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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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schreiblichen und mir unvergeßlichen Lächeln: ,Ja, lieber
Frommel, da unter mir liegt ein Kranker; ich mag nicht,
daß er die Empfindung hat, ich trample ihm da so
über den Kopf hin ...' Sehn Sie, Herr von Stechlin,
da haben Sie den alten Kaiser."

Dubslav schwieg und nickte. "Wie beneid' ich Sie,
so was erlebt zu haben," hob er nach einer Weile an.
"Ich kannt' ihn auch ganz gut, das heißt in Tagen,
wo er noch Prinz Wilhelm war, und dann oberflächlich
auch später noch. Aber seine eigentliche Zeit ist doch
seine Kaiserzeit."

"Gewiß, Herr von Stechlin. Es wächst der Mensch
mit seinen größern Zwecken."

"Richtig, richtig," sagte Dubslav, "das schwebte
mir auch vor; ich konnt' es bloß nicht gleich finden.
Ja, so war er, und so einen kriegen wir nicht wieder.
Übrigens sag' ich das in aller Reverenz. Denn ich bin
kein Frondeur. Fronde mir gräßlich und paßt nicht für
uns. Bloß mitunter, da paßt sie doch vielleicht."


Inzwischen war die siebente Stunde herangekommen
und um halb acht ging der Zug, mit dem das junge
Paar noch bis Dresden wollte, dieser herkömmlich ersten
Etappe für jede Hochzeitsreise nach dem Süden. Man
erhob sich von der Tafel, und während die Gäste,
bunte Reihe machend, untereinander zu plaudern be¬
gannen, zogen sich Woldemar und Armgard unbemerkt
zurück. Ihr Reisegepäck war seit einer Stunde schon
voraus, und nun hielt auch der viersitzige Wagen vor
dem Barbyschen Hause. Die Baronin und Melusine
hatten sich zur Begleitung des jungen Paares mitein¬
ander
verabredet und nahmen jetzt, ohne daß Wol¬
demar und Armgard es hindern konnten, die beiden

ſchreiblichen und mir unvergeßlichen Lächeln: ‚Ja, lieber
Frommel, da unter mir liegt ein Kranker; ich mag nicht,
daß er die Empfindung hat, ich trample ihm da ſo
über den Kopf hin ...‘ Sehn Sie, Herr von Stechlin,
da haben Sie den alten Kaiſer.“

Dubslav ſchwieg und nickte. „Wie beneid' ich Sie,
ſo was erlebt zu haben,“ hob er nach einer Weile an.
„Ich kannt' ihn auch ganz gut, das heißt in Tagen,
wo er noch Prinz Wilhelm war, und dann oberflächlich
auch ſpäter noch. Aber ſeine eigentliche Zeit iſt doch
ſeine Kaiſerzeit.“

„Gewiß, Herr von Stechlin. Es wächſt der Menſch
mit ſeinen größern Zwecken.“

„Richtig, richtig,“ ſagte Dubslav, „das ſchwebte
mir auch vor; ich konnt' es bloß nicht gleich finden.
Ja, ſo war er, und ſo einen kriegen wir nicht wieder.
Übrigens ſag' ich das in aller Reverenz. Denn ich bin
kein Frondeur. Fronde mir gräßlich und paßt nicht für
uns. Bloß mitunter, da paßt ſie doch vielleicht.“


Inzwiſchen war die ſiebente Stunde herangekommen
und um halb acht ging der Zug, mit dem das junge
Paar noch bis Dresden wollte, dieſer herkömmlich erſten
Etappe für jede Hochzeitsreiſe nach dem Süden. Man
erhob ſich von der Tafel, und während die Gäſte,
bunte Reihe machend, untereinander zu plaudern be¬
gannen, zogen ſich Woldemar und Armgard unbemerkt
zurück. Ihr Reiſegepäck war ſeit einer Stunde ſchon
voraus, und nun hielt auch der vierſitzige Wagen vor
dem Barbyſchen Hauſe. Die Baronin und Meluſine
hatten ſich zur Begleitung des jungen Paares mitein¬
ander
verabredet und nahmen jetzt, ohne daß Wol¬
demar und Armgard es hindern konnten, die beiden

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[388/0395] ſchreiblichen und mir unvergeßlichen Lächeln: ‚Ja, lieber Frommel, da unter mir liegt ein Kranker; ich mag nicht, daß er die Empfindung hat, ich trample ihm da ſo über den Kopf hin ...‘ Sehn Sie, Herr von Stechlin, da haben Sie den alten Kaiſer.“ Dubslav ſchwieg und nickte. „Wie beneid' ich Sie, ſo was erlebt zu haben,“ hob er nach einer Weile an. „Ich kannt' ihn auch ganz gut, das heißt in Tagen, wo er noch Prinz Wilhelm war, und dann oberflächlich auch ſpäter noch. Aber ſeine eigentliche Zeit iſt doch ſeine Kaiſerzeit.“ „Gewiß, Herr von Stechlin. Es wächſt der Menſch mit ſeinen größern Zwecken.“ „Richtig, richtig,“ ſagte Dubslav, „das ſchwebte mir auch vor; ich konnt' es bloß nicht gleich finden. Ja, ſo war er, und ſo einen kriegen wir nicht wieder. Übrigens ſag' ich das in aller Reverenz. Denn ich bin kein Frondeur. Fronde mir gräßlich und paßt nicht für uns. Bloß mitunter, da paßt ſie doch vielleicht.“ Inzwiſchen war die ſiebente Stunde herangekommen und um halb acht ging der Zug, mit dem das junge Paar noch bis Dresden wollte, dieſer herkömmlich erſten Etappe für jede Hochzeitsreiſe nach dem Süden. Man erhob ſich von der Tafel, und während die Gäſte, bunte Reihe machend, untereinander zu plaudern be¬ gannen, zogen ſich Woldemar und Armgard unbemerkt zurück. Ihr Reiſegepäck war ſeit einer Stunde ſchon voraus, und nun hielt auch der vierſitzige Wagen vor dem Barbyſchen Hauſe. Die Baronin und Meluſine hatten ſich zur Begleitung des jungen Paares mitein¬ ander verabredet und nahmen jetzt, ohne daß Wol¬ demar und Armgard es hindern konnten, die beiden

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/395>, abgerufen am 22.11.2024.