Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.An mir schien er allmälig ein Interesse zu nehmen und befragte mich nun mit seinen Augen. Aber es war kein eigentlich schmeichelhaftes Interesse, sondern nur ein solches, das ein Arzt an seinem Kranken nimmt. Er hatte schon gehört, daß ich Angegriffenheits halber aufs Land gekommen sei, was, neben einiger Mißbilligung, viel Heiterkeit in ihm wachgerufen hatte. "Das kenn' ich, das kenn' ich; das sind diese modernen Einbildungen. Ich habe mir von diesen nervösen Herrchen erzählen lassen. Denke Dir, Karoline, von einem hab' ich gehört, er könne nur in blau leben und in rot schlafen. Ei, da bin ich doch besser dran, ich sage Dir, ich schlafe den ganzen Tuschkasten durch. Uebrigens mit diesem hier ist es nicht so schlimm. Er hat sich verweichlicht und ist blos deshalb nicht recht im Zug. Aber sein Material ist gut und ich will von heut ab von Thee und englischen Biscuits leben, wenn ich ihn nicht in acht Tagen wieder auf die Beine bringe. Laß mich nur machen. Er muß nur erst wieder Vertrauen zu sich selbst fassen, und einsehen lernen, daß er, wenn nötig, einen Baum ausreißen kann. Es sind das Patienten, die durch wohlthätigen Zwang, oder, wenn Du willst, durch den kategorischen Imperativ, durch eine höhere Willenskraft wieder hergestellt werden müssen." An mir schien er allmälig ein Interesse zu nehmen und befragte mich nun mit seinen Augen. Aber es war kein eigentlich schmeichelhaftes Interesse, sondern nur ein solches, das ein Arzt an seinem Kranken nimmt. Er hatte schon gehört, daß ich Angegriffenheits halber aufs Land gekommen sei, was, neben einiger Mißbilligung, viel Heiterkeit in ihm wachgerufen hatte. „Das kenn’ ich, das kenn’ ich; das sind diese modernen Einbildungen. Ich habe mir von diesen nervösen Herrchen erzählen lassen. Denke Dir, Karoline, von einem hab’ ich gehört, er könne nur in blau leben und in rot schlafen. Ei, da bin ich doch besser dran, ich sage Dir, ich schlafe den ganzen Tuschkasten durch. Uebrigens mit diesem hier ist es nicht so schlimm. Er hat sich verweichlicht und ist blos deshalb nicht recht im Zug. Aber sein Material ist gut und ich will von heut ab von Thee und englischen Biscuits leben, wenn ich ihn nicht in acht Tagen wieder auf die Beine bringe. Laß mich nur machen. Er muß nur erst wieder Vertrauen zu sich selbst fassen, und einsehen lernen, daß er, wenn nötig, einen Baum ausreißen kann. Es sind das Patienten, die durch wohlthätigen Zwang, oder, wenn Du willst, durch den kategorischen Imperativ, durch eine höhere Willenskraft wieder hergestellt werden müssen.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0095" n="93"/> <p>An mir schien er allmälig ein Interesse zu nehmen und befragte mich nun mit seinen Augen. Aber es war kein eigentlich schmeichelhaftes Interesse, sondern nur ein solches, das ein Arzt an seinem Kranken nimmt. Er hatte schon gehört, daß ich Angegriffenheits halber aufs Land gekommen sei, was, neben einiger Mißbilligung, viel Heiterkeit in ihm wachgerufen hatte. „Das kenn’ ich, das kenn’ ich; das sind diese modernen Einbildungen. Ich habe mir von diesen nervösen Herrchen erzählen lassen. Denke Dir, Karoline, von einem hab’ ich gehört, er könne nur in blau leben und in rot schlafen. Ei, da bin ich doch besser dran, ich sage Dir, ich schlafe den ganzen Tuschkasten durch. Uebrigens mit diesem hier ist es nicht so schlimm. Er hat sich verweichlicht und ist blos deshalb nicht recht im Zug. Aber sein Material ist gut und ich will von heut ab von Thee und englischen Biscuits leben, wenn ich ihn nicht in acht Tagen wieder auf die Beine bringe. Laß mich nur machen. Er muß nur erst wieder Vertrauen zu sich selbst fassen, und einsehen lernen, daß er, wenn nötig, einen Baum ausreißen kann. Es sind das Patienten, die durch wohlthätigen Zwang, oder, wenn Du willst, durch den kategorischen Imperativ, durch eine höhere Willenskraft wieder hergestellt werden müssen.“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [93/0095]
An mir schien er allmälig ein Interesse zu nehmen und befragte mich nun mit seinen Augen. Aber es war kein eigentlich schmeichelhaftes Interesse, sondern nur ein solches, das ein Arzt an seinem Kranken nimmt. Er hatte schon gehört, daß ich Angegriffenheits halber aufs Land gekommen sei, was, neben einiger Mißbilligung, viel Heiterkeit in ihm wachgerufen hatte. „Das kenn’ ich, das kenn’ ich; das sind diese modernen Einbildungen. Ich habe mir von diesen nervösen Herrchen erzählen lassen. Denke Dir, Karoline, von einem hab’ ich gehört, er könne nur in blau leben und in rot schlafen. Ei, da bin ich doch besser dran, ich sage Dir, ich schlafe den ganzen Tuschkasten durch. Uebrigens mit diesem hier ist es nicht so schlimm. Er hat sich verweichlicht und ist blos deshalb nicht recht im Zug. Aber sein Material ist gut und ich will von heut ab von Thee und englischen Biscuits leben, wenn ich ihn nicht in acht Tagen wieder auf die Beine bringe. Laß mich nur machen. Er muß nur erst wieder Vertrauen zu sich selbst fassen, und einsehen lernen, daß er, wenn nötig, einen Baum ausreißen kann. Es sind das Patienten, die durch wohlthätigen Zwang, oder, wenn Du willst, durch den kategorischen Imperativ, durch eine höhere Willenskraft wieder hergestellt werden müssen.“
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(2014-01-22T15:28:28Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-22T15:28:28Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2014-01-22T15:28:28Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von vor und nach der Reise. Plaudereien und kleine Geschichten. Hrsg. von Walter Hettche und Gabriele Radecke. Berlin 2007 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 19]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Anmerkungen zur Transkription:
Auslassungszeichen im Text werden einheitlich als U+2026 <…> (HORIZONTAL ELLIPSIS) wiedergegeben.
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