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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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darauf freu' ich mich schon. Und auf dem Invaliden¬
kirchhof will ich begraben sein, wenn es irgend geht.
Invalide ist ja doch eigentlich jeder. Und Anno siebzig
war ich doch auch mit Liebesgaben bis dicht an den
Feind, trotzdem Luchterhand immer sagte: ,Nicht so nah
'ran'. Sei freundlich gegen die Leute und nicht zu spar¬
sam (du bist ein bißchen zu sparsam) und bewahre mir
einen Platz in deinem Herzen. Denn treu warst du,
das sagt mir eine innere Stimme."

Diesem allem hatte Riekchen seitdem gelebt. Die
Beletage, die leer stand, als Schickedanz starb, blieb noch
drei Vierteljahre unbewohnt, trotzdem sich viele Herrschaften
meldeten. Aber sie deckten sich nicht mit der Forderung,
die Schickedanz vor seinem Hinscheiden gestellt hatte. Herbst
fünfundachtzig kamen dann die Barbys. Die kleine Frau
sah gleich "ja, das sind die, die mein Seliger gemeint
hat." Und sie hatte wirklich richtig gewählt. In den
fast zehn Jahren, die seitdem verflossen waren, war es
auch nicht ein einziges Mal zu Konflikten gekommen, mit
der gräflichen Familie schon gewiß nicht, aber auch kaum
mit den Dienerschaften. Ein persönlicher Verkehr zwischen
Erdgeschoß und Beletage konnte natürlich nicht stattfinden,
-- Hartwig war einfach der alter ego, der mit Jeserich
alles Nötige durchzusprechen hatte. Kam es aber aus¬
nahmsweise zwischen Wirtin und Mieter zu irgend einer
Begegnung, so bewahrte dabei die kleine winzige Frau
(die nie "viel" war und seit ihres Mannes Tode noch
immer weniger geworden war) eine merkwürdig gemessene
Haltung, die jedem mit dem Berliner Wesen Unvertrauten
eine Verwunderung abgenötigt haben würde. Riekchen
empfand sich nämlich in solchem Augenblicke durchaus als
"Macht gegen Macht". Wie beinah jedem hierlandes
Geborenen, war auch ihr die Gabe wirklichen Vergleichen¬
könnens völlig versagt, weil jeder echte, mit Spreewasser
getaufte Berliner, männlich oder weiblich, seinen Zustand

darauf freu' ich mich ſchon. Und auf dem Invaliden¬
kirchhof will ich begraben ſein, wenn es irgend geht.
Invalide iſt ja doch eigentlich jeder. Und Anno ſiebzig
war ich doch auch mit Liebesgaben bis dicht an den
Feind, trotzdem Luchterhand immer ſagte: ‚Nicht ſo nah
'ran‘. Sei freundlich gegen die Leute und nicht zu ſpar¬
ſam (du biſt ein bißchen zu ſparſam) und bewahre mir
einen Platz in deinem Herzen. Denn treu warſt du,
das ſagt mir eine innere Stimme.“

Dieſem allem hatte Riekchen ſeitdem gelebt. Die
Beletage, die leer ſtand, als Schickedanz ſtarb, blieb noch
drei Vierteljahre unbewohnt, trotzdem ſich viele Herrſchaften
meldeten. Aber ſie deckten ſich nicht mit der Forderung,
die Schickedanz vor ſeinem Hinſcheiden geſtellt hatte. Herbſt
fünfundachtzig kamen dann die Barbys. Die kleine Frau
ſah gleich „ja, das ſind die, die mein Seliger gemeint
hat.“ Und ſie hatte wirklich richtig gewählt. In den
faſt zehn Jahren, die ſeitdem verfloſſen waren, war es
auch nicht ein einziges Mal zu Konflikten gekommen, mit
der gräflichen Familie ſchon gewiß nicht, aber auch kaum
mit den Dienerſchaften. Ein perſönlicher Verkehr zwiſchen
Erdgeſchoß und Beletage konnte natürlich nicht ſtattfinden,
— Hartwig war einfach der alter ego, der mit Jeſerich
alles Nötige durchzuſprechen hatte. Kam es aber aus¬
nahmsweiſe zwiſchen Wirtin und Mieter zu irgend einer
Begegnung, ſo bewahrte dabei die kleine winzige Frau
(die nie „viel“ war und ſeit ihres Mannes Tode noch
immer weniger geworden war) eine merkwürdig gemeſſene
Haltung, die jedem mit dem Berliner Weſen Unvertrauten
eine Verwunderung abgenötigt haben würde. Riekchen
empfand ſich nämlich in ſolchem Augenblicke durchaus als
„Macht gegen Macht“. Wie beinah jedem hierlandes
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[154/0161] darauf freu' ich mich ſchon. Und auf dem Invaliden¬ kirchhof will ich begraben ſein, wenn es irgend geht. Invalide iſt ja doch eigentlich jeder. Und Anno ſiebzig war ich doch auch mit Liebesgaben bis dicht an den Feind, trotzdem Luchterhand immer ſagte: ‚Nicht ſo nah 'ran‘. Sei freundlich gegen die Leute und nicht zu ſpar¬ ſam (du biſt ein bißchen zu ſparſam) und bewahre mir einen Platz in deinem Herzen. Denn treu warſt du, das ſagt mir eine innere Stimme.“ Dieſem allem hatte Riekchen ſeitdem gelebt. Die Beletage, die leer ſtand, als Schickedanz ſtarb, blieb noch drei Vierteljahre unbewohnt, trotzdem ſich viele Herrſchaften meldeten. Aber ſie deckten ſich nicht mit der Forderung, die Schickedanz vor ſeinem Hinſcheiden geſtellt hatte. Herbſt fünfundachtzig kamen dann die Barbys. Die kleine Frau ſah gleich „ja, das ſind die, die mein Seliger gemeint hat.“ Und ſie hatte wirklich richtig gewählt. In den faſt zehn Jahren, die ſeitdem verfloſſen waren, war es auch nicht ein einziges Mal zu Konflikten gekommen, mit der gräflichen Familie ſchon gewiß nicht, aber auch kaum mit den Dienerſchaften. Ein perſönlicher Verkehr zwiſchen Erdgeſchoß und Beletage konnte natürlich nicht ſtattfinden, — Hartwig war einfach der alter ego, der mit Jeſerich alles Nötige durchzuſprechen hatte. Kam es aber aus¬ nahmsweiſe zwiſchen Wirtin und Mieter zu irgend einer Begegnung, ſo bewahrte dabei die kleine winzige Frau (die nie „viel“ war und ſeit ihres Mannes Tode noch immer weniger geworden war) eine merkwürdig gemeſſene Haltung, die jedem mit dem Berliner Weſen Unvertrauten eine Verwunderung abgenötigt haben würde. Riekchen empfand ſich nämlich in ſolchem Augenblicke durchaus als „Macht gegen Macht“. Wie beinah jedem hierlandes Geborenen, war auch ihr die Gabe wirklichen Vergleichen¬ könnens völlig verſagt, weil jeder echte, mit Spreewaſſer getaufte Berliner, männlich oder weiblich, ſeinen Zuſtand

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/161>, abgerufen am 21.11.2024.