Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

daß sie von den Spott- und Zerrbildern, deren Gegen¬
stand sie waren, nichts in Erfahrung brachten; aber für
den Drittbeteiligten, für Schach, war es ebenso gewiß
ein Unglück und eine Quelle neuer Zerwürfnisse. Hätte
Frau von Carayon, als deren schönster Herzenszug
ein tiefes Mitgefühl gelten konnte, nur die kleinste
Vorstellung von all dem Leid gehabt, das, die ganze
Zeit über, über ihren Freund ausgeschüttet worden
war, so würde sie von der ihm gestellten Forderung
zwar nicht Abstand genommen, aber ihm doch Auf¬
schub gewährt und Trost und Teilnahme gespendet
haben; ohne jede Kenntnis jedoch von dem, was in¬
zwischen vorgefallen war, aigrierte sie sich gegen Schach
immer mehr und erging sich von dem Augenblick an,
wo sie von seinem Rückzug nach Wuthenow erfuhr,
über seinen "Wort- und Treubruch" als den sies an¬
sah, in den heftigsten und unschmeichelhaftesten Aus¬
drücken.

Es war sehr bald, daß sie von diesem Rückzuge
hörte. Denselben Abend noch, an dem Schach seinen
Urlaub angetreten hatte, ließ sich Alvensleben bei den
Carayons melden. Victoire, der jede Gesellschaft
peinlich war, zog sich zurück, Frau von Carayon
aber ließ bitten und empfing ihn mit besondrer Herz¬
lichkeit.

"Daß ich Ihnen sagen könnte, lieber Alvensleben,
wie sehr ich mich freue, Sie nach so vielen Wochen

daß ſie von den Spott- und Zerrbildern, deren Gegen¬
ſtand ſie waren, nichts in Erfahrung brachten; aber für
den Drittbeteiligten, für Schach, war es ebenſo gewiß
ein Unglück und eine Quelle neuer Zerwürfniſſe. Hätte
Frau von Carayon, als deren ſchönſter Herzenszug
ein tiefes Mitgefühl gelten konnte, nur die kleinſte
Vorſtellung von all dem Leid gehabt, das, die ganze
Zeit über, über ihren Freund ausgeſchüttet worden
war, ſo würde ſie von der ihm geſtellten Forderung
zwar nicht Abſtand genommen, aber ihm doch Auf¬
ſchub gewährt und Troſt und Teilnahme geſpendet
haben; ohne jede Kenntnis jedoch von dem, was in¬
zwiſchen vorgefallen war, aigrierte ſie ſich gegen Schach
immer mehr und erging ſich von dem Augenblick an,
wo ſie von ſeinem Rückzug nach Wuthenow erfuhr,
über ſeinen „Wort- und Treubruch“ als den ſies an¬
ſah, in den heftigſten und unſchmeichelhafteſten Aus¬
drücken.

Es war ſehr bald, daß ſie von dieſem Rückzuge
hörte. Denſelben Abend noch, an dem Schach ſeinen
Urlaub angetreten hatte, ließ ſich Alvensleben bei den
Carayons melden. Victoire, der jede Geſellſchaft
peinlich war, zog ſich zurück, Frau von Carayon
aber ließ bitten und empfing ihn mit beſondrer Herz¬
lichkeit.

