Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.Skandinavien fünf Jahrhunderte lang geglaubt hatten, war ihm genommen; es war jetzt ein Bischofssitz wie viele andere noch. Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts giebt es keine Culdee's mehr, aber die Erinnerung an diese einst so mächtige Sekte lebt bis heute noch im schottischen Volke fort, vielleicht deßhalb, weil ihre gegnerische Stellung zur römischen Kirche ihr als Empfehlung dient. In Abercrombie's und Jamieson's Geschichtswerken heißt es von den Culdee's wie folgt: "Nur das Seelenheil ihrer Mitmenschen lag ihnen am Herzen. Sie wirkten mehr durch Beispiel als durch Wort. Die Schlichtheit ihrer Kleidung, ihrer Haltung und ihres ganzen Auftretens war ihre Beredtsamkeit. Sie halfen überall und beanspruchten nie Lohn; Bevorzugung, Streit, Spaltung, Kabale und Intrigue kannten sie nicht. Demüthig, einsiedlerisch, arm, keusch, nüchtern und voll heiligen Eifers, so lebten sie ihre Tage." Diese Vorbemerkungen werden uns beim Besuch Iona's zu statten kommen. - Der Steamer wirft Anker und wir rudern der Insel zu. Am flachen Ufer derselben ziehen sich etwa vierzig ärmliche Hütten hin, die den gälischen Namen "Baile Mor", d. h. die große Stadt, führen. Im selben Augenblick, wo wir aus dem Boot springen, sehen wir uns von einer Heerde Kinder umringt, die Ionamuscheln und Ionasteinchen zum Verkauf anbieten und die nunmehr, so lange wir den heiligen Boden der Insel unter unsern Füßen haben, unsere treu- Skandinavien fünf Jahrhunderte lang geglaubt hatten, war ihm genommen; es war jetzt ein Bischofssitz wie viele andere noch. Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts giebt es keine Culdee’s mehr, aber die Erinnerung an diese einst so mächtige Sekte lebt bis heute noch im schottischen Volke fort, vielleicht deßhalb, weil ihre gegnerische Stellung zur römischen Kirche ihr als Empfehlung dient. In Abercrombie’s und Jamieson’s Geschichtswerken heißt es von den Culdee’s wie folgt: „Nur das Seelenheil ihrer Mitmenschen lag ihnen am Herzen. Sie wirkten mehr durch Beispiel als durch Wort. Die Schlichtheit ihrer Kleidung, ihrer Haltung und ihres ganzen Auftretens war ihre Beredtsamkeit. Sie halfen überall und beanspruchten nie Lohn; Bevorzugung, Streit, Spaltung, Kabale und Intrigue kannten sie nicht. Demüthig, einsiedlerisch, arm, keusch, nüchtern und voll heiligen Eifers, so lebten sie ihre Tage.“ Diese Vorbemerkungen werden uns beim Besuch Iona’s zu statten kommen. – Der Steamer wirft Anker und wir rudern der Insel zu. Am flachen Ufer derselben ziehen sich etwa vierzig ärmliche Hütten hin, die den gälischen Namen „Baile Mor“, d. h. die große Stadt, führen. Im selben Augenblick, wo wir aus dem Boot springen, sehen wir uns von einer Heerde Kinder umringt, die Ionamuscheln und Ionasteinchen zum Verkauf anbieten und die nunmehr, so lange wir den heiligen Boden der Insel unter unsern Füßen haben, unsere treu- <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0303" n="289"/> Skandinavien fünf Jahrhunderte lang geglaubt hatten, war ihm genommen; es war jetzt ein Bischofssitz wie viele andere noch. Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts giebt es keine Culdee’s mehr, aber die Erinnerung an diese einst so mächtige Sekte lebt bis heute noch im schottischen Volke fort, vielleicht deßhalb, weil ihre gegnerische Stellung zur römischen Kirche ihr als Empfehlung dient.</p><lb/> <p>In Abercrombie’s und Jamieson’s Geschichtswerken heißt es von den Culdee’s wie folgt: „Nur das Seelenheil ihrer Mitmenschen lag ihnen am Herzen. Sie wirkten mehr durch Beispiel als durch Wort. Die Schlichtheit ihrer Kleidung, ihrer Haltung und ihres ganzen Auftretens war ihre Beredtsamkeit. Sie halfen überall und beanspruchten nie Lohn; Bevorzugung, Streit, Spaltung, Kabale und Intrigue kannten sie nicht. Demüthig, einsiedlerisch, arm, keusch, nüchtern und voll heiligen Eifers, so lebten sie ihre Tage.“</p><lb/> <p>Diese Vorbemerkungen werden uns beim Besuch Iona’s zu statten kommen. – Der Steamer wirft Anker und wir rudern der Insel zu. Am flachen Ufer derselben ziehen sich etwa vierzig ärmliche Hütten hin, die den gälischen Namen „Baile Mor“, d. h. die große Stadt, führen. Im selben Augenblick, wo wir aus dem Boot springen, sehen wir uns von einer Heerde Kinder umringt, die Ionamuscheln und Ionasteinchen zum Verkauf anbieten und die nunmehr, so lange wir den heiligen Boden der Insel unter unsern Füßen haben, unsere treu-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [289/0303]
Skandinavien fünf Jahrhunderte lang geglaubt hatten, war ihm genommen; es war jetzt ein Bischofssitz wie viele andere noch. Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts giebt es keine Culdee’s mehr, aber die Erinnerung an diese einst so mächtige Sekte lebt bis heute noch im schottischen Volke fort, vielleicht deßhalb, weil ihre gegnerische Stellung zur römischen Kirche ihr als Empfehlung dient.
In Abercrombie’s und Jamieson’s Geschichtswerken heißt es von den Culdee’s wie folgt: „Nur das Seelenheil ihrer Mitmenschen lag ihnen am Herzen. Sie wirkten mehr durch Beispiel als durch Wort. Die Schlichtheit ihrer Kleidung, ihrer Haltung und ihres ganzen Auftretens war ihre Beredtsamkeit. Sie halfen überall und beanspruchten nie Lohn; Bevorzugung, Streit, Spaltung, Kabale und Intrigue kannten sie nicht. Demüthig, einsiedlerisch, arm, keusch, nüchtern und voll heiligen Eifers, so lebten sie ihre Tage.“
Diese Vorbemerkungen werden uns beim Besuch Iona’s zu statten kommen. – Der Steamer wirft Anker und wir rudern der Insel zu. Am flachen Ufer derselben ziehen sich etwa vierzig ärmliche Hütten hin, die den gälischen Namen „Baile Mor“, d. h. die große Stadt, führen. Im selben Augenblick, wo wir aus dem Boot springen, sehen wir uns von einer Heerde Kinder umringt, die Ionamuscheln und Ionasteinchen zum Verkauf anbieten und die nunmehr, so lange wir den heiligen Boden der Insel unter unsern Füßen haben, unsere treu-
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(2018-07-25T15:22:45Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T15:22:45Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen. Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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