lich Zahlen, die nicht gut widerlegt werden können, und ,Landbuch Kaiser Karls IV.' paßt beinah immer."
Rex hörte drüber hin, weil er in seinem Geiste mal wieder einer allgemeineren und zugleich höheren Auffassung der Dinge zustrebte. "Ja, meine Herren," hob er an, "das geschmähte Mittelalter. Da verstand man's. Ich wage den Ausspruch, den ich übrigens nicht einem Kunst¬ handbuch entnehme, sondern der langsam in mir heran¬ gereift ist: "Die Platzfrage geht über die Stilfrage." Jetzt wählt man immer die häßlichste Stelle. Das Mittelalter hatte noch keine Brillen, aber man sah besser."
"Gewiß," sagte Czako. "Aber dieser Angriff auf die Brillen, Rex, ist nichts für Sie. Wer mit seinem Pincenez oder Monocle so viel operiert ..."
Das Gespräch kam nicht weiter, weil in eben diesem Augenblicke mächtige Turmuhrschläge vom Städtchen Wutz her herüberklangen. Man hielt an, und jeder zählte. "Vier." Kaum aber hatte die Uhr ausgeschlagen, so begann eine zweite und that auch ihre vier Schläge.
"Das ist die Klosteruhr," sagte Czako.
"Warum?"
"Weil sie nachschlägt; alle Klosteruhren gehen nach. Natürlich. Aber wie dem auch sei, Freund Woldemar hat uns, glaub' ich, für vier Uhr angemeldet, und so werden wir uns eilen müssen."
lich Zahlen, die nicht gut widerlegt werden können, und ‚Landbuch Kaiſer Karls IV.‘ paßt beinah immer.“
Rex hörte drüber hin, weil er in ſeinem Geiſte mal wieder einer allgemeineren und zugleich höheren Auffaſſung der Dinge zuſtrebte. „Ja, meine Herren,“ hob er an, „das geſchmähte Mittelalter. Da verſtand man's. Ich wage den Ausſpruch, den ich übrigens nicht einem Kunſt¬ handbuch entnehme, ſondern der langſam in mir heran¬ gereift iſt: „Die Platzfrage geht über die Stilfrage.“ Jetzt wählt man immer die häßlichſte Stelle. Das Mittelalter hatte noch keine Brillen, aber man ſah beſſer.“
„Gewiß,“ ſagte Czako. „Aber dieſer Angriff auf die Brillen, Rex, iſt nichts für Sie. Wer mit ſeinem Pincenez oder Monocle ſo viel operiert ...“
Das Geſpräch kam nicht weiter, weil in eben dieſem Augenblicke mächtige Turmuhrſchläge vom Städtchen Wutz her herüberklangen. Man hielt an, und jeder zählte. „Vier.“ Kaum aber hatte die Uhr ausgeſchlagen, ſo begann eine zweite und that auch ihre vier Schläge.
„Das iſt die Kloſteruhr,“ ſagte Czako.
„Warum?“
„Weil ſie nachſchlägt; alle Kloſteruhren gehen nach. Natürlich. Aber wie dem auch ſei, Freund Woldemar hat uns, glaub' ich, für vier Uhr angemeldet, und ſo werden wir uns eilen müſſen.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0100"n="93"/>
lich Zahlen, die nicht gut widerlegt werden können, und<lb/>‚Landbuch Kaiſer Karls <hirendition="#aq">IV</hi>.‘ paßt beinah immer.“</p><lb/><p>Rex hörte drüber hin, weil er in ſeinem Geiſte mal<lb/>
wieder einer allgemeineren und zugleich höheren Auffaſſung<lb/>
der Dinge zuſtrebte. „Ja, meine Herren,“ hob er an,<lb/>„das geſchmähte Mittelalter. Da verſtand man's. Ich<lb/>
wage den Ausſpruch, den ich übrigens nicht einem Kunſt¬<lb/>
handbuch entnehme, ſondern der langſam in mir heran¬<lb/>
gereift iſt: „Die Platzfrage geht über die Stilfrage.“ Jetzt<lb/>
wählt man immer die häßlichſte Stelle. Das Mittelalter<lb/>
hatte noch keine Brillen, aber man ſah beſſer.“</p><lb/><p>„Gewiß,“ſagte Czako. „Aber dieſer Angriff auf die<lb/>
Brillen, Rex, iſt nichts für Sie. Wer mit ſeinem<lb/>
Pincenez oder Monocle ſo viel operiert ...“</p><lb/><p>Das Geſpräch kam nicht weiter, weil in eben dieſem<lb/>
Augenblicke mächtige Turmuhrſchläge vom Städtchen Wutz<lb/>
her herüberklangen. Man hielt an, und jeder zählte.<lb/>„Vier.“ Kaum aber hatte die Uhr ausgeſchlagen, ſo<lb/>
begann eine zweite und that auch ihre vier Schläge.</p><lb/><p>„Das iſt die Kloſteruhr,“ſagte Czako.</p><lb/><p>„Warum?“</p><lb/><p>„Weil ſie nachſchlägt; alle Kloſteruhren gehen nach.<lb/>
Natürlich. Aber wie dem auch ſei, Freund Woldemar<lb/>
hat uns, glaub' ich, für vier Uhr angemeldet, und ſo<lb/>
werden wir uns eilen müſſen.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[93/0100]
lich Zahlen, die nicht gut widerlegt werden können, und
‚Landbuch Kaiſer Karls IV.‘ paßt beinah immer.“
Rex hörte drüber hin, weil er in ſeinem Geiſte mal
wieder einer allgemeineren und zugleich höheren Auffaſſung
der Dinge zuſtrebte. „Ja, meine Herren,“ hob er an,
„das geſchmähte Mittelalter. Da verſtand man's. Ich
wage den Ausſpruch, den ich übrigens nicht einem Kunſt¬
handbuch entnehme, ſondern der langſam in mir heran¬
gereift iſt: „Die Platzfrage geht über die Stilfrage.“ Jetzt
wählt man immer die häßlichſte Stelle. Das Mittelalter
hatte noch keine Brillen, aber man ſah beſſer.“
„Gewiß,“ ſagte Czako. „Aber dieſer Angriff auf die
Brillen, Rex, iſt nichts für Sie. Wer mit ſeinem
Pincenez oder Monocle ſo viel operiert ...“
Das Geſpräch kam nicht weiter, weil in eben dieſem
Augenblicke mächtige Turmuhrſchläge vom Städtchen Wutz
her herüberklangen. Man hielt an, und jeder zählte.
„Vier.“ Kaum aber hatte die Uhr ausgeſchlagen, ſo
begann eine zweite und that auch ihre vier Schläge.
„Das iſt die Kloſteruhr,“ ſagte Czako.
„Warum?“
„Weil ſie nachſchlägt; alle Kloſteruhren gehen nach.
Natürlich. Aber wie dem auch ſei, Freund Woldemar
hat uns, glaub' ich, für vier Uhr angemeldet, und ſo
werden wir uns eilen müſſen.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/100>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.