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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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aus einem allerspeziellsten, sondern auch noch aus
einem ganz allgemeinen Grunde. Denn wenn die
Kinderbälle, nach Ansicht und Erfahrung Euer König¬
lichen Hoheit, eigentlich am besten ohne Kinder be¬
stehen, so die Freundschaften am besten ohne Freunde.
Die Surrogate bedeuten überhaupt alles im Leben,
und sind recht eigentlich die letzte Weisheitsessenz."

"Es muß sehr gut mit Ihnen stehn, lieber San¬
der," entgegnete der Prinz, "daß Sie sich zu solchen
Ungeheuerlichkeiten offen bekennen können. Mais
revenons a notre belle Victoire
. Sie war unter
den jungen Damen, die durch lebende Bilder das
Fest damals einleiteten, und stellte, wenn mich mein
Gedächtnis nicht trügt, eine Hebe dar, die dem Zeus
eine Schale reichte. Ja, so war es, und indem ich
davon spreche, tritt mir das Bild wieder deutlich vor
die Seele. Sie war kaum fünfzehn, und von jener
Taille, die jeden Augenblick zu zerbrechen scheint.
Aber sie zerbrechen nie. ,Comme un ange', sagte
der alte Graf Neale, der neben mir stand, und mich
durch eine Begeistrung langweilte, die mir einfach als
eine Karrikatur der meinigen erschien. Es wäre mir
eine Freude, die Bekanntschaft der Damen erneuern
zu können."

"Eure Königliche Hoheit würden das Fräulein
Victoire nicht wieder erkennen," sagte Schach, dem der
Ton, in dem der Prinz sprach, wenig angenehm war.

aus einem allerſpeziellſten, ſondern auch noch aus
einem ganz allgemeinen Grunde. Denn wenn die
Kinderbälle, nach Anſicht und Erfahrung Euer König¬
lichen Hoheit, eigentlich am beſten ohne Kinder be¬
ſtehen, ſo die Freundſchaften am beſten ohne Freunde.
Die Surrogate bedeuten überhaupt alles im Leben,
und ſind recht eigentlich die letzte Weisheitseſſenz.“

„Es muß ſehr gut mit Ihnen ſtehn, lieber San¬
der,“ entgegnete der Prinz, „daß Sie ſich zu ſolchen
Ungeheuerlichkeiten offen bekennen können. Mais
révenons à notre belle Victoire
. Sie war unter
den jungen Damen, die durch lebende Bilder das
Feſt damals einleiteten, und ſtellte, wenn mich mein
Gedächtnis nicht trügt, eine Hebe dar, die dem Zeus
eine Schale reichte. Ja, ſo war es, und indem ich
davon ſpreche, tritt mir das Bild wieder deutlich vor
die Seele. Sie war kaum fünfzehn, und von jener
Taille, die jeden Augenblick zu zerbrechen ſcheint.
Aber ſie zerbrechen nie. ‚Comme un ange‘, ſagte
der alte Graf Neale, der neben mir ſtand, und mich
durch eine Begeiſtrung langweilte, die mir einfach als
eine Karrikatur der meinigen erſchien. Es wäre mir
eine Freude, die Bekanntſchaft der Damen erneuern
zu können.“

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Victoire nicht wieder erkennen,“ ſagte Schach, dem der
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[90/0102] aus einem allerſpeziellſten, ſondern auch noch aus einem ganz allgemeinen Grunde. Denn wenn die Kinderbälle, nach Anſicht und Erfahrung Euer König¬ lichen Hoheit, eigentlich am beſten ohne Kinder be¬ ſtehen, ſo die Freundſchaften am beſten ohne Freunde. Die Surrogate bedeuten überhaupt alles im Leben, und ſind recht eigentlich die letzte Weisheitseſſenz.“ „Es muß ſehr gut mit Ihnen ſtehn, lieber San¬ der,“ entgegnete der Prinz, „daß Sie ſich zu ſolchen Ungeheuerlichkeiten offen bekennen können. Mais révenons à notre belle Victoire. Sie war unter den jungen Damen, die durch lebende Bilder das Feſt damals einleiteten, und ſtellte, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, eine Hebe dar, die dem Zeus eine Schale reichte. Ja, ſo war es, und indem ich davon ſpreche, tritt mir das Bild wieder deutlich vor die Seele. Sie war kaum fünfzehn, und von jener Taille, die jeden Augenblick zu zerbrechen ſcheint. Aber ſie zerbrechen nie. ‚Comme un ange‘, ſagte der alte Graf Neale, der neben mir ſtand, und mich durch eine Begeiſtrung langweilte, die mir einfach als eine Karrikatur der meinigen erſchien. Es wäre mir eine Freude, die Bekanntſchaft der Damen erneuern zu können.“ „Eure Königliche Hoheit würden das Fräulein Victoire nicht wieder erkennen,“ ſagte Schach, dem der Ton, in dem der Prinz ſprach, wenig angenehm war.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/102>, abgerufen am 21.11.2024.