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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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nächst am Kanal hin in den Tiergarten hinein und dann
an den Zelten vorbei bis in Ihre Wohnung."

Eine Weile schwiegen beide Damen; im Augenblick
aber, wo sie von dem holprigen Pflaster in den stillen
Asphaltweg einbogen, sagte die Baronin: "Ich begreife
Stechlin nicht, daß er nicht ein Coupe apart genommen."

Melusine wiegte den Kopf.

"Den mit der goldenen Brille," fuhr die Baronin
fort, "den nehm' ich nicht schwer. Ein Sachse thut
keinem was und ist auch kaum eine Störung. Aber
der andre mit dem Juchtenkoffer. Er schien ein Russe,
wenn nicht gar ein Rumäne. Die arme Armgard.
Nun hat sie ihren Woldemar und hat ihn auch wieder
nicht."

"Wohl ihr."

"Aber Gräfin ..."

"Sie sind verwundert, liebe Baronin, mich das
sagen zu hören. Und doch hat's damit nur zu sehr
seine Richtigkeit: gebranntes Kind scheut das Feuer."

"Aber Gräfin ..."

"Ich verheiratete mich, wie Sie wissen, in Florenz
und fuhr an demselben Abende noch bis Venedig.
Venedig ist in einem Punkte ganz wie Dresden: näm¬
lich erste Station bei Vermählungen. Auch Ghiberti
-- ich sage immer noch lieber ,Ghiberti' als ,mein
Mann'; ,mein Mann' ist überhaupt ein furchtbares
Wort -- auch Ghiberti also hatte sich für Venedig ent¬
schieden. Und so hatten wir denn den großen Apennin¬
tunnel zu passieren."

"Weiß, weiß. Endlos."

"Ja, endlos. Ach, liebe Baronin, wäre doch da
wer mit uns gewesen, ein Sachse, ja selbst ein Rumäne.
Wir waren aber allein. Und als ich aus dem Tunnel
heraus war, mußt' ich, welchem Elend ich entgegenlebte."

"Liebste Melusine, wie beklag' ich Sie; wirklich,

nächſt am Kanal hin in den Tiergarten hinein und dann
an den Zelten vorbei bis in Ihre Wohnung.“

Eine Weile ſchwiegen beide Damen; im Augenblick
aber, wo ſie von dem holprigen Pflaſter in den ſtillen
Aſphaltweg einbogen, ſagte die Baronin: „Ich begreife
Stechlin nicht, daß er nicht ein Coupé apart genommen.“

Meluſine wiegte den Kopf.

„Den mit der goldenen Brille,“ fuhr die Baronin
fort, „den nehm' ich nicht ſchwer. Ein Sachſe thut
keinem was und iſt auch kaum eine Störung. Aber
der andre mit dem Juchtenkoffer. Er ſchien ein Ruſſe,
wenn nicht gar ein Rumäne. Die arme Armgard.
Nun hat ſie ihren Woldemar und hat ihn auch wieder
nicht.“

„Wohl ihr.“

„Aber Gräfin ...“

„Sie ſind verwundert, liebe Baronin, mich das
ſagen zu hören. Und doch hat's damit nur zu ſehr
ſeine Richtigkeit: gebranntes Kind ſcheut das Feuer.“

„Aber Gräfin ...“

„Ich verheiratete mich, wie Sie wiſſen, in Florenz
und fuhr an demſelben Abende noch bis Venedig.
Venedig iſt in einem Punkte ganz wie Dresden: näm¬
lich erſte Station bei Vermählungen. Auch Ghiberti
— ich ſage immer noch lieber ‚Ghiberti‘ als ‚mein
Mann‘; ‚mein Mann‘ iſt überhaupt ein furchtbares
Wort — auch Ghiberti alſo hatte ſich für Venedig ent¬
ſchieden. Und ſo hatten wir denn den großen Apennin¬
tunnel zu paſſieren.“

„Weiß, weiß. Endlos.“

„Ja, endlos. Ach, liebe Baronin, wäre doch da
wer mit uns geweſen, ein Sachſe, ja ſelbſt ein Rumäne.
Wir waren aber allein. Und als ich aus dem Tunnel
heraus war, mußt' ich, welchem Elend ich entgegenlebte.“

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[390/0397] nächſt am Kanal hin in den Tiergarten hinein und dann an den Zelten vorbei bis in Ihre Wohnung.“ Eine Weile ſchwiegen beide Damen; im Augenblick aber, wo ſie von dem holprigen Pflaſter in den ſtillen Aſphaltweg einbogen, ſagte die Baronin: „Ich begreife Stechlin nicht, daß er nicht ein Coupé apart genommen.“ Meluſine wiegte den Kopf. „Den mit der goldenen Brille,“ fuhr die Baronin fort, „den nehm' ich nicht ſchwer. Ein Sachſe thut keinem was und iſt auch kaum eine Störung. Aber der andre mit dem Juchtenkoffer. Er ſchien ein Ruſſe, wenn nicht gar ein Rumäne. Die arme Armgard. Nun hat ſie ihren Woldemar und hat ihn auch wieder nicht.“ „Wohl ihr.“ „Aber Gräfin ...“ „Sie ſind verwundert, liebe Baronin, mich das ſagen zu hören. Und doch hat's damit nur zu ſehr ſeine Richtigkeit: gebranntes Kind ſcheut das Feuer.“ „Aber Gräfin ...“ „Ich verheiratete mich, wie Sie wiſſen, in Florenz und fuhr an demſelben Abende noch bis Venedig. Venedig iſt in einem Punkte ganz wie Dresden: näm¬ lich erſte Station bei Vermählungen. Auch Ghiberti — ich ſage immer noch lieber ‚Ghiberti‘ als ‚mein Mann‘; ‚mein Mann‘ iſt überhaupt ein furchtbares Wort — auch Ghiberti alſo hatte ſich für Venedig ent¬ ſchieden. Und ſo hatten wir denn den großen Apennin¬ tunnel zu paſſieren.“ „Weiß, weiß. Endlos.“ „Ja, endlos. Ach, liebe Baronin, wäre doch da wer mit uns geweſen, ein Sachſe, ja ſelbſt ein Rumäne. Wir waren aber allein. Und als ich aus dem Tunnel heraus war, mußt' ich, welchem Elend ich entgegenlebte.“ „Liebſte Meluſine, wie beklag' ich Sie; wirklich,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/397>, abgerufen am 22.11.2024.