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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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berg-Wutz als eine "Hochburg" anzusehen, die der staats¬
erhaltenden Partei nicht verloren gehen könne, diese Vor¬
stellung aber war ein Irrtum, und die bisherige Reverenz
gegen den alten Kortschädel wurzelte lediglich in etwas
Persönlichem. Nun war ihm Dubslav an Ansehen und
Beliebtheit freilich ebenbürtig, aber das mit der ewigen
persönlichen Rücksichtnahme mußte doch mal ein Ende
nehmen, und das Anrecht, das sich der alte Kortschädel
ersessen hatte, mit diesem mußt' es vorbei sein, eben weil
sich's endlich um einen Neuen handelte. Kein Zweifel, die
gegnerischen Parteien regten sich, und es lag genau so,
wie Lorenzen an Woldemar geschrieben, "daß ein Fort¬
schrittler, aber auch ein Sozialdemokrat gewählt werden
könne."

Wie die Stimmung im Kreise wirklich war, das hätte
der am besten erfahren, der im Vorübergehen an der
Comptoirthür des alten Baruch Hirschfeld gehorcht hätte.

"Laß dir sagen, Isidor, du wirst also wählen den
guten alten Herrn von Stechlin."

"Nein, Vater. Ich werde nicht wählen den guten
alten Herrn von Stechlin."

"Warum nicht? Ist er doch ein lieber Herr und
hat das richtige Herz."

"Das hat er; aber er hat das falsche Prinzip."

"Isidor, sprich mir nicht von Prinzip. Ich habe
dich gesehn, als du hast charmiert mit dem Mariechen von
nebenan und hast ihr aufgebunden das Schürzenband, und
sie hat dir gegeben einen Klaps. Du hast gebuhlt um das
christliche Mädchen. Und du buhlst jetzt, wo die Wahl
kommt, um die öffentliche Meinung. Und das mit dem
Mädchen, das hab' ich dir verziehen. Aber die öffentliche
Meinung verzeih' ich dir nicht."

"Wirst du, Vaterleben; haben wir doch die neue
Zeit. Und wenn ich wähle, wähl' ich für die Menschheit."

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berg-Wutz als eine „Hochburg“ anzuſehen, die der ſtaats¬
erhaltenden Partei nicht verloren gehen könne, dieſe Vor¬
ſtellung aber war ein Irrtum, und die bisherige Reverenz
gegen den alten Kortſchädel wurzelte lediglich in etwas
Perſönlichem. Nun war ihm Dubslav an Anſehen und
Beliebtheit freilich ebenbürtig, aber das mit der ewigen
perſönlichen Rückſichtnahme mußte doch mal ein Ende
nehmen, und das Anrecht, das ſich der alte Kortſchädel
erſeſſen hatte, mit dieſem mußt' es vorbei ſein, eben weil
ſich's endlich um einen Neuen handelte. Kein Zweifel, die
gegneriſchen Parteien regten ſich, und es lag genau ſo,
wie Lorenzen an Woldemar geſchrieben, „daß ein Fort¬
ſchrittler, aber auch ein Sozialdemokrat gewählt werden
könne.“

Wie die Stimmung im Kreiſe wirklich war, das hätte
der am beſten erfahren, der im Vorübergehen an der
Comptoirthür des alten Baruch Hirſchfeld gehorcht hätte.

„Laß dir ſagen, Iſidor, du wirſt alſo wählen den
guten alten Herrn von Stechlin.“

„Nein, Vater. Ich werde nicht wählen den guten
alten Herrn von Stechlin.“

„Warum nicht? Iſt er doch ein lieber Herr und
hat das richtige Herz.“

„Das hat er; aber er hat das falſche Prinzip.“

„Iſidor, ſprich mir nicht von Prinzip. Ich habe
dich geſehn, als du haſt charmiert mit dem Mariechen von
nebenan und haſt ihr aufgebunden das Schürzenband, und
ſie hat dir gegeben einen Klaps. Du haſt gebuhlt um das
chriſtliche Mädchen. Und du buhlſt jetzt, wo die Wahl
kommt, um die öffentliche Meinung. Und das mit dem
Mädchen, das hab' ich dir verziehen. Aber die öffentliche
Meinung verzeih' ich dir nicht.“

„Wirſt du, Vaterleben; haben wir doch die neue
Zeit. Und wenn ich wähle, wähl' ich für die Menſchheit.“

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[211/0218] berg-Wutz als eine „Hochburg“ anzuſehen, die der ſtaats¬ erhaltenden Partei nicht verloren gehen könne, dieſe Vor¬ ſtellung aber war ein Irrtum, und die bisherige Reverenz gegen den alten Kortſchädel wurzelte lediglich in etwas Perſönlichem. Nun war ihm Dubslav an Anſehen und Beliebtheit freilich ebenbürtig, aber das mit der ewigen perſönlichen Rückſichtnahme mußte doch mal ein Ende nehmen, und das Anrecht, das ſich der alte Kortſchädel erſeſſen hatte, mit dieſem mußt' es vorbei ſein, eben weil ſich's endlich um einen Neuen handelte. Kein Zweifel, die gegneriſchen Parteien regten ſich, und es lag genau ſo, wie Lorenzen an Woldemar geſchrieben, „daß ein Fort¬ ſchrittler, aber auch ein Sozialdemokrat gewählt werden könne.“ Wie die Stimmung im Kreiſe wirklich war, das hätte der am beſten erfahren, der im Vorübergehen an der Comptoirthür des alten Baruch Hirſchfeld gehorcht hätte. „Laß dir ſagen, Iſidor, du wirſt alſo wählen den guten alten Herrn von Stechlin.“ „Nein, Vater. Ich werde nicht wählen den guten alten Herrn von Stechlin.“ „Warum nicht? Iſt er doch ein lieber Herr und hat das richtige Herz.“ „Das hat er; aber er hat das falſche Prinzip.“ „Iſidor, ſprich mir nicht von Prinzip. Ich habe dich geſehn, als du haſt charmiert mit dem Mariechen von nebenan und haſt ihr aufgebunden das Schürzenband, und ſie hat dir gegeben einen Klaps. Du haſt gebuhlt um das chriſtliche Mädchen. Und du buhlſt jetzt, wo die Wahl kommt, um die öffentliche Meinung. Und das mit dem Mädchen, das hab' ich dir verziehen. Aber die öffentliche Meinung verzeih' ich dir nicht.“ „Wirſt du, Vaterleben; haben wir doch die neue Zeit. Und wenn ich wähle, wähl' ich für die Menſchheit.“ 14*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/218>, abgerufen am 24.11.2024.