Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

respektable Seite des Volkscharakters nie erobert haben würde.*)

Die Sonne war im Untergehen, als wir die Treppen, die zum Calton Hill hinaufführen, wieder hinunterstiegen und durch den Regents Road nach dem Palaste von Holyrood einschwenkten. Wir warfen dem alten Bau nur einen flüchtigen Blick zu und schritten rasch, an eingezäunten Obstgärten vorbei, den Felspartieen zu, die sich fast unmittelbar hinter Holyrood erhebend, eine steile Rückenlehne desselben bilden. Die Entfernung von Holyrood Chapel bis nach St. Anthony's Chapel mag kaum 10 Minuten Wegs betragen, das Terrain aber wird durch Hügelzüge und in den Weg gewälzte Felsblöcke so oft unterbrochen, daß man Holyrood nach wenig Minuten schon aus dem Gesicht verliert, um es von der Hügelkuppe St. Anthony's aus erst wieder zu erblicken. Als wir auf halbem Wege sein mochten und, die prächtige Felswand der Craigs fast unmittelbar vor uns, eine Schlucht hinanstiegen, überraschte uns der Anblick eines Bildes von eigenthümlichem Reiz. Etwa hundert Schritte vor uns weitete sich die Schlucht zu einem geräumigen Kessel aus, in dessen Mitte ein Granitblock lag, abgeschliffen und von derselben Form wie die Kiesel im Bach, aber ziemlich von den Umfängen eines deutschen Backofens. Vor demselben, zigeunerhaft zusammengekauert, lagen drei Kinder, während die älteste

*) Dugald Stewart gilt als Haupt der schottischen philosophischen Schule; Prof. Playfair - ein bedeutender Naturforscher.

respektable Seite des Volkscharakters nie erobert haben würde.*)

Die Sonne war im Untergehen, als wir die Treppen, die zum Calton Hill hinaufführen, wieder hinunterstiegen und durch den Regents Road nach dem Palaste von Holyrood einschwenkten. Wir warfen dem alten Bau nur einen flüchtigen Blick zu und schritten rasch, an eingezäunten Obstgärten vorbei, den Felspartieen zu, die sich fast unmittelbar hinter Holyrood erhebend, eine steile Rückenlehne desselben bilden. Die Entfernung von Holyrood Chapel bis nach St. Anthony’s Chapel mag kaum 10 Minuten Wegs betragen, das Terrain aber wird durch Hügelzüge und in den Weg gewälzte Felsblöcke so oft unterbrochen, daß man Holyrood nach wenig Minuten schon aus dem Gesicht verliert, um es von der Hügelkuppe St. Anthony’s aus erst wieder zu erblicken. Als wir auf halbem Wege sein mochten und, die prächtige Felswand der Craigs fast unmittelbar vor uns, eine Schlucht hinanstiegen, überraschte uns der Anblick eines Bildes von eigenthümlichem Reiz. Etwa hundert Schritte vor uns weitete sich die Schlucht zu einem geräumigen Kessel aus, in dessen Mitte ein Granitblock lag, abgeschliffen und von derselben Form wie die Kiesel im Bach, aber ziemlich von den Umfängen eines deutschen Backofens. Vor demselben, zigeunerhaft zusammengekauert, lagen drei Kinder, während die älteste

*) Dugald Stewart gilt als Haupt der schottischen philosophischen Schule; Prof. Playfair – ein bedeutender Naturforscher.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0131" n="117"/>
respektable Seite des Volkscharakters nie erobert haben              würde.<note place="foot" n="*)">Dugald Stewart gilt                    als Haupt der schottischen philosophischen Schule; Prof. Playfair &#x2013; ein                    bedeutender Naturforscher.<lb/></note></p><lb/>
          <p>Die Sonne war im Untergehen, als wir die Treppen, die zum              Calton Hill hinaufführen, wieder hinunterstiegen und durch den Regents Road nach dem              Palaste von Holyrood einschwenkten. Wir warfen dem alten Bau nur einen flüchtigen Blick              zu und schritten rasch, an eingezäunten Obstgärten vorbei, den Felspartieen zu, die sich              fast unmittelbar hinter Holyrood erhebend, eine steile Rückenlehne desselben bilden. Die              Entfernung von Holyrood Chapel bis nach St. Anthony&#x2019;s Chapel mag kaum 10 Minuten Wegs              betragen, das Terrain aber wird durch Hügelzüge und in den Weg gewälzte Felsblöcke so              oft unterbrochen, daß man Holyrood nach wenig Minuten schon aus dem Gesicht verliert, um              es von der Hügelkuppe St. Anthony&#x2019;s aus erst wieder zu erblicken. Als wir auf halbem              Wege sein mochten und, die prächtige Felswand der Craigs fast unmittelbar vor uns, eine              Schlucht hinanstiegen, überraschte uns der Anblick eines Bildes von eigenthümlichem              Reiz. Etwa hundert Schritte vor uns weitete sich die Schlucht zu einem geräumigen Kessel              aus, in dessen Mitte ein Granitblock lag, abgeschliffen und von derselben Form wie die              Kiesel im Bach, aber ziemlich von den Umfängen eines deutschen Backofens. Vor demselben,              zigeunerhaft zusammengekauert, lagen drei Kinder, während die älteste<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0131] respektable Seite des Volkscharakters nie erobert haben würde. *) Die Sonne war im Untergehen, als wir die Treppen, die zum Calton Hill hinaufführen, wieder hinunterstiegen und durch den Regents Road nach dem Palaste von Holyrood einschwenkten. Wir warfen dem alten Bau nur einen flüchtigen Blick zu und schritten rasch, an eingezäunten Obstgärten vorbei, den Felspartieen zu, die sich fast unmittelbar hinter Holyrood erhebend, eine steile Rückenlehne desselben bilden. Die Entfernung von Holyrood Chapel bis nach St. Anthony’s Chapel mag kaum 10 Minuten Wegs betragen, das Terrain aber wird durch Hügelzüge und in den Weg gewälzte Felsblöcke so oft unterbrochen, daß man Holyrood nach wenig Minuten schon aus dem Gesicht verliert, um es von der Hügelkuppe St. Anthony’s aus erst wieder zu erblicken. Als wir auf halbem Wege sein mochten und, die prächtige Felswand der Craigs fast unmittelbar vor uns, eine Schlucht hinanstiegen, überraschte uns der Anblick eines Bildes von eigenthümlichem Reiz. Etwa hundert Schritte vor uns weitete sich die Schlucht zu einem geräumigen Kessel aus, in dessen Mitte ein Granitblock lag, abgeschliffen und von derselben Form wie die Kiesel im Bach, aber ziemlich von den Umfängen eines deutschen Backofens. Vor demselben, zigeunerhaft zusammengekauert, lagen drei Kinder, während die älteste *) Dugald Stewart gilt als Haupt der schottischen philosophischen Schule; Prof. Playfair – ein bedeutender Naturforscher.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • i/j in Fraktur: keine Angabe;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • Kolumnentitel: nicht übernommen;
  • Kustoden: keine Angabe;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • Normalisierungen: keine;
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • u/v bzw. U/V: keine Angabe;
  • Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/131
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/131>, abgerufen am 16.05.2024.