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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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haben wir gar nichts; das ist noch unsre Rettung, und
die beinah' einzige Stelle, wo mir den Mund (ich sage
Mund) einigermaßen aufthun und was durchsetzen können.
Wir müssen mit dem Zentrum paktieren. Dann sind
wir egal 'raus. Und nun kommt dieser Gundermann
und will uns auch das noch nehmen. Es ist doch 'ne
Wahrheit, daß sich die Parteien und die Stände jedes¬
mal selbst ruinieren. Das heißt, von ,Ständen' kann
hier eigentlich nicht die Rede sein; denn dieser Gunder¬
mann gehört nicht mit dazu. Seine Mutter war 'ne
Hebamme in Wrietzen. Drum drängt er sich auch
immer vor."

Bald nach Gundermanns Rede, die schon eine Art
Nachspiel gewesen war, flüsterte Baron Beetz dem Alten-
Friesacker zu, daß es Zeit sei, die Tafel aufzuheben.
Der Alte wollte jedoch noch nicht recht, denn wenn er mal
saß, saß er; aber als gleich danach mehrere Stühle gerückt
wurden, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich an¬
zuschließen, und unter den Klängen des "Hohenfried¬
bergers" -- der "Prager", darin es heißt, "Schwerin
fällt", wäre mit Rücksicht auf die Gesamtsituation viel¬
leicht paßlicher gewesen -- kehrte man in die Parterre¬
räume zurück, wo die Majorität dem Kaffee zusprechen
wollte, während eine kleine Gruppe von Allertapfersten
in die Straße hinaustrat, um da, unter den Bäumen
des "Triangelplatzes", sich bei Sekt und Cognac des
weiteren bene zu thun. Obenan saß von Molchow,
neben ihm von Kraatz und van Peerenboom; Molchow
gegenüber Direktor Thormeyer und der bis dahin mit
der Festmusik betraute Lehrer, der bei solchen Gelegen¬
heiten überhaupt Thormeyers Adlatus war. Sonder¬
barerweise hatte sich auch Katzler hier niedergelassen (er
sehnte sich wohl nach Eindrücken, die jenseits aller
"Pflicht" lagen), und neben ihm, was beinahe noch mehr
überraschen konnte, saß von der Nonne. Molchow und

haben wir gar nichts; das iſt noch unſre Rettung, und
die beinah' einzige Stelle, wo mir den Mund (ich ſage
Mund) einigermaßen aufthun und was durchſetzen können.
Wir müſſen mit dem Zentrum paktieren. Dann ſind
wir egal 'raus. Und nun kommt dieſer Gundermann
und will uns auch das noch nehmen. Es iſt doch 'ne
Wahrheit, daß ſich die Parteien und die Stände jedes¬
mal ſelbſt ruinieren. Das heißt, von ‚Ständen‘ kann
hier eigentlich nicht die Rede ſein; denn dieſer Gunder¬
mann gehört nicht mit dazu. Seine Mutter war 'ne
Hebamme in Wrietzen. Drum drängt er ſich auch
immer vor.“

Bald nach Gundermanns Rede, die ſchon eine Art
Nachſpiel geweſen war, flüſterte Baron Beetz dem Alten-
Frieſacker zu, daß es Zeit ſei, die Tafel aufzuheben.
Der Alte wollte jedoch noch nicht recht, denn wenn er mal
ſaß, ſaß er; aber als gleich danach mehrere Stühle gerückt
wurden, blieb ihm nichts anderes übrig, als ſich an¬
zuſchließen, und unter den Klängen des „Hohenfried¬
bergers“ — der „Prager“, darin es heißt, „Schwerin
fällt“, wäre mit Rückſicht auf die Geſamtſituation viel¬
leicht paßlicher geweſen — kehrte man in die Parterre¬
räume zurück, wo die Majorität dem Kaffee zuſprechen
wollte, während eine kleine Gruppe von Allertapferſten
in die Straße hinaustrat, um da, unter den Bäumen
des „Triangelplatzes“, ſich bei Sekt und Cognac des
weiteren bene zu thun. Obenan ſaß von Molchow,
neben ihm von Kraatz und van Peerenboom; Molchow
gegenüber Direktor Thormeyer und der bis dahin mit
der Feſtmuſik betraute Lehrer, der bei ſolchen Gelegen¬
heiten überhaupt Thormeyers Adlatus war. Sonder¬
barerweiſe hatte ſich auch Katzler hier niedergelaſſen (er
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[252/0259] haben wir gar nichts; das iſt noch unſre Rettung, und die beinah' einzige Stelle, wo mir den Mund (ich ſage Mund) einigermaßen aufthun und was durchſetzen können. Wir müſſen mit dem Zentrum paktieren. Dann ſind wir egal 'raus. Und nun kommt dieſer Gundermann und will uns auch das noch nehmen. Es iſt doch 'ne Wahrheit, daß ſich die Parteien und die Stände jedes¬ mal ſelbſt ruinieren. Das heißt, von ‚Ständen‘ kann hier eigentlich nicht die Rede ſein; denn dieſer Gunder¬ mann gehört nicht mit dazu. Seine Mutter war 'ne Hebamme in Wrietzen. Drum drängt er ſich auch immer vor.“ Bald nach Gundermanns Rede, die ſchon eine Art Nachſpiel geweſen war, flüſterte Baron Beetz dem Alten- Frieſacker zu, daß es Zeit ſei, die Tafel aufzuheben. Der Alte wollte jedoch noch nicht recht, denn wenn er mal ſaß, ſaß er; aber als gleich danach mehrere Stühle gerückt wurden, blieb ihm nichts anderes übrig, als ſich an¬ zuſchließen, und unter den Klängen des „Hohenfried¬ bergers“ — der „Prager“, darin es heißt, „Schwerin fällt“, wäre mit Rückſicht auf die Geſamtſituation viel¬ leicht paßlicher geweſen — kehrte man in die Parterre¬ räume zurück, wo die Majorität dem Kaffee zuſprechen wollte, während eine kleine Gruppe von Allertapferſten in die Straße hinaustrat, um da, unter den Bäumen des „Triangelplatzes“, ſich bei Sekt und Cognac des weiteren bene zu thun. Obenan ſaß von Molchow, neben ihm von Kraatz und van Peerenboom; Molchow gegenüber Direktor Thormeyer und der bis dahin mit der Feſtmuſik betraute Lehrer, der bei ſolchen Gelegen¬ heiten überhaupt Thormeyers Adlatus war. Sonder¬ barerweiſe hatte ſich auch Katzler hier niedergelaſſen (er ſehnte ſich wohl nach Eindrücken, die jenſeits aller „Pflicht“ lagen), und neben ihm, was beinahe noch mehr überraſchen konnte, ſaß von der Nonne. Molchow und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/259>, abgerufen am 22.11.2024.