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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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sie sagte sie falsch, weil sie Sonntags in der Kirche nie
recht aufpaßt. Und wir sagten ihr das auch. Und denke
dir, sie widersprach nicht und blieb überhaupt ganz ruhig
dabei. ,Ja', sagte sie, "sie wisse recht gut, daß sie die
Stelle falsch hergesagt hätte, sie habe nie was richtig
hersagen können; aber das wisse sie ganz genau, die
Stelle mit dem Flammenfinger, das sei der ,Wortlaut'
gewesen."

"Und das hast du wirklich alles geglaubt, liebe
Tante? Diese gute Schmargendorf! Ich will ihr ja
gerne folgen; aber was ihren Traum angeht, da kann
ich beim besten Willen nicht mit. Es wird ihr ein Amt¬
mann erschienen sein oder ein Pastor. Dreißig Jahre
früher wär' es ein Student gewesen."

"Ach, Woldemar, sprich doch nicht so. Das ist ja
die neue Facon, in der die Berliner sprechen, und in
dem Punkt ist einer wie der andre. Dein Freund Czako
spricht auch so. Du mokierst dich jetzt über die gute
Schmargendorf, und dein Freund, der Hauptmann, so
viel hab ich ganz deutlich gesehen, that es auch und
hat sie bei Tische geuzt."

"Geuzt?"

"Du wunderst dich über das Wort, und ich wundre
mich selber darüber. Aber daran ist auch unser guter
Fix schuld. Der ist alle Monat mal nach Berlin 'rüber
und wenn er dann wiederkommt, dann bringt er so was
mit, und wiewohl ich's unpassend finde, nehm' ich's doch
an und die Schmargendorf auch. Bloß die Triglaff
nicht und natürlich die gute Schimonski auch nicht, wegen
der Taubheit. Ja, Woldemar, ich sage ,geuzt', und dein
Freund Czako hätt' es lieber unterlassen sollen. Aber
das muß wahr sein, er ist amüsant, wenn auch ein
bißchen auf der Wippe. Siehst du ihn oft?"

"Nein, liebe Tante. Nicht oft. Bedenke die weiten
Entfernungen. Von unsrer Kaserne bis zu seiner, oder

ſie ſagte ſie falſch, weil ſie Sonntags in der Kirche nie
recht aufpaßt. Und wir ſagten ihr das auch. Und denke
dir, ſie widerſprach nicht und blieb überhaupt ganz ruhig
dabei. ‚Ja‘, ſagte ſie, „ſie wiſſe recht gut, daß ſie die
Stelle falſch hergeſagt hätte, ſie habe nie was richtig
herſagen können; aber das wiſſe ſie ganz genau, die
Stelle mit dem Flammenfinger, das ſei der ‚Wortlaut‘
geweſen.“

„Und das haſt du wirklich alles geglaubt, liebe
Tante? Dieſe gute Schmargendorf! Ich will ihr ja
gerne folgen; aber was ihren Traum angeht, da kann
ich beim beſten Willen nicht mit. Es wird ihr ein Amt¬
mann erſchienen ſein oder ein Paſtor. Dreißig Jahre
früher wär' es ein Student geweſen.“

„Ach, Woldemar, ſprich doch nicht ſo. Das iſt ja
die neue Façon, in der die Berliner ſprechen, und in
dem Punkt iſt einer wie der andre. Dein Freund Czako
ſpricht auch ſo. Du mokierſt dich jetzt über die gute
Schmargendorf, und dein Freund, der Hauptmann, ſo
viel hab ich ganz deutlich geſehen, that es auch und
hat ſie bei Tiſche geuzt.“

„Geuzt?“

„Du wunderſt dich über das Wort, und ich wundre
mich ſelber darüber. Aber daran iſt auch unſer guter
Fix ſchuld. Der iſt alle Monat mal nach Berlin 'rüber
und wenn er dann wiederkommt, dann bringt er ſo was
mit, und wiewohl ich's unpaſſend finde, nehm' ich's doch
an und die Schmargendorf auch. Bloß die Triglaff
nicht und natürlich die gute Schimonski auch nicht, wegen
der Taubheit. Ja, Woldemar, ich ſage ‚geuzt‘, und dein
Freund Czako hätt' es lieber unterlaſſen ſollen. Aber
das muß wahr ſein, er iſt amüſant, wenn auch ein
bißchen auf der Wippe. Siehſt du ihn oft?“

„Nein, liebe Tante. Nicht oft. Bedenke die weiten
Entfernungen. Von unſrer Kaſerne bis zu ſeiner, oder

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[122/0129] ſie ſagte ſie falſch, weil ſie Sonntags in der Kirche nie recht aufpaßt. Und wir ſagten ihr das auch. Und denke dir, ſie widerſprach nicht und blieb überhaupt ganz ruhig dabei. ‚Ja‘, ſagte ſie, „ſie wiſſe recht gut, daß ſie die Stelle falſch hergeſagt hätte, ſie habe nie was richtig herſagen können; aber das wiſſe ſie ganz genau, die Stelle mit dem Flammenfinger, das ſei der ‚Wortlaut‘ geweſen.“ „Und das haſt du wirklich alles geglaubt, liebe Tante? Dieſe gute Schmargendorf! Ich will ihr ja gerne folgen; aber was ihren Traum angeht, da kann ich beim beſten Willen nicht mit. Es wird ihr ein Amt¬ mann erſchienen ſein oder ein Paſtor. Dreißig Jahre früher wär' es ein Student geweſen.“ „Ach, Woldemar, ſprich doch nicht ſo. Das iſt ja die neue Façon, in der die Berliner ſprechen, und in dem Punkt iſt einer wie der andre. Dein Freund Czako ſpricht auch ſo. Du mokierſt dich jetzt über die gute Schmargendorf, und dein Freund, der Hauptmann, ſo viel hab ich ganz deutlich geſehen, that es auch und hat ſie bei Tiſche geuzt.“ „Geuzt?“ „Du wunderſt dich über das Wort, und ich wundre mich ſelber darüber. Aber daran iſt auch unſer guter Fix ſchuld. Der iſt alle Monat mal nach Berlin 'rüber und wenn er dann wiederkommt, dann bringt er ſo was mit, und wiewohl ich's unpaſſend finde, nehm' ich's doch an und die Schmargendorf auch. Bloß die Triglaff nicht und natürlich die gute Schimonski auch nicht, wegen der Taubheit. Ja, Woldemar, ich ſage ‚geuzt‘, und dein Freund Czako hätt' es lieber unterlaſſen ſollen. Aber das muß wahr ſein, er iſt amüſant, wenn auch ein bißchen auf der Wippe. Siehſt du ihn oft?“ „Nein, liebe Tante. Nicht oft. Bedenke die weiten Entfernungen. Von unſrer Kaſerne bis zu ſeiner, oder

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/129>, abgerufen am 21.11.2024.