Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894."Ja, das machen die Jahre. Wenn man erst alt ist ..." "Bin ich auch." "Aber nicht so wie ich ..." "Na, wie alt denn Alterchen?" "Achtzig." "Ja, da sind Sie mir ein Stück vor. Wollen wohl auch noch in die Kirche?" "Nein, ich sitze blos hier und höre die Glocken gehen. Jetzt läuten sie das dritte Mal. Das ist so meine Andacht. In meinem Alter ..." "Ja, da will's nicht mehr recht, wenn man auch dicht an der Kanzel sitzt. Man hört nicht mehr alles ... Und die Predigt ist auch meistens zu jung." "Ja, wenn man alt ist, ist alles zu jung." Ich lächelte, was ihm, so gut es ging, mein Einverständnis ausdrücken sollte, und ging dann auf eine nach der andern Seite hin gelegene Jelängerjelieber-Laube zu, die mir als Specialbesitz gehörte. Da wollt' ich einen Brief schreiben und die Zeitungen lesen. Als ich damit geendet hatte, belebte sich's wieder um mich her. Die Kirche war aus, und die Wirtin[,] „Ja, das machen die Jahre. Wenn man erst alt ist …“ „Bin ich auch.“ „Aber nicht so wie ich …“ „Na, wie alt denn Alterchen?“ „Achtzig.“ „Ja, da sind Sie mir ein Stück vor. Wollen wohl auch noch in die Kirche?“ „Nein, ich sitze blos hier und höre die Glocken gehen. Jetzt läuten sie das dritte Mal. Das ist so meine Andacht. In meinem Alter …“ „Ja, da will’s nicht mehr recht, wenn man auch dicht an der Kanzel sitzt. Man hört nicht mehr alles … Und die Predigt ist auch meistens zu jung.“ „Ja, wenn man alt ist, ist alles zu jung.“ Ich lächelte, was ihm, so gut es ging, mein Einverständnis ausdrücken sollte, und ging dann auf eine nach der andern Seite hin gelegene Jelängerjelieber-Laube zu, die mir als Specialbesitz gehörte. Da wollt’ ich einen Brief schreiben und die Zeitungen lesen. Als ich damit geendet hatte, belebte sich’s wieder um mich her. Die Kirche war aus, und die Wirtin[,] <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0218" n="216"/> <p>„Ja, das machen die Jahre. Wenn man erst alt ist …“</p><lb/> <p>„Bin ich auch.“</p><lb/> <p>„Aber nicht so wie ich …“</p><lb/> <p>„Na, wie alt denn Alterchen?“</p><lb/> <p>„Achtzig.“</p><lb/> <p>„Ja, da sind Sie mir ein Stück vor. Wollen wohl auch noch in die Kirche?“</p><lb/> <p>„Nein, ich sitze blos hier und höre die Glocken gehen. Jetzt läuten sie das dritte Mal. Das ist so meine Andacht. In meinem Alter …“</p><lb/> <p>„Ja, da will’s nicht mehr recht, wenn man auch dicht an der Kanzel sitzt. Man hört nicht mehr alles … Und die Predigt ist auch meistens zu jung.“</p><lb/> <p>„Ja, wenn man alt ist, ist alles zu jung.“</p><lb/> <p>Ich lächelte, was ihm, so gut es ging, mein Einverständnis ausdrücken sollte, und ging dann auf eine nach der andern Seite hin gelegene Jelängerjelieber-Laube zu, die mir als Specialbesitz gehörte. Da wollt’ ich einen Brief schreiben und die Zeitungen lesen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Als ich damit geendet hatte, belebte sich’s wieder um mich her. Die Kirche war aus, und die Wirtin<supplied>,</supplied></p> </div> </body> </text> </TEI> [216/0218]
„Ja, das machen die Jahre. Wenn man erst alt ist …“
„Bin ich auch.“
„Aber nicht so wie ich …“
„Na, wie alt denn Alterchen?“
„Achtzig.“
„Ja, da sind Sie mir ein Stück vor. Wollen wohl auch noch in die Kirche?“
„Nein, ich sitze blos hier und höre die Glocken gehen. Jetzt läuten sie das dritte Mal. Das ist so meine Andacht. In meinem Alter …“
„Ja, da will’s nicht mehr recht, wenn man auch dicht an der Kanzel sitzt. Man hört nicht mehr alles … Und die Predigt ist auch meistens zu jung.“
„Ja, wenn man alt ist, ist alles zu jung.“
Ich lächelte, was ihm, so gut es ging, mein Einverständnis ausdrücken sollte, und ging dann auf eine nach der andern Seite hin gelegene Jelängerjelieber-Laube zu, die mir als Specialbesitz gehörte. Da wollt’ ich einen Brief schreiben und die Zeitungen lesen.
Als ich damit geendet hatte, belebte sich’s wieder um mich her. Die Kirche war aus, und die Wirtin,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).
(2014-01-22T15:28:28Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-22T15:28:28Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2014-01-22T15:28:28Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von vor und nach der Reise. Plaudereien und kleine Geschichten. Hrsg. von Walter Hettche und Gabriele Radecke. Berlin 2007 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 19]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Anmerkungen zur Transkription:
Auslassungszeichen im Text werden einheitlich als U+2026 <…> (HORIZONTAL ELLIPSIS) wiedergegeben.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |