Grund, daß von ihrem "Ueberholtsein" keine Rede sein kann. Sie sind die Ueberlegenen und ihre Kulturüberlegenheit wurzelt in ihrer Bildungsüberlegenheit, die nicht vom neusten Datum, sondern fast vierhundert Jahre alt ist. Das giebt dann, auch im erbittertsten Kampfe der Interessen und Ideen, immer einen Regulator. Der sächsische Großstadtsbürger ist sehr bourgeoishaft, der sächsische Adel sehr dünkelhaft - viel dünkelhafter als das Junkertum, das eigentlich einen flotten, fidelen Zug hat - und der sächsische Hof ist katholisch, was doch immerhin eine Scheidewand zieht, aber alle drei sind durch ihr hohes Bildungsmaß vor Fehlern geschützt, wie sie sich in andern deutschen Landen, ganz besonders aber im Altpreußischen, sehr hochgradig vorfinden. Alles, was zur Oberschicht der sächsischen Gesellschaft gehört, auch die, die Fortschritt und Sozialdemokratie mit Feuer und Schwert bekämpfen möchten - viel rücksichtsloser, als es in Preußen geschieht, - alle haben, mitten im Kampf, die neue Zeit begriffen, während die tonangebenden Kreise der ostelbischen Provinzen die neue Zeit nicht begriffen haben. Anachronismen innerhalb der gesamten Anschauungswelt, Rückschraubungen, sind in Sachsen unmöglich, womit nicht gesagt sein soll, daß in praxi nicht Schrecklichkeiten vorkommen. Die kommen aber immer und
Grund, daß von ihrem „Ueberholtsein“ keine Rede sein kann. Sie sind die Ueberlegenen und ihre Kulturüberlegenheit wurzelt in ihrer Bildungsüberlegenheit, die nicht vom neusten Datum, sondern fast vierhundert Jahre alt ist. Das giebt dann, auch im erbittertsten Kampfe der Interessen und Ideen, immer einen Regulator. Der sächsische Großstadtsbürger ist sehr bourgeoishaft, der sächsische Adel sehr dünkelhaft – viel dünkelhafter als das Junkertum, das eigentlich einen flotten, fidelen Zug hat – und der sächsische Hof ist katholisch, was doch immerhin eine Scheidewand zieht, aber alle drei sind durch ihr hohes Bildungsmaß vor Fehlern geschützt, wie sie sich in andern deutschen Landen, ganz besonders aber im Altpreußischen, sehr hochgradig vorfinden. Alles, was zur Oberschicht der sächsischen Gesellschaft gehört, auch die, die Fortschritt und Sozialdemokratie mit Feuer und Schwert bekämpfen möchten – viel rücksichtsloser, als es in Preußen geschieht, – alle haben, mitten im Kampf, die neue Zeit begriffen, während die tonangebenden Kreise der ostelbischen Provinzen die neue Zeit nicht begriffen haben. Anachronismen innerhalb der gesamten Anschauungswelt, Rückschraubungen, sind in Sachsen unmöglich, womit nicht gesagt sein soll, daß in praxi nicht Schrecklichkeiten vorkommen. Die kommen aber immer und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0149"n="140"/>
Grund, daß von ihrem „Ueberholtsein“ keine Rede sein kann. <hirendition="#g">Sie</hi> sind die Ueberlegenen und ihre Kulturüberlegenheit wurzelt in ihrer Bildungsüberlegenheit, die nicht vom neusten Datum, sondern fast vierhundert Jahre alt ist. Das giebt dann, auch im erbittertsten Kampfe der Interessen und Ideen, immer einen Regulator. Der sächsische Großstadtsbürger ist sehr bourgeoishaft, der sächsische Adel sehr dünkelhaft – viel dünkelhafter als das Junkertum, das eigentlich einen flotten, fidelen Zug hat – und der sächsische Hof ist katholisch, was doch immerhin eine Scheidewand zieht, aber alle drei sind durch ihr hohes Bildungsmaß vor Fehlern geschützt, wie sie sich in andern deutschen Landen, ganz besonders aber im Altpreußischen, sehr hochgradig vorfinden. Alles, was zur Oberschicht der sächsischen Gesellschaft gehört, auch <hirendition="#g">die</hi>, die Fortschritt und Sozialdemokratie mit Feuer und Schwert bekämpfen möchten – viel rücksichtsloser, als es in Preußen geschieht, – alle haben, mitten im Kampf, die neue Zeit begriffen, während die tonangebenden Kreise der ostelbischen Provinzen die neue Zeit <hirendition="#g">nicht</hi> begriffen haben. Anachronismen innerhalb der gesamten Anschauungswelt, Rückschraubungen, sind in Sachsen unmöglich, womit nicht gesagt sein soll, daß <hirendition="#aq">in praxi</hi> nicht Schrecklichkeiten vorkommen. <hirendition="#g">Die</hi> kommen aber immer und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[140/0149]
Grund, daß von ihrem „Ueberholtsein“ keine Rede sein kann. Sie sind die Ueberlegenen und ihre Kulturüberlegenheit wurzelt in ihrer Bildungsüberlegenheit, die nicht vom neusten Datum, sondern fast vierhundert Jahre alt ist. Das giebt dann, auch im erbittertsten Kampfe der Interessen und Ideen, immer einen Regulator. Der sächsische Großstadtsbürger ist sehr bourgeoishaft, der sächsische Adel sehr dünkelhaft – viel dünkelhafter als das Junkertum, das eigentlich einen flotten, fidelen Zug hat – und der sächsische Hof ist katholisch, was doch immerhin eine Scheidewand zieht, aber alle drei sind durch ihr hohes Bildungsmaß vor Fehlern geschützt, wie sie sich in andern deutschen Landen, ganz besonders aber im Altpreußischen, sehr hochgradig vorfinden. Alles, was zur Oberschicht der sächsischen Gesellschaft gehört, auch die, die Fortschritt und Sozialdemokratie mit Feuer und Schwert bekämpfen möchten – viel rücksichtsloser, als es in Preußen geschieht, – alle haben, mitten im Kampf, die neue Zeit begriffen, während die tonangebenden Kreise der ostelbischen Provinzen die neue Zeit nicht begriffen haben. Anachronismen innerhalb der gesamten Anschauungswelt, Rückschraubungen, sind in Sachsen unmöglich, womit nicht gesagt sein soll, daß in praxi nicht Schrecklichkeiten vorkommen. Die kommen aber immer und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/149>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.