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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Nein, Herr Hofprediger. So bei Kindern wohnen
ist immer mißlich. Und mein Sohn weiß das auch;
er kennt den Geschmack oder meinetwegen auch bloß
die Schrullenhaftigkeit seines Vaters, und so hat er
mich, was immer das beste bleibt, in einem Hotel
untergebracht."

"Und Sie sind da zufrieden?"

"Im höchsten Maße, wiewohl es ein bißchen über
mich hinausgeht. Ich bin noch aus der Zeit von Hotel
de Brandebourg, an dem mich immer nur die Französierung
ärgerte, -- sonst alles vorzüglich. Aber solche Gasthäuser
sind eben, seit wir Kaiser und Reich sind, mehr oder
weniger altmodisch geworden, und so bin ich denn durch
meinen Sohn im Hotel Bristol untergebracht worden.
Alles ersten Ranges, kein Zweifel, wozu noch kommt,
daß mich der bloße Name schon erheitert, der neuer¬
dings jeden Mitbewerb so gut wie ausschließt. Als ich
noch Lieutenant war, freilich lange her, mußten alle
Witze von Glasbrenner oder von Beckmann sein. Beck¬
mann war erster Komiker, und wenn man in Gesell¬
schaft sagte: ,da hat ja wieder der Beckmann ...' so
war man mit seiner Geschichte so gut wie 'raus. Und
wie damals mit den Witzen, so heute mit den Hotels.
Alle müssen ,Bristol' heißen. Ich zerbreche mir den Kopf
darüber, wie gerade Bristol dazu kommt. Bristol ist
doch am Ende nur ein Ort zweiten Ranges, aber Hotel
Bristol ist immer prima. Ob es hier wohl Menschen
giebt, die Bristol je gesehn haben? Viele gewiß nicht,
denn Schiffskapitäne, die zwischen Bristol und New-
York fahren, sind in unserm guten Berlin immer noch
Raritäten. Übrigens darf ich bei allem Respekt vor
meinem berühmten Hotel sagen, unberühmte sind meist
interessanter. So zum Beispiel bayrische Wirtshäuser
im Gebirge, wo man eine dicke Wirtin hat, von der
es heißt, sie sei mal schön gewesen, und ein Kaiser oder

„Nein, Herr Hofprediger. So bei Kindern wohnen
iſt immer mißlich. Und mein Sohn weiß das auch;
er kennt den Geſchmack oder meinetwegen auch bloß
die Schrullenhaftigkeit ſeines Vaters, und ſo hat er
mich, was immer das beſte bleibt, in einem Hotel
untergebracht.“

„Und Sie ſind da zufrieden?“

„Im höchſten Maße, wiewohl es ein bißchen über
mich hinausgeht. Ich bin noch aus der Zeit von Hotel
de Brandebourg, an dem mich immer nur die Franzöſierung
ärgerte, — ſonſt alles vorzüglich. Aber ſolche Gaſthäuſer
ſind eben, ſeit wir Kaiſer und Reich ſind, mehr oder
weniger altmodiſch geworden, und ſo bin ich denn durch
meinen Sohn im Hotel Briſtol untergebracht worden.
Alles erſten Ranges, kein Zweifel, wozu noch kommt,
daß mich der bloße Name ſchon erheitert, der neuer¬
dings jeden Mitbewerb ſo gut wie ausſchließt. Als ich
noch Lieutenant war, freilich lange her, mußten alle
Witze von Glasbrenner oder von Beckmann ſein. Beck¬
mann war erſter Komiker, und wenn man in Geſell¬
ſchaft ſagte: ‚da hat ja wieder der Beckmann ...‘ ſo
war man mit ſeiner Geſchichte ſo gut wie 'raus. Und
wie damals mit den Witzen, ſo heute mit den Hotels.
Alle müſſen ‚Briſtol‘ heißen. Ich zerbreche mir den Kopf
darüber, wie gerade Briſtol dazu kommt. Briſtol iſt
doch am Ende nur ein Ort zweiten Ranges, aber Hotel
Briſtol iſt immer prima. Ob es hier wohl Menſchen
giebt, die Briſtol je geſehn haben? Viele gewiß nicht,
denn Schiffskapitäne, die zwiſchen Briſtol und New-
York fahren, ſind in unſerm guten Berlin immer noch
Raritäten. Übrigens darf ich bei allem Reſpekt vor
meinem berühmten Hotel ſagen, unberühmte ſind meiſt
intereſſanter. So zum Beiſpiel bayriſche Wirtshäuſer
im Gebirge, wo man eine dicke Wirtin hat, von der
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[386/0393] „Nein, Herr Hofprediger. So bei Kindern wohnen iſt immer mißlich. Und mein Sohn weiß das auch; er kennt den Geſchmack oder meinetwegen auch bloß die Schrullenhaftigkeit ſeines Vaters, und ſo hat er mich, was immer das beſte bleibt, in einem Hotel untergebracht.“ „Und Sie ſind da zufrieden?“ „Im höchſten Maße, wiewohl es ein bißchen über mich hinausgeht. Ich bin noch aus der Zeit von Hotel de Brandebourg, an dem mich immer nur die Franzöſierung ärgerte, — ſonſt alles vorzüglich. Aber ſolche Gaſthäuſer ſind eben, ſeit wir Kaiſer und Reich ſind, mehr oder weniger altmodiſch geworden, und ſo bin ich denn durch meinen Sohn im Hotel Briſtol untergebracht worden. Alles erſten Ranges, kein Zweifel, wozu noch kommt, daß mich der bloße Name ſchon erheitert, der neuer¬ dings jeden Mitbewerb ſo gut wie ausſchließt. Als ich noch Lieutenant war, freilich lange her, mußten alle Witze von Glasbrenner oder von Beckmann ſein. Beck¬ mann war erſter Komiker, und wenn man in Geſell¬ ſchaft ſagte: ‚da hat ja wieder der Beckmann ...‘ ſo war man mit ſeiner Geſchichte ſo gut wie 'raus. Und wie damals mit den Witzen, ſo heute mit den Hotels. Alle müſſen ‚Briſtol‘ heißen. Ich zerbreche mir den Kopf darüber, wie gerade Briſtol dazu kommt. Briſtol iſt doch am Ende nur ein Ort zweiten Ranges, aber Hotel Briſtol iſt immer prima. Ob es hier wohl Menſchen giebt, die Briſtol je geſehn haben? Viele gewiß nicht, denn Schiffskapitäne, die zwiſchen Briſtol und New- York fahren, ſind in unſerm guten Berlin immer noch Raritäten. Übrigens darf ich bei allem Reſpekt vor meinem berühmten Hotel ſagen, unberühmte ſind meiſt intereſſanter. So zum Beiſpiel bayriſche Wirtshäuſer im Gebirge, wo man eine dicke Wirtin hat, von der es heißt, ſie ſei mal ſchön geweſen, und ein Kaiſer oder

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/393>, abgerufen am 22.11.2024.