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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Und der sprang nu ab?"

"Nicht so ganz. Oder eigentlich gar nicht. Denn
Lilli ist sehr hübsch und nebenher auch noch sehr reich.
Und da soll denn der Vetter gesagt haben, er liebe sie
so sehr, und wo man liebe, da verzeihe man auch.
Und er halte auch eine Entsühnung für durchaus mög¬
lich. Ja, er soll dabei von Purgatorium gesprochen
haben."

"Mißfällt mir, klingt schlecht," sagte Molchow.
"Aber was er vorher gesagt, ,Entsühnung', das ist ein
schönes Wort und eine schöne Sache. Nur das ,Wie',
-- ach, man weiß immer so wenig von diesen Dingen, --
will mir nicht recht einleuchten. Als Christ weiß ich
natürlich (so schlimm steht es am Ende auch nicht mit
einem), als Christ weiß ich, daß es eine Sühne giebt.
Aber in solchem Falle? Thormeyer, was meinen Sie,
was sagen Sie dazu? Sie sind ein Mann von Fach
und haben alle Kirchenväter gelesen und noch ein paar
mehr."

Thormeyer verklärte sich. Das war so recht ein
Thema nach seinem Geschmack; seine Augen wurden
größer und sein glattes Gesicht noch glatter.

"Ja," sagte er, während er sich über den Tisch zu
Molchow vorbeugte, "so was giebt es. Und es ist ein
Glück, daß es so was giebt. Denn die arme Mensch¬
heit braucht es. Das Wort Purgatorium will ich ver¬
meiden, einmal, weil sich mein protestantisches Gewissen
dagegen sträubt, und dann auch wegen des Anklangs;
aber es giebt eine Purifikation. Und das ist doch eigent¬
lich das, worauf es ankommt: Reinheitswiederherstellung.
Ein etwas schwerfälliges Wort. Indessen die Sache, drum
sich's hier handelt, giebt es doch gut wieder. Sie be¬
gegnen diesem Hange nach Restitution überall, und
namentlich im Orient, -- aus dem doch unsre ganze Kultur

„Und der ſprang nu ab?“

„Nicht ſo ganz. Oder eigentlich gar nicht. Denn
Lilli iſt ſehr hübſch und nebenher auch noch ſehr reich.
Und da ſoll denn der Vetter geſagt haben, er liebe ſie
ſo ſehr, und wo man liebe, da verzeihe man auch.
Und er halte auch eine Entſühnung für durchaus mög¬
lich. Ja, er ſoll dabei von Purgatorium geſprochen
haben.“

„Mißfällt mir, klingt ſchlecht,“ ſagte Molchow.
„Aber was er vorher geſagt, ‚Entſühnung‘, das iſt ein
ſchönes Wort und eine ſchöne Sache. Nur das ‚Wie‘,
— ach, man weiß immer ſo wenig von dieſen Dingen, —
will mir nicht recht einleuchten. Als Chriſt weiß ich
natürlich (ſo ſchlimm ſteht es am Ende auch nicht mit
einem), als Chriſt weiß ich, daß es eine Sühne giebt.
Aber in ſolchem Falle? Thormeyer, was meinen Sie,
was ſagen Sie dazu? Sie ſind ein Mann von Fach
und haben alle Kirchenväter geleſen und noch ein paar
mehr.“

Thormeyer verklärte ſich. Das war ſo recht ein
Thema nach ſeinem Geſchmack; ſeine Augen wurden
größer und ſein glattes Geſicht noch glatter.

„Ja,“ ſagte er, während er ſich über den Tiſch zu
Molchow vorbeugte, „ſo was giebt es. Und es iſt ein
Glück, daß es ſo was giebt. Denn die arme Menſch¬
heit braucht es. Das Wort Purgatorium will ich ver¬
meiden, einmal, weil ſich mein proteſtantiſches Gewiſſen
dagegen ſträubt, und dann auch wegen des Anklangs;
aber es giebt eine Purifikation. Und das iſt doch eigent¬
lich das, worauf es ankommt: Reinheitswiederherſtellung.
Ein etwas ſchwerfälliges Wort. Indeſſen die Sache, drum
ſich's hier handelt, giebt es doch gut wieder. Sie be¬
gegnen dieſem Hange nach Reſtitution überall, und
namentlich im Orient, — aus dem doch unſre ganze Kultur

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[254/0261] „Und der ſprang nu ab?“ „Nicht ſo ganz. Oder eigentlich gar nicht. Denn Lilli iſt ſehr hübſch und nebenher auch noch ſehr reich. Und da ſoll denn der Vetter geſagt haben, er liebe ſie ſo ſehr, und wo man liebe, da verzeihe man auch. Und er halte auch eine Entſühnung für durchaus mög¬ lich. Ja, er ſoll dabei von Purgatorium geſprochen haben.“ „Mißfällt mir, klingt ſchlecht,“ ſagte Molchow. „Aber was er vorher geſagt, ‚Entſühnung‘, das iſt ein ſchönes Wort und eine ſchöne Sache. Nur das ‚Wie‘, — ach, man weiß immer ſo wenig von dieſen Dingen, — will mir nicht recht einleuchten. Als Chriſt weiß ich natürlich (ſo ſchlimm ſteht es am Ende auch nicht mit einem), als Chriſt weiß ich, daß es eine Sühne giebt. Aber in ſolchem Falle? Thormeyer, was meinen Sie, was ſagen Sie dazu? Sie ſind ein Mann von Fach und haben alle Kirchenväter geleſen und noch ein paar mehr.“ Thormeyer verklärte ſich. Das war ſo recht ein Thema nach ſeinem Geſchmack; ſeine Augen wurden größer und ſein glattes Geſicht noch glatter. „Ja,“ ſagte er, während er ſich über den Tiſch zu Molchow vorbeugte, „ſo was giebt es. Und es iſt ein Glück, daß es ſo was giebt. Denn die arme Menſch¬ heit braucht es. Das Wort Purgatorium will ich ver¬ meiden, einmal, weil ſich mein proteſtantiſches Gewiſſen dagegen ſträubt, und dann auch wegen des Anklangs; aber es giebt eine Purifikation. Und das iſt doch eigent¬ lich das, worauf es ankommt: Reinheitswiederherſtellung. Ein etwas ſchwerfälliges Wort. Indeſſen die Sache, drum ſich's hier handelt, giebt es doch gut wieder. Sie be¬ gegnen dieſem Hange nach Reſtitution überall, und namentlich im Orient, — aus dem doch unſre ganze Kultur

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/261>, abgerufen am 22.11.2024.