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Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

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scheinbaren Sieges, als der nach zwei Seiten hin abrückende Feind zum ersten Male Gelegenheit gab, von der Kampfesarbeit auszuruhn und statt auf die Feinde vor sich, auf die Freunde neben sich zu blicken, in diesem Moment scheinbaren Sieges erkannten die Schotten, daß sie geschlagen seien. Was sie während des Kampfes nicht gesehen hatten, das sehen sie jetzt. Die vielen Tausende die auf dem siegreich vertheidigten Streifen Land gestanden hatten, waren zu eben so vielen Hunderten zusammen geschmolzen. Alle Führer waren erschlagen, Crawford todt, Montrose todt; man suchte nach dem König, aber man suchte vergebens. Als die Sonne des nächsten Tages auf die Wahlstatt fiel, fanden die Engländer das Feld von dem Feinde verlassen, den sie gestern vergeblich bekämpft hatten. Keine Verfolgung fand statt; Graf Surrey wußte, daß die führerlosen Trümmer ohnehin auseinander fallen würden.

Wo der König fiel, wer ihn fand und wo man ihn fand, darüber ist niemals Zuverlässiges bekannt geworden. So kam es, daß sich, auf lange Zeit hinaus, beim Volk der Glaube lebendig erhielt, König Jakob sei nicht gefallen, er lebe noch und habe das Kreuz genommen, um die große Schuld seines Lebens, die Auflehnung gegen seinen Vater, am heiligen Grabe abzubüßen.

Dieser Glaube fand Nahrung in dem Umstand, daß sich unter den Trophäen, die Graf Surrey nach London heimführte, jener Eisengürtel nicht vorfand, den der König, wie jeder Schotte wußte, seit 25 Jahren getra-

scheinbaren Sieges, als der nach zwei Seiten hin abrückende Feind zum ersten Male Gelegenheit gab, von der Kampfesarbeit auszuruhn und statt auf die Feinde vor sich, auf die Freunde neben sich zu blicken, in diesem Moment scheinbaren Sieges erkannten die Schotten, daß sie geschlagen seien. Was sie während des Kampfes nicht gesehen hatten, das sehen sie jetzt. Die vielen Tausende die auf dem siegreich vertheidigten Streifen Land gestanden hatten, waren zu eben so vielen Hunderten zusammen geschmolzen. Alle Führer waren erschlagen, Crawford todt, Montrose todt; man suchte nach dem König, aber man suchte vergebens. Als die Sonne des nächsten Tages auf die Wahlstatt fiel, fanden die Engländer das Feld von dem Feinde verlassen, den sie gestern vergeblich bekämpft hatten. Keine Verfolgung fand statt; Graf Surrey wußte, daß die führerlosen Trümmer ohnehin auseinander fallen würden.

Wo der König fiel, wer ihn fand und wo man ihn fand, darüber ist niemals Zuverlässiges bekannt geworden. So kam es, daß sich, auf lange Zeit hinaus, beim Volk der Glaube lebendig erhielt, König Jakob sei nicht gefallen, er lebe noch und habe das Kreuz genommen, um die große Schuld seines Lebens, die Auflehnung gegen seinen Vater, am heiligen Grabe abzubüßen.

Dieser Glaube fand Nahrung in dem Umstand, daß sich unter den Trophäen, die Graf Surrey nach London heimführte, jener Eisengürtel nicht vorfand, den der König, wie jeder Schotte wußte, seit 25 Jahren getra-

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[146/0160] scheinbaren Sieges, als der nach zwei Seiten hin abrückende Feind zum ersten Male Gelegenheit gab, von der Kampfesarbeit auszuruhn und statt auf die Feinde vor sich, auf die Freunde neben sich zu blicken, in diesem Moment scheinbaren Sieges erkannten die Schotten, daß sie geschlagen seien. Was sie während des Kampfes nicht gesehen hatten, das sehen sie jetzt. Die vielen Tausende die auf dem siegreich vertheidigten Streifen Land gestanden hatten, waren zu eben so vielen Hunderten zusammen geschmolzen. Alle Führer waren erschlagen, Crawford todt, Montrose todt; man suchte nach dem König, aber man suchte vergebens. Als die Sonne des nächsten Tages auf die Wahlstatt fiel, fanden die Engländer das Feld von dem Feinde verlassen, den sie gestern vergeblich bekämpft hatten. Keine Verfolgung fand statt; Graf Surrey wußte, daß die führerlosen Trümmer ohnehin auseinander fallen würden. Wo der König fiel, wer ihn fand und wo man ihn fand, darüber ist niemals Zuverlässiges bekannt geworden. So kam es, daß sich, auf lange Zeit hinaus, beim Volk der Glaube lebendig erhielt, König Jakob sei nicht gefallen, er lebe noch und habe das Kreuz genommen, um die große Schuld seines Lebens, die Auflehnung gegen seinen Vater, am heiligen Grabe abzubüßen. Dieser Glaube fand Nahrung in dem Umstand, daß sich unter den Trophäen, die Graf Surrey nach London heimführte, jener Eisengürtel nicht vorfand, den der König, wie jeder Schotte wußte, seit 25 Jahren getra-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/160>, abgerufen am 16.05.2024.