Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

sprangen wir aus dem Bett, und kaum halb angezogen, griffen wir schon nach unsern Reisetaschen, um die zerstreut umherliegenden Garderobenstücke so gut wie möglich unterzubringen. Wir waren noch nicht fertig damit, als wir vom Quai her das Läuten einer Schiffsglocke vernahmen und im selben Augenblick von draußen die wenig variirten Worte hörten: "Make haste, gentlemen, or you will miss the steamer!" Wer kennte nicht die nervöse Aufregung, in die man verfällt, wenn man beim Packen oder gar im Fiaker schon (die immer doppelt langsam fahren, wenn man doppelte Eile hat) von der Furcht beschlichen wird, den Zug zu versäumen und volle 24 Stunden an einem bereits absolvirten Ort zubringen zu müssen, der nun plötzlich mit einer Physiognomie vor uns tritt, als habe es seit Heinrich dem Städtebauer nie einen langweiligeren Platz gegeben! Dieser "Panic" ergriff uns jetzt. Wir flogen in unsere Röcke und Ueberzieher hinein, rafften alles zusammen, was noch auf Tisch und Betten lag, stopften es in die Säcke und stürzten fort. An der Hofthür stand die Wirthin, nicht Mrs. Mackay, sondern die Hintersassin, die alte Waschfrau (keine Chamisso'sche), deren Putzstube hatte aushelfen müssen. Sie trat uns in den Weg, um die ungemüthlichen Geldgeschäfte stehenden Fußes abzumachen "Wie viel?" - Fünfzehn Schillinge - Es war eine enorme Summe für zwei Nachtquartiere und weiter nichts; indeß die Schiffsglocke, die eben wieder einsetzte, schnitt jede Unterhandlung ab und die Schillinge und halbe Kronen-

sprangen wir aus dem Bett, und kaum halb angezogen, griffen wir schon nach unsern Reisetaschen, um die zerstreut umherliegenden Garderobenstücke so gut wie möglich unterzubringen. Wir waren noch nicht fertig damit, als wir vom Quai her das Läuten einer Schiffsglocke vernahmen und im selben Augenblick von draußen die wenig variirten Worte hörten: „Make haste, gentlemen, or you will miss the steamer!“ Wer kennte nicht die nervöse Aufregung, in die man verfällt, wenn man beim Packen oder gar im Fiaker schon (die immer doppelt langsam fahren, wenn man doppelte Eile hat) von der Furcht beschlichen wird, den Zug zu versäumen und volle 24 Stunden an einem bereits absolvirten Ort zubringen zu müssen, der nun plötzlich mit einer Physiognomie vor uns tritt, als habe es seit Heinrich dem Städtebauer nie einen langweiligeren Platz gegeben! Dieser „Panic“ ergriff uns jetzt. Wir flogen in unsere Röcke und Ueberzieher hinein, rafften alles zusammen, was noch auf Tisch und Betten lag, stopften es in die Säcke und stürzten fort. An der Hofthür stand die Wirthin, nicht Mrs. Mackay, sondern die Hintersassin, die alte Waschfrau (keine Chamisso’sche), deren Putzstube hatte aushelfen müssen. Sie trat uns in den Weg, um die ungemüthlichen Geldgeschäfte stehenden Fußes abzumachen „Wie viel?“ – Fünfzehn Schillinge – Es war eine enorme Summe für zwei Nachtquartiere und weiter nichts; indeß die Schiffsglocke, die eben wieder einsetzte, schnitt jede Unterhandlung ab und die Schillinge und halbe Kronen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0315" n="301"/>
sprangen wir aus dem Bett, und kaum halb angezogen, griffen wir schon nach unsern Reisetaschen, um die zerstreut umherliegenden Garderobenstücke so gut wie möglich unterzubringen. Wir waren noch nicht fertig damit, als wir vom Quai her das Läuten einer Schiffsglocke vernahmen und im selben Augenblick von draußen die wenig variirten Worte hörten: <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="eng">&#x201E;Make haste, gentlemen, or you will miss the              steamer!&#x201C;</foreign></hi> Wer kennte nicht die nervöse Aufregung, in die man verfällt, wenn man beim Packen oder gar im Fiaker schon (die immer doppelt langsam fahren, wenn man doppelte Eile hat) von der Furcht beschlichen wird, den Zug zu versäumen und volle 24 Stunden an einem bereits absolvirten Ort zubringen zu müssen, der nun plötzlich mit einer Physiognomie vor uns tritt, als habe es seit Heinrich dem Städtebauer nie einen langweiligeren Platz gegeben! Dieser &#x201E;Panic&#x201C; ergriff uns jetzt. Wir flogen in unsere Röcke und Ueberzieher hinein, rafften alles zusammen, was noch auf Tisch und Betten lag, stopften es in die Säcke und stürzten fort. An der Hofthür stand die Wirthin, <hi rendition="#g">nicht</hi> Mrs. Mackay, sondern die Hintersassin, die alte Waschfrau (keine Chamisso&#x2019;sche), deren Putzstube hatte aushelfen müssen. Sie trat uns in den Weg, um die ungemüthlichen Geldgeschäfte stehenden Fußes abzumachen &#x201E;Wie viel?&#x201C; &#x2013; Fünfzehn Schillinge &#x2013; Es war eine enorme Summe für zwei Nachtquartiere und weiter nichts; indeß die Schiffsglocke, die eben wieder einsetzte, schnitt jede Unterhandlung ab und die Schillinge und halbe Kronen-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0315] sprangen wir aus dem Bett, und kaum halb angezogen, griffen wir schon nach unsern Reisetaschen, um die zerstreut umherliegenden Garderobenstücke so gut wie möglich unterzubringen. Wir waren noch nicht fertig damit, als wir vom Quai her das Läuten einer Schiffsglocke vernahmen und im selben Augenblick von draußen die wenig variirten Worte hörten: „Make haste, gentlemen, or you will miss the steamer!“ Wer kennte nicht die nervöse Aufregung, in die man verfällt, wenn man beim Packen oder gar im Fiaker schon (die immer doppelt langsam fahren, wenn man doppelte Eile hat) von der Furcht beschlichen wird, den Zug zu versäumen und volle 24 Stunden an einem bereits absolvirten Ort zubringen zu müssen, der nun plötzlich mit einer Physiognomie vor uns tritt, als habe es seit Heinrich dem Städtebauer nie einen langweiligeren Platz gegeben! Dieser „Panic“ ergriff uns jetzt. Wir flogen in unsere Röcke und Ueberzieher hinein, rafften alles zusammen, was noch auf Tisch und Betten lag, stopften es in die Säcke und stürzten fort. An der Hofthür stand die Wirthin, nicht Mrs. Mackay, sondern die Hintersassin, die alte Waschfrau (keine Chamisso’sche), deren Putzstube hatte aushelfen müssen. Sie trat uns in den Weg, um die ungemüthlichen Geldgeschäfte stehenden Fußes abzumachen „Wie viel?“ – Fünfzehn Schillinge – Es war eine enorme Summe für zwei Nachtquartiere und weiter nichts; indeß die Schiffsglocke, die eben wieder einsetzte, schnitt jede Unterhandlung ab und die Schillinge und halbe Kronen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • i/j in Fraktur: keine Angabe;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • Kolumnentitel: nicht übernommen;
  • Kustoden: keine Angabe;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • Normalisierungen: keine;
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • u/v bzw. U/V: keine Angabe;
  • Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/315
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/315>, abgerufen am 22.11.2024.