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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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ihm hier ausnahmsweise unrecht. Er sprach überhaupt
nicht über mich, sondern über sich und machte mir dabei
seine Konfessions. Er gestand mir beispielsweise, daß
er sich unglücklich fühle."

"Warum?"

"Weil er in Quaden-Hennersdorf deplaciert sei."

"Deplaciert. Das ist auch solch Wort; das kenn'
ich. Wenn man durchaus will, ist jeder deplaciert, ich,
Sie, Krippenstapel, Engelke. Ich müßte Präses von einem
Stammtisch oder vielleicht auch ein Badedirektor sein,
Sie Missionar am Kongo, Krippenstapel Kustos an einem
märkischen Museum, und Engelke, nun der müßte gleich
selbst hinein, Nummer hundertdreizehn. Deplaciert! Alles
bloß Eitelkeit und Größenwahn. Und dieser Koseleger
mit dem Konsistorialratskinn! Er war Galopin bei 'ner
Großfürstin; das kann er nicht vergessen, damit will
er's nun zwingen, und in seinem Ärger und Unmut
spielt er sich auf den Charakter aus und versteigt sich,
wie Sie sagen, bis zu Konfessions und Gewagtheiten.
Und wenn er nun reüssierte (Gott verhüt' es), so haben
Sie den Scheiterhaufenmann comme il faut. Und der
erste, der 'rauf muß, das sind Sie. Denn er wird so¬
fort das Bedürfnis spüren, seine Gewagtheiten von heute
durch irgend ein Brandopfer wieder wett zu machen."

Unter diesem Gespräche waren sie schließlich aus
dem Walde heraus und näherten sich einem beinah'
meilenlangen und bis an den Horizont sich ausdehnenden
Stück Bruchland, über das mehrere mit Kropfweiden
und Silberpappeln besetzte Wege strahlenförmig auf
Rheinsberg zuliefen. Alle diese Wege waren belebt,
meist mit Fußgängern, aber auch mit Fuhrwerken. Eins
davon, aus gelblichem Holz, das hell in der Sonne
blinkte, war leicht zu erkennen.

"Da fährt ja Katzler," sagte Dubslav. "Über¬
rascht mich beinah'. Es ist nämlich, was Sie vielleicht

ihm hier ausnahmsweiſe unrecht. Er ſprach überhaupt
nicht über mich, ſondern über ſich und machte mir dabei
ſeine Konfeſſions. Er geſtand mir beiſpielsweiſe, daß
er ſich unglücklich fühle.“

„Warum?“

„Weil er in Quaden-Hennersdorf deplaciert ſei.“

„Deplaciert. Das iſt auch ſolch Wort; das kenn'
ich. Wenn man durchaus will, iſt jeder deplaciert, ich,
Sie, Krippenſtapel, Engelke. Ich müßte Präſes von einem
Stammtiſch oder vielleicht auch ein Badedirektor ſein,
Sie Miſſionar am Kongo, Krippenſtapel Kuſtos an einem
märkiſchen Muſeum, und Engelke, nun der müßte gleich
ſelbſt hinein, Nummer hundertdreizehn. Deplaciert! Alles
bloß Eitelkeit und Größenwahn. Und dieſer Koſeleger
mit dem Konſiſtorialratskinn! Er war Galopin bei 'ner
Großfürſtin; das kann er nicht vergeſſen, damit will
er's nun zwingen, und in ſeinem Ärger und Unmut
ſpielt er ſich auf den Charakter aus und verſteigt ſich,
wie Sie ſagen, bis zu Konfeſſions und Gewagtheiten.
Und wenn er nun reüſſierte (Gott verhüt' es), ſo haben
Sie den Scheiterhaufenmann comme il faut. Und der
erſte, der 'rauf muß, das ſind Sie. Denn er wird ſo¬
fort das Bedürfnis ſpüren, ſeine Gewagtheiten von heute
durch irgend ein Brandopfer wieder wett zu machen.“

Unter dieſem Geſpräche waren ſie ſchließlich aus
dem Walde heraus und näherten ſich einem beinah'
meilenlangen und bis an den Horizont ſich ausdehnenden
Stück Bruchland, über das mehrere mit Kropfweiden
und Silberpappeln beſetzte Wege ſtrahlenförmig auf
Rheinsberg zuliefen. Alle dieſe Wege waren belebt,
meiſt mit Fußgängern, aber auch mit Fuhrwerken. Eins
davon, aus gelblichem Holz, das hell in der Sonne
blinkte, war leicht zu erkennen.

„Da fährt ja Katzler,“ ſagte Dubslav. „Über¬
raſcht mich beinah'. Es iſt nämlich, was Sie vielleicht

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[234/0241] ihm hier ausnahmsweiſe unrecht. Er ſprach überhaupt nicht über mich, ſondern über ſich und machte mir dabei ſeine Konfeſſions. Er geſtand mir beiſpielsweiſe, daß er ſich unglücklich fühle.“ „Warum?“ „Weil er in Quaden-Hennersdorf deplaciert ſei.“ „Deplaciert. Das iſt auch ſolch Wort; das kenn' ich. Wenn man durchaus will, iſt jeder deplaciert, ich, Sie, Krippenſtapel, Engelke. Ich müßte Präſes von einem Stammtiſch oder vielleicht auch ein Badedirektor ſein, Sie Miſſionar am Kongo, Krippenſtapel Kuſtos an einem märkiſchen Muſeum, und Engelke, nun der müßte gleich ſelbſt hinein, Nummer hundertdreizehn. Deplaciert! Alles bloß Eitelkeit und Größenwahn. Und dieſer Koſeleger mit dem Konſiſtorialratskinn! Er war Galopin bei 'ner Großfürſtin; das kann er nicht vergeſſen, damit will er's nun zwingen, und in ſeinem Ärger und Unmut ſpielt er ſich auf den Charakter aus und verſteigt ſich, wie Sie ſagen, bis zu Konfeſſions und Gewagtheiten. Und wenn er nun reüſſierte (Gott verhüt' es), ſo haben Sie den Scheiterhaufenmann comme il faut. Und der erſte, der 'rauf muß, das ſind Sie. Denn er wird ſo¬ fort das Bedürfnis ſpüren, ſeine Gewagtheiten von heute durch irgend ein Brandopfer wieder wett zu machen.“ Unter dieſem Geſpräche waren ſie ſchließlich aus dem Walde heraus und näherten ſich einem beinah' meilenlangen und bis an den Horizont ſich ausdehnenden Stück Bruchland, über das mehrere mit Kropfweiden und Silberpappeln beſetzte Wege ſtrahlenförmig auf Rheinsberg zuliefen. Alle dieſe Wege waren belebt, meiſt mit Fußgängern, aber auch mit Fuhrwerken. Eins davon, aus gelblichem Holz, das hell in der Sonne blinkte, war leicht zu erkennen. „Da fährt ja Katzler,“ ſagte Dubslav. „Über¬ raſcht mich beinah'. Es iſt nämlich, was Sie vielleicht

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/241>, abgerufen am 24.11.2024.