Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.eine sonderbare Ehe ... Doch, Pardon, ich sehe Sie lächeln." "Ja. Doch ist es ein Lächeln, das einer ganz unpersönlichen Betrachtung gilt." "Und welcher, wenn ich fragen darf?" "Der Betrachtung eines beständig fortschreitenden Amerikanismus, eines eigentümlich freiheitlichen Entwicklungsganges, den zu verfolgen seit Jahr und Tag meine Passion ist. Ein solcher Appell an Gesinnung und Ehre, nicht blos vom Standpunkte landläufiger Moral, sondern von einem Standpunkte der Ebenbürtigkeit aus, das stammt alles von drüben, das ist modern, ist amerikanisch. Und jede neue Wahrnehmung davon erquickt mich." "Ich mag Ihnen nicht widersprechen, war aber bisher umgekehrt des Glaubens, die neue Welt lebe von Errungenschaften der alten." "In Nebensachen, ja. Ganze Pilgerzüge von drüben überschwemmen die paar Inseln und Halbinseln, die sich Europa nennen, und überall begegnet man ihnen, in Dresden vor der Sixtinischen, in Rom vor dem Papst und in Oberammergau vor dem gekreuzigten Christus. Ja, da stehen sie zu Hunderten und Tausenden und starren und gaffen und kritzeln ihre Notizen in ihre ,Guides' und ,Handbooks' und am Abend alles nochmal in ihre eine sonderbare Ehe … Doch, Pardon, ich sehe Sie lächeln.“ „Ja. Doch ist es ein Lächeln, das einer ganz unpersönlichen Betrachtung gilt.“ „Und welcher, wenn ich fragen darf?“ „Der Betrachtung eines beständig fortschreitenden Amerikanismus, eines eigentümlich freiheitlichen Entwicklungsganges, den zu verfolgen seit Jahr und Tag meine Passion ist. Ein solcher Appell an Gesinnung und Ehre, nicht blos vom Standpunkte landläufiger Moral, sondern von einem Standpunkte der Ebenbürtigkeit aus, das stammt alles von drüben, das ist modern, ist amerikanisch. Und jede neue Wahrnehmung davon erquickt mich.“ „Ich mag Ihnen nicht widersprechen, war aber bisher umgekehrt des Glaubens, die neue Welt lebe von Errungenschaften der alten.“ „In Nebensachen, ja. Ganze Pilgerzüge von drüben überschwemmen die paar Inseln und Halbinseln, die sich Europa nennen, und überall begegnet man ihnen, in Dresden vor der Sixtinischen, in Rom vor dem Papst und in Oberammergau vor dem gekreuzigten Christus. Ja, da stehen sie zu Hunderten und Tausenden und starren und gaffen und kritzeln ihre Notizen in ihre ‚Guides‘ und ‚Handbooks‘ und am Abend alles nochmal in ihre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0052" n="50"/> eine sonderbare Ehe … Doch, Pardon, ich sehe Sie lächeln.“</p><lb/> <p>„Ja. Doch ist es ein Lächeln, das einer ganz unpersönlichen Betrachtung gilt.“</p><lb/> <p>„Und welcher, wenn ich fragen darf?“</p><lb/> <p>„Der Betrachtung eines beständig fortschreitenden Amerikanismus, eines eigentümlich freiheitlichen Entwicklungsganges, den zu verfolgen seit Jahr und Tag meine Passion ist. Ein solcher Appell an Gesinnung und Ehre, nicht blos vom Standpunkte landläufiger Moral, sondern von einem Standpunkte der Ebenbürtigkeit aus, das stammt alles von drüben, das ist modern, ist amerikanisch. Und jede neue Wahrnehmung davon erquickt mich.“</p><lb/> <p>„Ich mag Ihnen nicht widersprechen, war aber bisher umgekehrt des Glaubens, die neue Welt lebe von Errungenschaften der alten.“</p><lb/> <p>„In Nebensachen, ja. Ganze Pilgerzüge von drüben überschwemmen die paar Inseln und Halbinseln, die sich Europa nennen, und überall begegnet man ihnen, in Dresden vor der Sixtinischen, in Rom vor dem Papst und in Oberammergau vor dem gekreuzigten Christus. Ja, da stehen sie zu Hunderten und Tausenden und starren und gaffen und kritzeln ihre Notizen in ihre ‚Guides‘ und ‚Handbooks‘ und am Abend alles nochmal in ihre </p> </div> </body> </text> </TEI> [50/0052]
eine sonderbare Ehe … Doch, Pardon, ich sehe Sie lächeln.“
„Ja. Doch ist es ein Lächeln, das einer ganz unpersönlichen Betrachtung gilt.“
„Und welcher, wenn ich fragen darf?“
„Der Betrachtung eines beständig fortschreitenden Amerikanismus, eines eigentümlich freiheitlichen Entwicklungsganges, den zu verfolgen seit Jahr und Tag meine Passion ist. Ein solcher Appell an Gesinnung und Ehre, nicht blos vom Standpunkte landläufiger Moral, sondern von einem Standpunkte der Ebenbürtigkeit aus, das stammt alles von drüben, das ist modern, ist amerikanisch. Und jede neue Wahrnehmung davon erquickt mich.“
„Ich mag Ihnen nicht widersprechen, war aber bisher umgekehrt des Glaubens, die neue Welt lebe von Errungenschaften der alten.“
„In Nebensachen, ja. Ganze Pilgerzüge von drüben überschwemmen die paar Inseln und Halbinseln, die sich Europa nennen, und überall begegnet man ihnen, in Dresden vor der Sixtinischen, in Rom vor dem Papst und in Oberammergau vor dem gekreuzigten Christus. Ja, da stehen sie zu Hunderten und Tausenden und starren und gaffen und kritzeln ihre Notizen in ihre ‚Guides‘ und ‚Handbooks‘ und am Abend alles nochmal in ihre
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/52>, abgerufen am 16.02.2025. |