Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.und belebtes Ansehen gegeben haben, jetzt aber, wo die Giebelchen nicht mehr wie Grenadiermützen auf einer glatten Stirn, sondern nur noch wie Schlafmützen auf dem Kopf eines eingenickten Alten sitzen, ist es mit aller Stattlichkeit längst vorbei, und nur wer Lust und Zeit hat, sich um die baulichen Details zu kümmern, mag hier und dort einem eleganten Zug, einem grotesken Schnitzwerk oder ein paar kecken Linien begegnen, die Anspruch haben auf seine Aufmerksamkeit. Westbow, dessen hochgelegener Theil nach High-Street hinausmündet, biegt hügelabwärts in den sogenannten Graßmarket ein, den man auch als eine bloße, beinah sackartige Erweiterung von Westbow ansehn kann. Er hat an mehreren Stellen kleine Ausgänge, aber äußerst schmal und nur einer, gegenüber der Stelle, wo Westbow einmündet, gleicht einer wirklichen Straße. Diese Straße führt den Namen Westport, weil sie unmittelbar am ehemaligen West-Thor gelegen war und hat eine traurige Celebrität erlangt, als Schauplatz jener langen Reihe von Verbrechen, die sich an die Namen Hare und Burke knüpfen. Die Lokalität ist allerdings wie geschaffen für allerhand lichtscheue Unthat, und wenn irgendwo in der Welt die "Pechkappe" ihre Rolle spielen konnte, so war es hier. Es war an einem Sonntag Nachmittag, als ich diese unheimlichen Gassen passirte, ein paar kleine Kapellenglocken durchrissen die Luft, einzelne Leute huschten in die Kirche; in den seitabwärts gelegenen Höfen und und belebtes Ansehen gegeben haben, jetzt aber, wo die Giebelchen nicht mehr wie Grenadiermützen auf einer glatten Stirn, sondern nur noch wie Schlafmützen auf dem Kopf eines eingenickten Alten sitzen, ist es mit aller Stattlichkeit längst vorbei, und nur wer Lust und Zeit hat, sich um die baulichen Details zu kümmern, mag hier und dort einem eleganten Zug, einem grotesken Schnitzwerk oder ein paar kecken Linien begegnen, die Anspruch haben auf seine Aufmerksamkeit. Westbow, dessen hochgelegener Theil nach High-Street hinausmündet, biegt hügelabwärts in den sogenannten Graßmarket ein, den man auch als eine bloße, beinah sackartige Erweiterung von Westbow ansehn kann. Er hat an mehreren Stellen kleine Ausgänge, aber äußerst schmal und nur einer, gegenüber der Stelle, wo Westbow einmündet, gleicht einer wirklichen Straße. Diese Straße führt den Namen Westport, weil sie unmittelbar am ehemaligen West-Thor gelegen war und hat eine traurige Celebrität erlangt, als Schauplatz jener langen Reihe von Verbrechen, die sich an die Namen Hare und Burke knüpfen. Die Lokalität ist allerdings wie geschaffen für allerhand lichtscheue Unthat, und wenn irgendwo in der Welt die „Pechkappe“ ihre Rolle spielen konnte, so war es hier. Es war an einem Sonntag Nachmittag, als ich diese unheimlichen Gassen passirte, ein paar kleine Kapellenglocken durchrissen die Luft, einzelne Leute huschten in die Kirche; in den seitabwärts gelegenen Höfen und <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0100" n="86"/> und belebtes Ansehen gegeben haben, jetzt aber, wo die Giebelchen nicht mehr wie Grenadiermützen auf einer glatten Stirn, sondern nur noch wie Schlafmützen auf dem Kopf eines eingenickten Alten sitzen, ist es mit aller Stattlichkeit längst vorbei, und nur wer Lust und Zeit hat, sich um die baulichen Details zu kümmern, mag hier und dort einem eleganten Zug, einem grotesken Schnitzwerk oder ein paar kecken Linien begegnen, die Anspruch haben auf seine Aufmerksamkeit.</p><lb/> <p>Westbow, dessen hochgelegener Theil nach High-Street hinausmündet, biegt hügelabwärts in den sogenannten <hi rendition="#g">Graßmarket</hi> ein, den man auch als eine bloße, beinah sackartige Erweiterung von Westbow ansehn kann. Er hat an mehreren Stellen kleine Ausgänge, aber äußerst schmal und nur einer, gegenüber der Stelle, wo Westbow einmündet, gleicht einer wirklichen Straße. Diese Straße führt den Namen <hi rendition="#g">Westport</hi>, weil sie unmittelbar am ehemaligen West-Thor gelegen war und hat eine traurige Celebrität erlangt, als Schauplatz jener langen Reihe von Verbrechen, die sich an die Namen Hare und Burke knüpfen.</p><lb/> <p>Die Lokalität ist allerdings wie geschaffen für allerhand lichtscheue Unthat, und wenn irgendwo in der Welt die „Pechkappe“ ihre Rolle spielen konnte, so war es hier. Es war an einem Sonntag Nachmittag, als ich diese unheimlichen Gassen passirte, ein paar kleine Kapellenglocken durchrissen die Luft, einzelne Leute huschten in die Kirche; in den seitabwärts gelegenen Höfen und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0100]
und belebtes Ansehen gegeben haben, jetzt aber, wo die Giebelchen nicht mehr wie Grenadiermützen auf einer glatten Stirn, sondern nur noch wie Schlafmützen auf dem Kopf eines eingenickten Alten sitzen, ist es mit aller Stattlichkeit längst vorbei, und nur wer Lust und Zeit hat, sich um die baulichen Details zu kümmern, mag hier und dort einem eleganten Zug, einem grotesken Schnitzwerk oder ein paar kecken Linien begegnen, die Anspruch haben auf seine Aufmerksamkeit.
Westbow, dessen hochgelegener Theil nach High-Street hinausmündet, biegt hügelabwärts in den sogenannten Graßmarket ein, den man auch als eine bloße, beinah sackartige Erweiterung von Westbow ansehn kann. Er hat an mehreren Stellen kleine Ausgänge, aber äußerst schmal und nur einer, gegenüber der Stelle, wo Westbow einmündet, gleicht einer wirklichen Straße. Diese Straße führt den Namen Westport, weil sie unmittelbar am ehemaligen West-Thor gelegen war und hat eine traurige Celebrität erlangt, als Schauplatz jener langen Reihe von Verbrechen, die sich an die Namen Hare und Burke knüpfen.
Die Lokalität ist allerdings wie geschaffen für allerhand lichtscheue Unthat, und wenn irgendwo in der Welt die „Pechkappe“ ihre Rolle spielen konnte, so war es hier. Es war an einem Sonntag Nachmittag, als ich diese unheimlichen Gassen passirte, ein paar kleine Kapellenglocken durchrissen die Luft, einzelne Leute huschten in die Kirche; in den seitabwärts gelegenen Höfen und
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/100>, abgerufen am 17.02.2025. |