Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

kühle, luftige Eßzimmer, wo wir heute die einzigen Gäste waren. Alles athmete Gemüthlichkeit und selbst der Kossuth in Husarenuniform, der als Pendant neben dem Bildniß von Queen Victoria hing, konnte dem paradiesischen Behagen keinen Abbruch thun, das keinen Krieg und keine Gegensätze kennt.

Als das Dessert aufgetragen wurde, Orangen und eingemachte Früchte, vermehrte sich unsere Tischgesellschaft. Zwei Herren traten ein mit den sonnverbranntesten Gesichtern, die ich mein Lebtag gesehen habe, und beide in so weit in einer Art Mauserungszustand, als die alte Gesichtshaut noch wie Flaum und Schuppen auf ihrem Antlitz lag. Es waren Engländer, höchst harmlose Leute und, wie wir bald erfuhren, sogenannte fishing-gentlemen. Wie weit ihr eigentlicher Anspruch auf den "Gentleman" reichte, lassen wir ununtersucht, aber die Angelpassion stand unbestritten bei ihnen fest. Diese Passion, die immer in England zu Hause war, herrscht jetzt mehr denn je. Wer nicht reich genug ist, einen Wildpark zu halten, oder weite Strecken Landes (namentlich in Schottland) als Jagdgrund zu benutzen, dem bietet sich wenig Gelegenheit zur Ausübung eines höheren Sport. Dieß mag Ursache geworden sein, daß sich die der Nation eigenthümliche Waidmannslust einen andern Ausweg gesucht und zur Verallgemeinerung der Angelpassion geführt hat. Die Eisenbahnen haben wahrscheinlich auch das ihrige dazu beigetragen, diese Neigung zu unterstützen. Gleichviel, alljährlich um die Sommerzeit

kühle, luftige Eßzimmer, wo wir heute die einzigen Gäste waren. Alles athmete Gemüthlichkeit und selbst der Kossuth in Husarenuniform, der als Pendant neben dem Bildniß von Queen Victoria hing, konnte dem paradiesischen Behagen keinen Abbruch thun, das keinen Krieg und keine Gegensätze kennt.

Als das Dessert aufgetragen wurde, Orangen und eingemachte Früchte, vermehrte sich unsere Tischgesellschaft. Zwei Herren traten ein mit den sonnverbranntesten Gesichtern, die ich mein Lebtag gesehen habe, und beide in so weit in einer Art Mauserungszustand, als die alte Gesichtshaut noch wie Flaum und Schuppen auf ihrem Antlitz lag. Es waren Engländer, höchst harmlose Leute und, wie wir bald erfuhren, sogenannte fishing-gentlemen. Wie weit ihr eigentlicher Anspruch auf den „Gentleman“ reichte, lassen wir ununtersucht, aber die Angelpassion stand unbestritten bei ihnen fest. Diese Passion, die immer in England zu Hause war, herrscht jetzt mehr denn je. Wer nicht reich genug ist, einen Wildpark zu halten, oder weite Strecken Landes (namentlich in Schottland) als Jagdgrund zu benutzen, dem bietet sich wenig Gelegenheit zur Ausübung eines höheren Sport. Dieß mag Ursache geworden sein, daß sich die der Nation eigenthümliche Waidmannslust einen andern Ausweg gesucht und zur Verallgemeinerung der Angelpassion geführt hat. Die Eisenbahnen haben wahrscheinlich auch das ihrige dazu beigetragen, diese Neigung zu unterstützen. Gleichviel, alljährlich um die Sommerzeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0219" n="205"/>
kühle, luftige Eßzimmer, wo wir heute die einzigen Gäste waren. Alles athmete Gemüthlichkeit und selbst der Kossuth in Husarenuniform, der als Pendant neben dem Bildniß von Queen Victoria hing, konnte dem paradiesischen Behagen keinen Abbruch thun, das keinen Krieg und keine Gegensätze kennt.</p><lb/>
          <p>Als das Dessert aufgetragen wurde, Orangen und eingemachte Früchte, vermehrte sich unsere Tischgesellschaft. Zwei Herren traten ein mit den sonnverbranntesten Gesichtern, die ich mein Lebtag gesehen habe, und beide in so weit in einer Art Mauserungszustand, als die alte Gesichtshaut noch wie Flaum und Schuppen auf ihrem Antlitz lag. Es waren Engländer, höchst harmlose Leute und, wie wir bald erfuhren, sogenannte <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="eng">fishing-gentlemen</foreign></hi>. Wie weit ihr eigentlicher Anspruch auf den &#x201E;Gentleman&#x201C; reichte, lassen wir ununtersucht, aber die Angelpassion stand unbestritten bei ihnen fest. Diese Passion, die immer in England zu Hause war, herrscht jetzt mehr denn je. Wer nicht reich genug ist, einen Wildpark zu halten, oder weite Strecken Landes (namentlich in Schottland) als Jagdgrund zu benutzen, dem bietet sich wenig Gelegenheit zur Ausübung eines höheren Sport. Dieß mag Ursache geworden sein, daß sich die der Nation eigenthümliche Waidmannslust einen andern Ausweg gesucht und zur Verallgemeinerung der Angelpassion geführt hat. Die Eisenbahnen haben wahrscheinlich auch das ihrige dazu beigetragen, diese Neigung zu unterstützen. Gleichviel, alljährlich um die Sommerzeit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0219] kühle, luftige Eßzimmer, wo wir heute die einzigen Gäste waren. Alles athmete Gemüthlichkeit und selbst der Kossuth in Husarenuniform, der als Pendant neben dem Bildniß von Queen Victoria hing, konnte dem paradiesischen Behagen keinen Abbruch thun, das keinen Krieg und keine Gegensätze kennt. Als das Dessert aufgetragen wurde, Orangen und eingemachte Früchte, vermehrte sich unsere Tischgesellschaft. Zwei Herren traten ein mit den sonnverbranntesten Gesichtern, die ich mein Lebtag gesehen habe, und beide in so weit in einer Art Mauserungszustand, als die alte Gesichtshaut noch wie Flaum und Schuppen auf ihrem Antlitz lag. Es waren Engländer, höchst harmlose Leute und, wie wir bald erfuhren, sogenannte fishing-gentlemen. Wie weit ihr eigentlicher Anspruch auf den „Gentleman“ reichte, lassen wir ununtersucht, aber die Angelpassion stand unbestritten bei ihnen fest. Diese Passion, die immer in England zu Hause war, herrscht jetzt mehr denn je. Wer nicht reich genug ist, einen Wildpark zu halten, oder weite Strecken Landes (namentlich in Schottland) als Jagdgrund zu benutzen, dem bietet sich wenig Gelegenheit zur Ausübung eines höheren Sport. Dieß mag Ursache geworden sein, daß sich die der Nation eigenthümliche Waidmannslust einen andern Ausweg gesucht und zur Verallgemeinerung der Angelpassion geführt hat. Die Eisenbahnen haben wahrscheinlich auch das ihrige dazu beigetragen, diese Neigung zu unterstützen. Gleichviel, alljährlich um die Sommerzeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • i/j in Fraktur: keine Angabe;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • Kolumnentitel: nicht übernommen;
  • Kustoden: keine Angabe;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • Normalisierungen: keine;
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • u/v bzw. U/V: keine Angabe;
  • Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/219
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/219>, abgerufen am 09.11.2024.