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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Lust und ein Entzücken. Es waren glückliche Tage für
Agnes. Aber fast noch glücklichere für den Alten.


Ja, der alte Dubslav freute sich des Kindes. Aber
so wohlthuend ihm seine Gegenwart war, so war es
auf die Dauer doch nicht viel was andres, als ob ein
Goldlack am Fenster gestanden oder ein Zeisig ge¬
zwitschert hätte. Sein Auge richtete sich gerne darauf,
als aber eine Woche und dann eine zweite vorüber
war, wurd' ihm eine gewisse Verarmung fühlbar, und
das so stark, daß er fast mit Sehnsucht an die Tage
zurückdachte, wo Schwester Adelheid sich ihm bedrücklich
gemacht hatte. Das war sehr unbequem gewesen, aber
sie besaß doch nebenher einen guten Verstand, und in
allem, was sie sagte, war etwas, worüber sich streiten
und ein Feuerwerk von Anzüglichkeiten und kleinen
Witzen abbrennen ließ. Etwas, was ihm immer eine
Hauptsache war. Dubslav zählte zu den Friedliebendsten
von der Welt, aber er liebte doch andrerseits auch
Friktionen, und selbst ärgerliche Vorkommnisse waren
ihm immer noch lieber als gar keine.


Kein Zweifel, der alte Schloßherr auf Stechlin
sehnte sich nach Menschen, und da waren es denn wahre
Festtage, wenn Besucher aus Näh' oder Ferne sich ein¬
stellten.

Eines Tages -- es schummerte schon -- erschien
Krippenstapel. Er hatte seinen besten Rock angezogen
und hielt ein übermaltes Gefäß, mit einem Deckel darauf,
in seinem linken Arm.

"Nun, das ist recht, Krippenstapel. Ich freue mich,
daß Sie mal nachsehn, ob unser Museum oben noch
seinen ,Chef' hat. Ich sage ,Chef'. Der Direktor sind

Luſt und ein Entzücken. Es waren glückliche Tage für
Agnes. Aber faſt noch glücklichere für den Alten.


Ja, der alte Dubslav freute ſich des Kindes. Aber
ſo wohlthuend ihm ſeine Gegenwart war, ſo war es
auf die Dauer doch nicht viel was andres, als ob ein
Goldlack am Fenſter geſtanden oder ein Zeiſig ge¬
zwitſchert hätte. Sein Auge richtete ſich gerne darauf,
als aber eine Woche und dann eine zweite vorüber
war, wurd' ihm eine gewiſſe Verarmung fühlbar, und
das ſo ſtark, daß er faſt mit Sehnſucht an die Tage
zurückdachte, wo Schweſter Adelheid ſich ihm bedrücklich
gemacht hatte. Das war ſehr unbequem geweſen, aber
ſie beſaß doch nebenher einen guten Verſtand, und in
allem, was ſie ſagte, war etwas, worüber ſich ſtreiten
und ein Feuerwerk von Anzüglichkeiten und kleinen
Witzen abbrennen ließ. Etwas, was ihm immer eine
Hauptſache war. Dubslav zählte zu den Friedliebendſten
von der Welt, aber er liebte doch andrerſeits auch
Friktionen, und ſelbſt ärgerliche Vorkommniſſe waren
ihm immer noch lieber als gar keine.


Kein Zweifel, der alte Schloßherr auf Stechlin
ſehnte ſich nach Menſchen, und da waren es denn wahre
Feſttage, wenn Beſucher aus Näh' oder Ferne ſich ein¬
ſtellten.

Eines Tages — es ſchummerte ſchon — erſchien
Krippenſtapel. Er hatte ſeinen beſten Rock angezogen
und hielt ein übermaltes Gefäß, mit einem Deckel darauf,
in ſeinem linken Arm.

„Nun, das iſt recht, Krippenſtapel. Ich freue mich,
daß Sie mal nachſehn, ob unſer Muſeum oben noch
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[476/0483] Luſt und ein Entzücken. Es waren glückliche Tage für Agnes. Aber faſt noch glücklichere für den Alten. Ja, der alte Dubslav freute ſich des Kindes. Aber ſo wohlthuend ihm ſeine Gegenwart war, ſo war es auf die Dauer doch nicht viel was andres, als ob ein Goldlack am Fenſter geſtanden oder ein Zeiſig ge¬ zwitſchert hätte. Sein Auge richtete ſich gerne darauf, als aber eine Woche und dann eine zweite vorüber war, wurd' ihm eine gewiſſe Verarmung fühlbar, und das ſo ſtark, daß er faſt mit Sehnſucht an die Tage zurückdachte, wo Schweſter Adelheid ſich ihm bedrücklich gemacht hatte. Das war ſehr unbequem geweſen, aber ſie beſaß doch nebenher einen guten Verſtand, und in allem, was ſie ſagte, war etwas, worüber ſich ſtreiten und ein Feuerwerk von Anzüglichkeiten und kleinen Witzen abbrennen ließ. Etwas, was ihm immer eine Hauptſache war. Dubslav zählte zu den Friedliebendſten von der Welt, aber er liebte doch andrerſeits auch Friktionen, und ſelbſt ärgerliche Vorkommniſſe waren ihm immer noch lieber als gar keine. Kein Zweifel, der alte Schloßherr auf Stechlin ſehnte ſich nach Menſchen, und da waren es denn wahre Feſttage, wenn Beſucher aus Näh' oder Ferne ſich ein¬ ſtellten. Eines Tages — es ſchummerte ſchon — erſchien Krippenſtapel. Er hatte ſeinen beſten Rock angezogen und hielt ein übermaltes Gefäß, mit einem Deckel darauf, in ſeinem linken Arm. „Nun, das iſt recht, Krippenſtapel. Ich freue mich, daß Sie mal nachſehn, ob unſer Muſeum oben noch ſeinen ‚Chef’ hat. Ich ſage ‚Chef‘. Der Direktor ſind

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/483>, abgerufen am 22.11.2024.