandenburg, Nummer 15. Mein lieber Botho. Vor einer Stunde bin ich hier unter eurer alten Berliner Devise "vor Taschendieben wird gewarnt", auf dem Ostbahnhofe glücklich eingetroffen und habe mich in Hotel Brandenburg einquartiert, will sagen an alter Stelle; was ein richtiger Kon¬ servativer ist, ist es auch in kleinen Dingen. Ich bleibe nur zwei Tage, denn eure Luft drückt mich.
und der Diener trat ein, um die draußen abgegebenen Briefe zu bringen. Der eine, graues Kouvert in Quadrat, war offen und mit einer Dreipfennigmarke frankirt. „Hamburger Lotterieloos oder neue Zigarren,“ ſagte Rienäcker und warf Kouvert und Inhalt, ohne weiter nachzuſehen, bei Seite. „Aber das hier . . . Ah, von Lene. Nun den verſpare ich mir bis zuletzt, wenn ihm dieſer dritte, geſiegelte, nicht den Rang ſtreitig macht. Oſten'ſches Wappen. Alſo von Onkel Kurt Anton; Poſtſtempel „Berlin“, will ſagen: ſchon da. Was wird er nur wollen? Zehn gegen eins, ich ſoll mit ihm frühſtücken oder einen Sattel kaufen oder ihn zu Renz begleiten, vielleicht auch zu Kroll; am wahrſcheinlichſten das eine thun und das andere nicht laſſen.“
Und er ſchnitt das Kouvert, auf dem er auch Onkel Oſten's Handſchrift erkannt hatte, mit einem auf dem Fenſterbrett liegenden Meſſerchen auf und nahm den Brief heraus. Der aber lautete:
„Hotel Brandenburg, Nummer 15. Mein lieber Botho. Vor einer Stunde bin ich hier unter eurer alten Berliner Deviſe „vor Taſchendieben wird gewarnt“, auf dem Oſtbahnhofe glücklich eingetroffen und habe mich in Hotel Brandenburg einquartiert, will ſagen an alter Stelle; was ein richtiger Kon¬ ſervativer iſt, iſt es auch in kleinen Dingen. Ich bleibe nur zwei Tage, denn eure Luft drückt mich.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0064"n="54"/>
und der Diener trat ein, um die draußen abgegebenen<lb/>
Briefe zu bringen. Der eine, graues Kouvert in<lb/>
Quadrat, war offen und mit einer Dreipfennigmarke<lb/>
frankirt. „Hamburger Lotterieloos oder neue<lb/>
Zigarren,“ſagte Rienäcker und warf Kouvert und<lb/>
Inhalt, ohne weiter nachzuſehen, bei Seite. „Aber<lb/>
das hier . . . Ah, von Lene. Nun <hirendition="#g">den</hi> verſpare ich<lb/>
mir bis zuletzt, wenn ihm dieſer dritte, geſiegelte,<lb/>
nicht den Rang ſtreitig macht. Oſten'ſches Wappen.<lb/>
Alſo von Onkel Kurt Anton; Poſtſtempel „Berlin“,<lb/>
will ſagen: ſchon da. Was wird er nur wollen?<lb/>
Zehn gegen eins, ich ſoll mit ihm frühſtücken oder<lb/>
einen Sattel kaufen oder ihn zu Renz begleiten,<lb/>
vielleicht auch zu Kroll; am wahrſcheinlichſten das<lb/>
eine thun und das andere nicht laſſen.“</p><lb/><p>Und er ſchnitt das Kouvert, auf dem er auch<lb/>
Onkel Oſten's Handſchrift erkannt hatte, mit einem<lb/>
auf dem Fenſterbrett liegenden Meſſerchen auf und<lb/>
nahm den Brief heraus. Der aber lautete:</p><lb/><p>„<hirendition="#g">Hotel Brandenburg</hi>, Nummer 15. Mein<lb/>
lieber Botho. Vor einer Stunde bin ich hier unter<lb/>
eurer alten Berliner Deviſe „vor Taſchendieben wird<lb/>
gewarnt“, auf dem Oſtbahnhofe glücklich eingetroffen<lb/>
und habe mich in Hotel Brandenburg einquartiert,<lb/>
will ſagen an alter Stelle; was ein richtiger Kon¬<lb/>ſervativer iſt, iſt es auch in kleinen Dingen. Ich<lb/>
bleibe nur zwei Tage, denn eure Luft drückt mich.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[54/0064]
und der Diener trat ein, um die draußen abgegebenen
Briefe zu bringen. Der eine, graues Kouvert in
Quadrat, war offen und mit einer Dreipfennigmarke
frankirt. „Hamburger Lotterieloos oder neue
Zigarren,“ ſagte Rienäcker und warf Kouvert und
Inhalt, ohne weiter nachzuſehen, bei Seite. „Aber
das hier . . . Ah, von Lene. Nun den verſpare ich
mir bis zuletzt, wenn ihm dieſer dritte, geſiegelte,
nicht den Rang ſtreitig macht. Oſten'ſches Wappen.
Alſo von Onkel Kurt Anton; Poſtſtempel „Berlin“,
will ſagen: ſchon da. Was wird er nur wollen?
Zehn gegen eins, ich ſoll mit ihm frühſtücken oder
einen Sattel kaufen oder ihn zu Renz begleiten,
vielleicht auch zu Kroll; am wahrſcheinlichſten das
eine thun und das andere nicht laſſen.“
Und er ſchnitt das Kouvert, auf dem er auch
Onkel Oſten's Handſchrift erkannt hatte, mit einem
auf dem Fenſterbrett liegenden Meſſerchen auf und
nahm den Brief heraus. Der aber lautete:
„Hotel Brandenburg, Nummer 15. Mein
lieber Botho. Vor einer Stunde bin ich hier unter
eurer alten Berliner Deviſe „vor Taſchendieben wird
gewarnt“, auf dem Oſtbahnhofe glücklich eingetroffen
und habe mich in Hotel Brandenburg einquartiert,
will ſagen an alter Stelle; was ein richtiger Kon¬
ſervativer iſt, iſt es auch in kleinen Dingen. Ich
bleibe nur zwei Tage, denn eure Luft drückt mich.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/64>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.