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Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.

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Um sechs war Vesper. Es hatte zu regnen begonnen und war kalt geworden. Die Dorfgasse lag in Dunkel, nur hier und da blitzte was auf, und solch schwacher Lichtschein kam auch aus einem kleinen Wirtshause, das dem Theobaldstift gegenüber lag. Um den Tisch herum saßen dieselben vier Leute, die vormittags den Verwundeten aus dem Walde heruntergeschleppt hatten. Drei davon tranken ihren Ingwer und sahen, die Beine weit vorgestreckt, stumpf und gleichgültig vor sich hin; der Jüngste aber, Aloys, war in Unruhe. Von Minute zu Minute stand er auf und starrte, während er das von Wasserdunst beschlagene Fenster putzte, nach dem Stift hinüber. Es war immer noch nicht Zeit. Endlich indessen nahm er wahr, daß die kleine Seitenpforte drüben aufging und Schwester Elisabeth heraustrat, hinter ihr ein paar andere Schwestern, zuletzt auch Schwester Beate. Sie wollten, wie jeden Abend, so auch heute zur Abendandacht und schritten auf einen überdeckten, aber an beiden Seiten offenen Gang zu, der die Verbindung mit einem daneben gelegenen Kapellchen herstellte. "Nun ist es Zeit," sagte Aloys, und sofort erhoben sich alle und gingen über die Dorfstraße nach dem Stift hinüber, wo sich die drei älteren im Schatten der Eingangsthür aufstellten, während Aloys bei dem

Um sechs war Vesper. Es hatte zu regnen begonnen und war kalt geworden. Die Dorfgasse lag in Dunkel, nur hier und da blitzte was auf, und solch schwacher Lichtschein kam auch aus einem kleinen Wirtshause, das dem Theobaldstift gegenüber lag. Um den Tisch herum saßen dieselben vier Leute, die vormittags den Verwundeten aus dem Walde heruntergeschleppt hatten. Drei davon tranken ihren Ingwer und sahen, die Beine weit vorgestreckt, stumpf und gleichgültig vor sich hin; der Jüngste aber, Aloys, war in Unruhe. Von Minute zu Minute stand er auf und starrte, während er das von Wasserdunst beschlagene Fenster putzte, nach dem Stift hinüber. Es war immer noch nicht Zeit. Endlich indessen nahm er wahr, daß die kleine Seitenpforte drüben aufging und Schwester Elisabeth heraustrat, hinter ihr ein paar andere Schwestern, zuletzt auch Schwester Beate. Sie wollten, wie jeden Abend, so auch heute zur Abendandacht und schritten auf einen überdeckten, aber an beiden Seiten offenen Gang zu, der die Verbindung mit einem daneben gelegenen Kapellchen herstellte. „Nun ist es Zeit,“ sagte Aloys, und sofort erhoben sich alle und gingen über die Dorfstraße nach dem Stift hinüber, wo sich die drei älteren im Schatten der Eingangsthür aufstellten, während Aloys bei dem

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[204/0206] Um sechs war Vesper. Es hatte zu regnen begonnen und war kalt geworden. Die Dorfgasse lag in Dunkel, nur hier und da blitzte was auf, und solch schwacher Lichtschein kam auch aus einem kleinen Wirtshause, das dem Theobaldstift gegenüber lag. Um den Tisch herum saßen dieselben vier Leute, die vormittags den Verwundeten aus dem Walde heruntergeschleppt hatten. Drei davon tranken ihren Ingwer und sahen, die Beine weit vorgestreckt, stumpf und gleichgültig vor sich hin; der Jüngste aber, Aloys, war in Unruhe. Von Minute zu Minute stand er auf und starrte, während er das von Wasserdunst beschlagene Fenster putzte, nach dem Stift hinüber. Es war immer noch nicht Zeit. Endlich indessen nahm er wahr, daß die kleine Seitenpforte drüben aufging und Schwester Elisabeth heraustrat, hinter ihr ein paar andere Schwestern, zuletzt auch Schwester Beate. Sie wollten, wie jeden Abend, so auch heute zur Abendandacht und schritten auf einen überdeckten, aber an beiden Seiten offenen Gang zu, der die Verbindung mit einem daneben gelegenen Kapellchen herstellte. „Nun ist es Zeit,“ sagte Aloys, und sofort erhoben sich alle und gingen über die Dorfstraße nach dem Stift hinüber, wo sich die drei älteren im Schatten der Eingangsthür aufstellten, während Aloys bei dem

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2014-01-22T15:28:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-22T15:28:28Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2014-01-22T15:28:28Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von vor und nach der Reise. Plaudereien und kleine Geschichten. Hrsg. von Walter Hettche und Gabriele Radecke. Berlin 2007 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 19]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet;
  • Druckfehler: stillschweigend korrigiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet;
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/206>, abgerufen am 19.05.2024.