Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.vollkommen anspruchslos, eine tief bescheidene Natur, die die sogenannten Gaben nicht mißachtete, aber auch nicht überschätzte und das Gewicht auf die Gesinnung legte. Seine Beziehungen zu den guten Familien der Stadt waren die besten von der Welt. Unter anderen Verhältnissen, hätte er es sehr wahrscheinlich vorgezogen, mit seinen Standesgenossen zu leben, aber in Swinemünde gab es deren nicht und in der Nachbarschaft nur sehr wenige. So schloß er sich gesellschaftlich dem an, was da war. Nur in Einem nahm er beharrlich eine Sonderstellung ein, wohl mit einer kleinen liebenswürdigen Absichtlichkeit. Das war hinsichtlich des Tischweins. Auf allen Tafeln hielt man streng zum Stettiner Rothwein, der alte Flemming aber bezog ihn direkt aus Bordeaux, was ihm viele Kosten und wenig Dank einbrachte. "Wenn er sich doch zur Stettiner Traube bekehren wollte," so hieß es oft, ohne daß es geholfen hätte. Seine hinterpommerschen Güter waren verpachtet und wurden erst nach seinem Tode von der Familie wieder übernommen. Er hatte sich spät verheirathet und sein Haus, dem ein reicher Kindersegen erblühte, that sich ebenso durch gute Sitte wie durch Herzensgüte hervor. Zwischen seiner Frau und meiner Mutter bestand eine große Liebe, was wohl in gegenseitigem Respekt der Charaktere vollkommen anspruchslos, eine tief bescheidene Natur, die die sogenannten Gaben nicht mißachtete, aber auch nicht überschätzte und das Gewicht auf die Gesinnung legte. Seine Beziehungen zu den guten Familien der Stadt waren die besten von der Welt. Unter anderen Verhältnissen, hätte er es sehr wahrscheinlich vorgezogen, mit seinen Standesgenossen zu leben, aber in Swinemünde gab es deren nicht und in der Nachbarschaft nur sehr wenige. So schloß er sich gesellschaftlich dem an, was da war. Nur in Einem nahm er beharrlich eine Sonderstellung ein, wohl mit einer kleinen liebenswürdigen Absichtlichkeit. Das war hinsichtlich des Tischweins. Auf allen Tafeln hielt man streng zum Stettiner Rothwein, der alte Flemming aber bezog ihn direkt aus Bordeaux, was ihm viele Kosten und wenig Dank einbrachte. „Wenn er sich doch zur Stettiner Traube bekehren wollte,“ so hieß es oft, ohne daß es geholfen hätte. Seine hinterpommerschen Güter waren verpachtet und wurden erst nach seinem Tode von der Familie wieder übernommen. Er hatte sich spät verheirathet und sein Haus, dem ein reicher Kindersegen erblühte, that sich ebenso durch gute Sitte wie durch Herzensgüte hervor. Zwischen seiner Frau und meiner Mutter bestand eine große Liebe, was wohl in gegenseitigem Respekt der Charaktere <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0099" n="91"/> vollkommen anspruchslos, eine tief bescheidene Natur, die die sogenannten Gaben nicht mißachtete, aber auch nicht überschätzte und das Gewicht auf die Gesinnung legte. Seine Beziehungen zu den guten Familien der Stadt waren die besten von der Welt. Unter anderen Verhältnissen, hätte er es sehr wahrscheinlich vorgezogen, mit seinen Standesgenossen zu leben, aber in Swinemünde gab es deren nicht und in der Nachbarschaft nur sehr wenige. So schloß er sich gesellschaftlich dem an, was da war. Nur in Einem nahm er beharrlich eine Sonderstellung ein, wohl mit einer kleinen liebenswürdigen Absichtlichkeit. Das war hinsichtlich des Tischweins. Auf allen Tafeln hielt man streng zum Stettiner Rothwein, der alte Flemming aber bezog ihn direkt aus Bordeaux, was ihm viele Kosten und wenig Dank einbrachte. „Wenn er sich doch zur Stettiner Traube bekehren wollte,“ so hieß es oft, ohne daß es geholfen hätte. Seine hinterpommerschen Güter waren verpachtet und wurden erst nach seinem Tode von der Familie wieder übernommen. Er hatte sich spät verheirathet und sein Haus, dem ein reicher Kindersegen erblühte, that sich ebenso durch gute Sitte wie durch Herzensgüte hervor. Zwischen seiner Frau und meiner Mutter bestand eine große Liebe, was wohl in gegenseitigem Respekt der Charaktere </p> </div> </body> </text> </TEI> [91/0099]
vollkommen anspruchslos, eine tief bescheidene Natur, die die sogenannten Gaben nicht mißachtete, aber auch nicht überschätzte und das Gewicht auf die Gesinnung legte. Seine Beziehungen zu den guten Familien der Stadt waren die besten von der Welt. Unter anderen Verhältnissen, hätte er es sehr wahrscheinlich vorgezogen, mit seinen Standesgenossen zu leben, aber in Swinemünde gab es deren nicht und in der Nachbarschaft nur sehr wenige. So schloß er sich gesellschaftlich dem an, was da war. Nur in Einem nahm er beharrlich eine Sonderstellung ein, wohl mit einer kleinen liebenswürdigen Absichtlichkeit. Das war hinsichtlich des Tischweins. Auf allen Tafeln hielt man streng zum Stettiner Rothwein, der alte Flemming aber bezog ihn direkt aus Bordeaux, was ihm viele Kosten und wenig Dank einbrachte. „Wenn er sich doch zur Stettiner Traube bekehren wollte,“ so hieß es oft, ohne daß es geholfen hätte. Seine hinterpommerschen Güter waren verpachtet und wurden erst nach seinem Tode von der Familie wieder übernommen. Er hatte sich spät verheirathet und sein Haus, dem ein reicher Kindersegen erblühte, that sich ebenso durch gute Sitte wie durch Herzensgüte hervor. Zwischen seiner Frau und meiner Mutter bestand eine große Liebe, was wohl in gegenseitigem Respekt der Charaktere
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