Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.Und um die Mittagsstunde fuhr der alte Krukenberg vor, der schon im Hause von Evelinens Eltern als eine damals erst werdende Berühmtheit aus- und eingegangen war und in gnädiger Erinnerung an alte Zeiten eine Vorliebe für die ganze Familie (die Gottgetreus mit eingeschlossen) bewahrt hatte, trotzdem sie mehr oder weniger "außerhalb seiner Sphäre" lag. Und die Rätin nahm ihn bei Seit' und berichtete kurz und hastig, wie's mit ihrem Manne stände. Denn der alte Krukenberg, obwohl er sich in eigner Person die höchste Weitschweifigkeit gestattete, hielt doch bei seinen Patienten auf einen allerlapidarsten Lapidarstil. Und nun trat er zu dem Kranken selber heran, der in jenem bekannten drusligen Fieberzustande dalag, in dem man Sterne fallen oder durch einen schweren und graugelben Nebel hin allerhand Feuerpferde galoppieren sieht. "Nun, Gottgetreu. Wie geht es?" "O gut genug ... Es muß etwas in der Milch gewesen sein ..." "Allerdings. In der Milch ist immer etwas. Und wäre ja sonst kein Nahrungsmittel. Aber suchen wir die Schuld nicht an falscher Stelle; die Schuld liegt in der Regel an und in uns selber. Ich bitte Sie, Gottgetreu, Sie sind doch nun auch gegen funfzig ..." Und um die Mittagsstunde fuhr der alte Krukenberg vor, der schon im Hause von Evelinens Eltern als eine damals erst werdende Berühmtheit aus- und eingegangen war und in gnädiger Erinnerung an alte Zeiten eine Vorliebe für die ganze Familie (die Gottgetreus mit eingeschlossen) bewahrt hatte, trotzdem sie mehr oder weniger „außerhalb seiner Sphäre“ lag. Und die Rätin nahm ihn bei Seit’ und berichtete kurz und hastig, wie’s mit ihrem Manne stände. Denn der alte Krukenberg, obwohl er sich in eigner Person die höchste Weitschweifigkeit gestattete, hielt doch bei seinen Patienten auf einen allerlapidarsten Lapidarstil. Und nun trat er zu dem Kranken selber heran, der in jenem bekannten drusligen Fieberzustande dalag, in dem man Sterne fallen oder durch einen schweren und graugelben Nebel hin allerhand Feuerpferde galoppieren sieht. „Nun, Gottgetreu. Wie geht es?“ „O gut genug … Es muß etwas in der Milch gewesen sein …“ „Allerdings. In der Milch ist immer etwas. Und wäre ja sonst kein Nahrungsmittel. Aber suchen wir die Schuld nicht an falscher Stelle; die Schuld liegt in der Regel an und in uns selber. Ich bitte Sie, Gottgetreu, Sie sind doch nun auch gegen funfzig …“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0034" n="32"/> <p>Und um die Mittagsstunde fuhr der alte Krukenberg vor, der schon im Hause von Evelinens Eltern als eine damals erst werdende Berühmtheit aus- und eingegangen war und in gnädiger Erinnerung an alte Zeiten eine Vorliebe für die ganze Familie (die Gottgetreus mit eingeschlossen) bewahrt hatte, trotzdem sie mehr oder weniger „außerhalb seiner Sphäre“ lag. Und die Rätin nahm ihn bei Seit’ und berichtete kurz und hastig, wie’s mit ihrem Manne stände. Denn der alte Krukenberg, obwohl er sich in eigner Person die höchste Weitschweifigkeit gestattete, hielt doch bei seinen Patienten auf einen allerlapidarsten Lapidarstil. Und nun trat er zu dem Kranken selber heran, der in jenem bekannten drusligen Fieberzustande dalag, in dem man Sterne fallen oder durch einen schweren und graugelben Nebel hin allerhand Feuerpferde galoppieren sieht.</p><lb/> <p>„Nun, Gottgetreu. Wie geht es?“</p><lb/> <p>„O gut genug … Es muß etwas in der Milch gewesen sein …“</p><lb/> <p>„Allerdings. In der Milch ist immer etwas. Und wäre ja sonst kein Nahrungsmittel. Aber suchen wir die Schuld nicht an falscher Stelle; die Schuld liegt in der Regel an und in uns selber. Ich bitte Sie, Gottgetreu, Sie sind doch nun auch gegen funfzig …“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [32/0034]
Und um die Mittagsstunde fuhr der alte Krukenberg vor, der schon im Hause von Evelinens Eltern als eine damals erst werdende Berühmtheit aus- und eingegangen war und in gnädiger Erinnerung an alte Zeiten eine Vorliebe für die ganze Familie (die Gottgetreus mit eingeschlossen) bewahrt hatte, trotzdem sie mehr oder weniger „außerhalb seiner Sphäre“ lag. Und die Rätin nahm ihn bei Seit’ und berichtete kurz und hastig, wie’s mit ihrem Manne stände. Denn der alte Krukenberg, obwohl er sich in eigner Person die höchste Weitschweifigkeit gestattete, hielt doch bei seinen Patienten auf einen allerlapidarsten Lapidarstil. Und nun trat er zu dem Kranken selber heran, der in jenem bekannten drusligen Fieberzustande dalag, in dem man Sterne fallen oder durch einen schweren und graugelben Nebel hin allerhand Feuerpferde galoppieren sieht.
„Nun, Gottgetreu. Wie geht es?“
„O gut genug … Es muß etwas in der Milch gewesen sein …“
„Allerdings. In der Milch ist immer etwas. Und wäre ja sonst kein Nahrungsmittel. Aber suchen wir die Schuld nicht an falscher Stelle; die Schuld liegt in der Regel an und in uns selber. Ich bitte Sie, Gottgetreu, Sie sind doch nun auch gegen funfzig …“
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(2014-01-22T15:28:28Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-22T15:28:28Z)
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Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von vor und nach der Reise. Plaudereien und kleine Geschichten. Hrsg. von Walter Hettche und Gabriele Radecke. Berlin 2007 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 19]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Anmerkungen zur Transkription:
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