Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.vor den Thüren ist allgemein und geht rasch in jenes stille, behagliche Auf und Ab, in jene mußevolle Bewegung über, die kein Ziel verfolgt und sich selber Zweck ist. Die armen Leute von Edinburg gehen allabendlich auf ihrer High-Street spatzieren. Das klingt nicht viel, ist aber eine große Sache und giebt jedenfalls der ganzen Straße einen Charakter, der uns durch seine Neuheit völlig frappirt. Unsre nordischen Straßen haben aufgehört Versammlungsplätze zu sein, sie dienen ausschließlich dem Verkehr und gleichen abgesteckten Rennbahnen, auf denen nur gelaufen wird. Aber selbst die Buntheit des Südens sollten wir nicht lange vermissen, als wir High-Street entlang schritten. An allen Ecken standen Hochlandssöhne mit Kilt und Plaid, nicht genau in die Farben ihrer Clan's gekleidet, aber immer noch bunt genug, um das Bild zu beleben. Es waren Werbe-Unteroffiziere von den Highlanders, "Kameraden von der hohen Nummer", was in England einen stolzen Klang hat, wo die Nummern 72. und 93. auf den Hochlands-Schultern zweier berühmter Regimenter stehen. Vieles ist gegen die Hochlandstracht im Allgemeinen gesagt und geschrieben worden und gewiß mit Recht, aber malerisch ist und bleibt sie. Selbst das Zwitterkostüm der Hochlands-Regimenter, die oben den abgeschnittenen rothen Frack der Engländer adoptirt, nach unten hin aber den Kilt und die Nacktbeinigkeit in aller Integrität bewahrt haben, ist immer noch eine Schöpfung von relativer Geschmacksfülle. Unter allen vor den Thüren ist allgemein und geht rasch in jenes stille, behagliche Auf und Ab, in jene mußevolle Bewegung über, die kein Ziel verfolgt und sich selber Zweck ist. Die armen Leute von Edinburg gehen allabendlich auf ihrer High-Street spatzieren. Das klingt nicht viel, ist aber eine große Sache und giebt jedenfalls der ganzen Straße einen Charakter, der uns durch seine Neuheit völlig frappirt. Unsre nordischen Straßen haben aufgehört Versammlungsplätze zu sein, sie dienen ausschließlich dem Verkehr und gleichen abgesteckten Rennbahnen, auf denen nur gelaufen wird. Aber selbst die Buntheit des Südens sollten wir nicht lange vermissen, als wir High-Street entlang schritten. An allen Ecken standen Hochlandssöhne mit Kilt und Plaid, nicht genau in die Farben ihrer Clan’s gekleidet, aber immer noch bunt genug, um das Bild zu beleben. Es waren Werbe-Unteroffiziere von den Highlanders, „Kameraden von der hohen Nummer“, was in England einen stolzen Klang hat, wo die Nummern 72. und 93. auf den Hochlands-Schultern zweier berühmter Regimenter stehen. Vieles ist gegen die Hochlandstracht im Allgemeinen gesagt und geschrieben worden und gewiß mit Recht, aber malerisch ist und bleibt sie. Selbst das Zwitterkostüm der Hochlands-Regimenter, die oben den abgeschnittenen rothen Frack der Engländer adoptirt, nach unten hin aber den Kilt und die Nacktbeinigkeit in aller Integrität bewahrt haben, ist immer noch eine Schöpfung von relativer Geschmacksfülle. Unter allen <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0058" n="44"/> vor den Thüren ist allgemein und geht rasch in jenes stille, behagliche Auf und Ab, in jene mußevolle Bewegung über, die kein Ziel verfolgt und sich selber Zweck ist. Die armen Leute von Edinburg gehen allabendlich auf ihrer High-Street <hi rendition="#g">spatzieren</hi>. Das klingt nicht viel, ist aber eine große Sache und giebt jedenfalls der ganzen Straße einen Charakter, der uns durch seine Neuheit völlig frappirt. Unsre nordischen Straßen haben aufgehört Versammlungsplätze zu sein, sie dienen ausschließlich dem Verkehr und gleichen abgesteckten Rennbahnen, auf denen nur <hi rendition="#g">gelaufen</hi> wird.</p><lb/> <p>Aber selbst die Buntheit des Südens sollten wir nicht lange vermissen, als wir High-Street entlang schritten. An allen Ecken standen Hochlandssöhne mit Kilt und Plaid, nicht genau in die Farben ihrer Clan’s gekleidet, aber immer noch bunt genug, um das Bild zu beleben. Es waren Werbe-Unteroffiziere von den Highlanders, „Kameraden von der hohen Nummer“, was in England einen stolzen Klang hat, wo die Nummern 72. und 93. auf den Hochlands-Schultern zweier berühmter Regimenter stehen. Vieles ist gegen die Hochlandstracht im Allgemeinen gesagt und geschrieben worden und gewiß mit Recht, aber malerisch ist und bleibt sie. Selbst das Zwitterkostüm der Hochlands-<hi rendition="#g">Regimenter</hi>, die oben den abgeschnittenen rothen Frack der Engländer adoptirt, nach unten hin aber den Kilt und die Nacktbeinigkeit in aller Integrität bewahrt haben, ist immer noch eine Schöpfung von relativer Geschmacksfülle. Unter allen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0058]
vor den Thüren ist allgemein und geht rasch in jenes stille, behagliche Auf und Ab, in jene mußevolle Bewegung über, die kein Ziel verfolgt und sich selber Zweck ist. Die armen Leute von Edinburg gehen allabendlich auf ihrer High-Street spatzieren. Das klingt nicht viel, ist aber eine große Sache und giebt jedenfalls der ganzen Straße einen Charakter, der uns durch seine Neuheit völlig frappirt. Unsre nordischen Straßen haben aufgehört Versammlungsplätze zu sein, sie dienen ausschließlich dem Verkehr und gleichen abgesteckten Rennbahnen, auf denen nur gelaufen wird.
Aber selbst die Buntheit des Südens sollten wir nicht lange vermissen, als wir High-Street entlang schritten. An allen Ecken standen Hochlandssöhne mit Kilt und Plaid, nicht genau in die Farben ihrer Clan’s gekleidet, aber immer noch bunt genug, um das Bild zu beleben. Es waren Werbe-Unteroffiziere von den Highlanders, „Kameraden von der hohen Nummer“, was in England einen stolzen Klang hat, wo die Nummern 72. und 93. auf den Hochlands-Schultern zweier berühmter Regimenter stehen. Vieles ist gegen die Hochlandstracht im Allgemeinen gesagt und geschrieben worden und gewiß mit Recht, aber malerisch ist und bleibt sie. Selbst das Zwitterkostüm der Hochlands-Regimenter, die oben den abgeschnittenen rothen Frack der Engländer adoptirt, nach unten hin aber den Kilt und die Nacktbeinigkeit in aller Integrität bewahrt haben, ist immer noch eine Schöpfung von relativer Geschmacksfülle. Unter allen
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(2018-07-25T15:22:45Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T15:22:45Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen. Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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