„Daß ich Ihnen ſagen könnte, lieber Alvensleben,
wie ſehr ich mich freue, Sie nach ſo vielen Wochen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0184" n="172"/>
daß &#x017F;ie von den Spott- und Zerrbildern, deren Gegen¬<lb/>
&#x017F;tand &#x017F;ie waren, nichts in Erfahrung brachten; aber für<lb/>
den <hi rendition="#g">Dritt</hi>beteiligten, für Schach, war es eben&#x017F;o gewiß<lb/>
ein Unglück und eine Quelle neuer Zerwürfni&#x017F;&#x017F;e. Hätte<lb/>
Frau von Carayon, als deren &#x017F;chön&#x017F;ter Herzenszug<lb/>
ein tiefes Mitgefühl gelten konnte, nur die klein&#x017F;te<lb/>
Vor&#x017F;tellung von all dem Leid gehabt, das, die ganze<lb/>
Zeit über, über ihren Freund ausge&#x017F;chüttet worden<lb/>
war, &#x017F;o würde &#x017F;ie von der ihm ge&#x017F;tellten Forderung<lb/>
zwar nicht Ab&#x017F;tand genommen, aber ihm doch Auf¬<lb/>
&#x017F;chub gewährt und Tro&#x017F;t und Teilnahme ge&#x017F;pendet<lb/>
haben; ohne jede Kenntnis jedoch von dem, was in¬<lb/>
zwi&#x017F;chen vorgefallen war, aigrierte &#x017F;ie &#x017F;ich gegen Schach<lb/>
immer mehr und erging &#x017F;ich von dem Augenblick an,<lb/>
wo &#x017F;ie von &#x017F;einem Rückzug nach Wuthenow erfuhr,<lb/>
über &#x017F;einen &#x201E;Wort- und Treubruch&#x201C; als den &#x017F;ies an¬<lb/>
&#x017F;ah, in den heftig&#x017F;ten und un&#x017F;chmeichelhafte&#x017F;ten Aus¬<lb/>
drücken.</p><lb/>
        <p>Es war &#x017F;ehr bald, daß &#x017F;ie von die&#x017F;em Rückzuge<lb/>
hörte. Den&#x017F;elben Abend noch, an dem Schach &#x017F;einen<lb/>
Urlaub angetreten hatte, ließ &#x017F;ich Alvensleben bei den<lb/>
Carayons melden. Victoire, der jede Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
peinlich war, zog &#x017F;ich zurück, Frau von Carayon<lb/>
aber ließ bitten und empfing ihn mit be&#x017F;ondrer Herz¬<lb/>
lichkeit.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Daß ich Ihnen &#x017F;agen könnte, lieber Alvensleben,<lb/>
wie &#x017F;ehr ich mich freue, Sie nach &#x017F;o vielen Wochen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0184] daß ſie von den Spott- und Zerrbildern, deren Gegen¬ ſtand ſie waren, nichts in Erfahrung brachten; aber für den Drittbeteiligten, für Schach, war es ebenſo gewiß ein Unglück und eine Quelle neuer Zerwürfniſſe. Hätte Frau von Carayon, als deren ſchönſter Herzenszug ein tiefes Mitgefühl gelten konnte, nur die kleinſte Vorſtellung von all dem Leid gehabt, das, die ganze Zeit über, über ihren Freund ausgeſchüttet worden war, ſo würde ſie von der ihm geſtellten Forderung zwar nicht Abſtand genommen, aber ihm doch Auf¬ ſchub gewährt und Troſt und Teilnahme geſpendet haben; ohne jede Kenntnis jedoch von dem, was in¬ zwiſchen vorgefallen war, aigrierte ſie ſich gegen Schach immer mehr und erging ſich von dem Augenblick an, wo ſie von ſeinem Rückzug nach Wuthenow erfuhr, über ſeinen „Wort- und Treubruch“ als den ſies an¬ ſah, in den heftigſten und unſchmeichelhafteſten Aus¬ drücken. Es war ſehr bald, daß ſie von dieſem Rückzuge hörte. Denſelben Abend noch, an dem Schach ſeinen Urlaub angetreten hatte, ließ ſich Alvensleben bei den Carayons melden. Victoire, der jede Geſellſchaft peinlich war, zog ſich zurück, Frau von Carayon aber ließ bitten und empfing ihn mit beſondrer Herz¬ lichkeit. „Daß ich Ihnen ſagen könnte, lieber Alvensleben, wie ſehr ich mich freue, Sie nach ſo vielen Wochen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/184
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/184>, abgerufen am 04.12.2024.