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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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so bitte ich morgen um Thee, wenn es aber Thee war, so bitte ich morgen um Kaffee." Gegen neun kam die Zeitung, und ein Zufall wollte, daß mein erster Blick auf die Fremdenliste fiel. Da las ich gleich obenan: "Hotel de Saxe: Neubert und Frau, Apothekenbesitzer aus Leipzig." Sofort war ich entschlossen, mich ihm vorzustellen und anzufragen, "ob er mich haben wolle." Die ganze Sache hatte durchaus was von einem Ueberfall, aber gerade das kam mir zu statten. Denn Neubert, der mehr forscher Jäger als philiströser Apotheker war, war von einer großen Vorliebe für frank und freies Wesen, für alles, was außerhalb der Schablone lag. Er war ein ungewöhnlich reizender Mann; jetzt, wo jeder in seinen Geschäften aufgeht, aufgehen muß, kann sich solche Figur kaum noch ausbilden. Ich fand das Paar in sehr verschiedenen Stadien der Toilette vor, die Dame bereits in Mantel und Muff, er noch weit zurück, in Hemdsärmeln, eine Zahnbürste in der Hand. Bei der freien Art beider aber verursachte dies nicht die geringste Störung, und ehe drei Minuten um waren, war ich auf Ostern hin engagiert, machte meinen Diener und empfahl mich strahlenden Gesichts; denn ich hatte wohl bemerkt, daß ihn mein Auftreten amüsiert und einen guten Eindruck auf ihn gemacht hatte. Diese wohlwollende Gesinnung hat er mir auch nachher immer bethätigt,

so bitte ich morgen um Thee, wenn es aber Thee war, so bitte ich morgen um Kaffee.“ Gegen neun kam die Zeitung, und ein Zufall wollte, daß mein erster Blick auf die Fremdenliste fiel. Da las ich gleich obenan: „Hotel de Saxe: Neubert und Frau, Apothekenbesitzer aus Leipzig.“ Sofort war ich entschlossen, mich ihm vorzustellen und anzufragen, „ob er mich haben wolle.“ Die ganze Sache hatte durchaus was von einem Ueberfall, aber gerade das kam mir zu statten. Denn Neubert, der mehr forscher Jäger als philiströser Apotheker war, war von einer großen Vorliebe für frank und freies Wesen, für alles, was außerhalb der Schablone lag. Er war ein ungewöhnlich reizender Mann; jetzt, wo jeder in seinen Geschäften aufgeht, aufgehen muß, kann sich solche Figur kaum noch ausbilden. Ich fand das Paar in sehr verschiedenen Stadien der Toilette vor, die Dame bereits in Mantel und Muff, er noch weit zurück, in Hemdsärmeln, eine Zahnbürste in der Hand. Bei der freien Art beider aber verursachte dies nicht die geringste Störung, und ehe drei Minuten um waren, war ich auf Ostern hin engagiert, machte meinen Diener und empfahl mich strahlenden Gesichts; denn ich hatte wohl bemerkt, daß ihn mein Auftreten amüsiert und einen guten Eindruck auf ihn gemacht hatte. Diese wohlwollende Gesinnung hat er mir auch nachher immer bethätigt,

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[108/0117] so bitte ich morgen um Thee, wenn es aber Thee war, so bitte ich morgen um Kaffee.“ Gegen neun kam die Zeitung, und ein Zufall wollte, daß mein erster Blick auf die Fremdenliste fiel. Da las ich gleich obenan: „Hotel de Saxe: Neubert und Frau, Apothekenbesitzer aus Leipzig.“ Sofort war ich entschlossen, mich ihm vorzustellen und anzufragen, „ob er mich haben wolle.“ Die ganze Sache hatte durchaus was von einem Ueberfall, aber gerade das kam mir zu statten. Denn Neubert, der mehr forscher Jäger als philiströser Apotheker war, war von einer großen Vorliebe für frank und freies Wesen, für alles, was außerhalb der Schablone lag. Er war ein ungewöhnlich reizender Mann; jetzt, wo jeder in seinen Geschäften aufgeht, aufgehen muß, kann sich solche Figur kaum noch ausbilden. Ich fand das Paar in sehr verschiedenen Stadien der Toilette vor, die Dame bereits in Mantel und Muff, er noch weit zurück, in Hemdsärmeln, eine Zahnbürste in der Hand. Bei der freien Art beider aber verursachte dies nicht die geringste Störung, und ehe drei Minuten um waren, war ich auf Ostern hin engagiert, machte meinen Diener und empfahl mich strahlenden Gesichts; denn ich hatte wohl bemerkt, daß ihn mein Auftreten amüsiert und einen guten Eindruck auf ihn gemacht hatte. Diese wohlwollende Gesinnung hat er mir auch nachher immer bethätigt,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/117>, abgerufen am 17.05.2024.