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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Zusammenhang der Dinge nie vergessen. Sich abschließen,
heißt sich einmauern, und sich einmauern ist Tod. Es
kommt darauf an, daß wir gerade das beständig gegen¬
wärtig haben. Mein Vertrauen zu meinem Schwager ist
unbegrenzt. Er hat einen edeln Charakter, aber ich weiß
nicht, ob er auch einen festen Charakter hat. Er ist feinen
Sinnes, und wer fein ist, ist oft bestimmbar. Er ist auch
nicht geistig bedeutend genug, um sich gegen abweichende
Meinungen, gegen Irrtümer und Standesvorurteile wehren
zu können. Er bedarf der Stütze. Diese Stütze sind Sie
meinem Schwager Woldemar von Jugend auf gewesen.
Und um was ich jetzt bitte, das heißt: ,Seien Sie's
ferner'."

"Daß ich Ihnen sagen könnte, wie freudig ich in
Ihren Dienst trete, gnädigste Gräfin. Und ich kann es
um so leichter, als Ihre Ideale, wie Sie wissen, auch die
meinigen sind. Ich lebe darin und empfind' es als eine
Gnade, da, wo das Alte versagt, ganz in einem Neuen
aufzugehn. Um ein solches ,Neues' handelt es sich. Ob
ein solches ,Neues' sein soll (weil es sein muß) oder ob
es nicht sein soll, um diese Frage dreht sich alles. Es
giebt hier um uns her eine große Zahl vorzüglicher Leute,
die ganz ernsthaft glauben, das uns Überlieferte -- das
Kirchliche voran (leider nicht das Christliche) -- müsse
verteidigt werden, wie der salomonische Tempel. In
unserer Obersphäre herrscht außerdem eine naive Neigung,
alles ,Preußische' für eine höhere Kulturform zu halten."

"Genau wie Sie sagen. Aber ich möchte doch, um
der Gerechtigkeit willen, die Frage stellen dürfen, ob dieser
naive Glaube nicht eine gewisse Berechtigung hat?"

"Er hatte sie mal. Aber das liegt zurück. Und kann
nicht anders sein. Der Hauptgegensatz alles Modernen
gegen das Alte besteht darin, daß die Menschen nicht
mehr durch ihre Geburt auf den von ihnen einzunehmenden
Platz gestellt werden. Sie haben jetzt die Freiheit, ihre

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Zuſammenhang der Dinge nie vergeſſen. Sich abſchließen,
heißt ſich einmauern, und ſich einmauern iſt Tod. Es
kommt darauf an, daß wir gerade das beſtändig gegen¬
wärtig haben. Mein Vertrauen zu meinem Schwager iſt
unbegrenzt. Er hat einen edeln Charakter, aber ich weiß
nicht, ob er auch einen feſten Charakter hat. Er iſt feinen
Sinnes, und wer fein iſt, iſt oft beſtimmbar. Er iſt auch
nicht geiſtig bedeutend genug, um ſich gegen abweichende
Meinungen, gegen Irrtümer und Standesvorurteile wehren
zu können. Er bedarf der Stütze. Dieſe Stütze ſind Sie
meinem Schwager Woldemar von Jugend auf geweſen.
Und um was ich jetzt bitte, das heißt: ‚Seien Sie's
ferner‘.“

„Daß ich Ihnen ſagen könnte, wie freudig ich in
Ihren Dienſt trete, gnädigſte Gräfin. Und ich kann es
um ſo leichter, als Ihre Ideale, wie Sie wiſſen, auch die
meinigen ſind. Ich lebe darin und empfind' es als eine
Gnade, da, wo das Alte verſagt, ganz in einem Neuen
aufzugehn. Um ein ſolches ‚Neues‘ handelt es ſich. Ob
ein ſolches ‚Neues‘ ſein ſoll (weil es ſein muß) oder ob
es nicht ſein ſoll, um dieſe Frage dreht ſich alles. Es
giebt hier um uns her eine große Zahl vorzüglicher Leute,
die ganz ernſthaft glauben, das uns Überlieferte — das
Kirchliche voran (leider nicht das Chriſtliche) — müſſe
verteidigt werden, wie der ſalomoniſche Tempel. In
unſerer Oberſphäre herrſcht außerdem eine naive Neigung,
alles ‚Preußiſche‘ für eine höhere Kulturform zu halten.“

„Genau wie Sie ſagen. Aber ich möchte doch, um
der Gerechtigkeit willen, die Frage ſtellen dürfen, ob dieſer
naive Glaube nicht eine gewiſſe Berechtigung hat?“

„Er hatte ſie mal. Aber das liegt zurück. Und kann
nicht anders ſein. Der Hauptgegenſatz alles Modernen
gegen das Alte beſteht darin, daß die Menſchen nicht
mehr durch ihre Geburt auf den von ihnen einzunehmenden
Platz geſtellt werden. Sie haben jetzt die Freiheit, ihre

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[355/0362] Zuſammenhang der Dinge nie vergeſſen. Sich abſchließen, heißt ſich einmauern, und ſich einmauern iſt Tod. Es kommt darauf an, daß wir gerade das beſtändig gegen¬ wärtig haben. Mein Vertrauen zu meinem Schwager iſt unbegrenzt. Er hat einen edeln Charakter, aber ich weiß nicht, ob er auch einen feſten Charakter hat. Er iſt feinen Sinnes, und wer fein iſt, iſt oft beſtimmbar. Er iſt auch nicht geiſtig bedeutend genug, um ſich gegen abweichende Meinungen, gegen Irrtümer und Standesvorurteile wehren zu können. Er bedarf der Stütze. Dieſe Stütze ſind Sie meinem Schwager Woldemar von Jugend auf geweſen. Und um was ich jetzt bitte, das heißt: ‚Seien Sie's ferner‘.“ „Daß ich Ihnen ſagen könnte, wie freudig ich in Ihren Dienſt trete, gnädigſte Gräfin. Und ich kann es um ſo leichter, als Ihre Ideale, wie Sie wiſſen, auch die meinigen ſind. Ich lebe darin und empfind' es als eine Gnade, da, wo das Alte verſagt, ganz in einem Neuen aufzugehn. Um ein ſolches ‚Neues‘ handelt es ſich. Ob ein ſolches ‚Neues‘ ſein ſoll (weil es ſein muß) oder ob es nicht ſein ſoll, um dieſe Frage dreht ſich alles. Es giebt hier um uns her eine große Zahl vorzüglicher Leute, die ganz ernſthaft glauben, das uns Überlieferte — das Kirchliche voran (leider nicht das Chriſtliche) — müſſe verteidigt werden, wie der ſalomoniſche Tempel. In unſerer Oberſphäre herrſcht außerdem eine naive Neigung, alles ‚Preußiſche‘ für eine höhere Kulturform zu halten.“ „Genau wie Sie ſagen. Aber ich möchte doch, um der Gerechtigkeit willen, die Frage ſtellen dürfen, ob dieſer naive Glaube nicht eine gewiſſe Berechtigung hat?“ „Er hatte ſie mal. Aber das liegt zurück. Und kann nicht anders ſein. Der Hauptgegenſatz alles Modernen gegen das Alte beſteht darin, daß die Menſchen nicht mehr durch ihre Geburt auf den von ihnen einzunehmenden Platz geſtellt werden. Sie haben jetzt die Freiheit, ihre 23*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/362>, abgerufen am 22.11.2024.