Armgard hatte sich von der im Stechliner Hause herrschenden Weltabgewandtheit angeheimelt gefühlt. Aber der Gedanke, hier ihre Tage zu verbringen, lag ihr doch vorderhand noch fern, und so kehrte sie denn, kurz nach Ablauf einer Woche, nach Berlin zurück, wo mittler¬ weile Melusine für alles gesorgt und eine ganz in der Nähe von Woldemars Kaserne gelegene Wohnung ge¬ mietet und eingerichtet hatte.
Das war am Belle-Allianceplatz. Als das junge Paar diese Wohnung bezog, ging die Saison bereits auf die Neige. Die Frühjahrsparaden nahmen ihren Anfang und gleich danach auch die Wettrennen, an denen Armgard voller Interesse teilnahm. Aber ihre Freude daran war doch geringer als sie geglaubt hatte. Weder das Großstädtische noch das Militärische, weder Sport noch Kunst behaupteten dauernd den Reiz, den sie sich anfänglich davon versprochen, und ehe der Hochsommer heran war, sagte sie: "Laß mich's dir gestehn, Wolde¬ mar, ich sehne mich einigermaßen nach Schloß Stechlin."
Er hätte nichts Lieberes hören können. Was Arm¬ gard da sagte, war ihm aus der eignen Seele gesprochen. Liebenswürdig und bescheiden wie er war, stand ihm längst fest, daß er nicht berufen sei, jemals eine Gene¬ ralstabsgröße zu werden, während das alte märkische Junkertum, von dem frei zu sein er sich eingebildet
33*
Sechsundvierzigſtes Kapitel.
Armgard hatte ſich von der im Stechliner Hauſe herrſchenden Weltabgewandtheit angeheimelt gefühlt. Aber der Gedanke, hier ihre Tage zu verbringen, lag ihr doch vorderhand noch fern, und ſo kehrte ſie denn, kurz nach Ablauf einer Woche, nach Berlin zurück, wo mittler¬ weile Meluſine für alles geſorgt und eine ganz in der Nähe von Woldemars Kaſerne gelegene Wohnung ge¬ mietet und eingerichtet hatte.
Das war am Belle-Allianceplatz. Als das junge Paar dieſe Wohnung bezog, ging die Saiſon bereits auf die Neige. Die Frühjahrsparaden nahmen ihren Anfang und gleich danach auch die Wettrennen, an denen Armgard voller Intereſſe teilnahm. Aber ihre Freude daran war doch geringer als ſie geglaubt hatte. Weder das Großſtädtiſche noch das Militäriſche, weder Sport noch Kunſt behaupteten dauernd den Reiz, den ſie ſich anfänglich davon verſprochen, und ehe der Hochſommer heran war, ſagte ſie: „Laß mich's dir geſtehn, Wolde¬ mar, ich ſehne mich einigermaßen nach Schloß Stechlin.“
Er hätte nichts Lieberes hören können. Was Arm¬ gard da ſagte, war ihm aus der eignen Seele geſprochen. Liebenswürdig und beſcheiden wie er war, ſtand ihm längſt feſt, daß er nicht berufen ſei, jemals eine Gene¬ ralſtabsgröße zu werden, während das alte märkiſche Junkertum, von dem frei zu ſein er ſich eingebildet
33*
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0522"n="[515]"/><divn="2"><head><hirendition="#b #g">Sechsundvierzigſtes Kapitel.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Armgard hatte ſich von der im Stechliner Hauſe<lb/>
herrſchenden Weltabgewandtheit angeheimelt gefühlt. Aber<lb/>
der Gedanke, hier ihre Tage zu verbringen, lag ihr<lb/>
doch vorderhand noch fern, und ſo kehrte ſie denn, kurz<lb/>
nach Ablauf einer Woche, nach Berlin zurück, wo mittler¬<lb/>
weile Meluſine für alles geſorgt und eine ganz in der<lb/>
Nähe von Woldemars Kaſerne gelegene Wohnung ge¬<lb/>
mietet und eingerichtet hatte.</p><lb/><p>Das war am Belle-Allianceplatz. Als das junge<lb/>
Paar dieſe Wohnung bezog, ging die Saiſon bereits<lb/>
auf die Neige. Die Frühjahrsparaden nahmen ihren<lb/>
Anfang und gleich danach auch die Wettrennen, an denen<lb/>
Armgard voller Intereſſe teilnahm. Aber ihre Freude<lb/>
daran war doch geringer als ſie geglaubt hatte. Weder<lb/>
das Großſtädtiſche noch das Militäriſche, weder Sport<lb/>
noch Kunſt behaupteten dauernd den Reiz, den ſie ſich<lb/>
anfänglich davon verſprochen, und ehe der Hochſommer<lb/>
heran war, ſagte ſie: „Laß mich's dir geſtehn, Wolde¬<lb/>
mar, ich ſehne mich einigermaßen nach Schloß Stechlin.“</p><lb/><p>Er hätte nichts Lieberes hören können. Was Arm¬<lb/>
gard da ſagte, war ihm aus der eignen Seele geſprochen.<lb/>
Liebenswürdig und beſcheiden wie er war, ſtand ihm<lb/>
längſt feſt, daß er nicht berufen ſei, jemals eine Gene¬<lb/>
ralſtabsgröße zu werden, während das alte märkiſche<lb/>
Junkertum, von dem frei zu ſein er ſich eingebildet<lb/><fwplace="bottom"type="sig">33*<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[[515]/0522]
Sechsundvierzigſtes Kapitel.
Armgard hatte ſich von der im Stechliner Hauſe
herrſchenden Weltabgewandtheit angeheimelt gefühlt. Aber
der Gedanke, hier ihre Tage zu verbringen, lag ihr
doch vorderhand noch fern, und ſo kehrte ſie denn, kurz
nach Ablauf einer Woche, nach Berlin zurück, wo mittler¬
weile Meluſine für alles geſorgt und eine ganz in der
Nähe von Woldemars Kaſerne gelegene Wohnung ge¬
mietet und eingerichtet hatte.
Das war am Belle-Allianceplatz. Als das junge
Paar dieſe Wohnung bezog, ging die Saiſon bereits
auf die Neige. Die Frühjahrsparaden nahmen ihren
Anfang und gleich danach auch die Wettrennen, an denen
Armgard voller Intereſſe teilnahm. Aber ihre Freude
daran war doch geringer als ſie geglaubt hatte. Weder
das Großſtädtiſche noch das Militäriſche, weder Sport
noch Kunſt behaupteten dauernd den Reiz, den ſie ſich
anfänglich davon verſprochen, und ehe der Hochſommer
heran war, ſagte ſie: „Laß mich's dir geſtehn, Wolde¬
mar, ich ſehne mich einigermaßen nach Schloß Stechlin.“
Er hätte nichts Lieberes hören können. Was Arm¬
gard da ſagte, war ihm aus der eignen Seele geſprochen.
Liebenswürdig und beſcheiden wie er war, ſtand ihm
längſt feſt, daß er nicht berufen ſei, jemals eine Gene¬
ralſtabsgröße zu werden, während das alte märkiſche
Junkertum, von dem frei zu ſein er ſich eingebildet
33*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. [515]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/522>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.