Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.wurden. Ich war immer gern dabei, was ein klein wenig mit Ruthes Persönlichkeit zusammenhing. Wenn wir auf den Latten einer Dorfkegelbahn saßen und unsre Milch verzehrten, ließ Ruthe, der eine Art Naturmensch war, regelmäßig den Lehrer fallen und spielte sich auf den Rousseauschen Philanthropen und Jugenderzieher aus. Er berührte dann gern Sittlichkeitsfragen. "Ja, meine lieben jungen Freunde, Botanik ist gut und Naturwissenschaften sind gut. Aber das wichtigste bleibt doch der sittliche Mensch. Ich würde Ihnen gerne davon erzählen, hier jetzt gleich und auch in der Klasse. Sie würden davon mehr haben, als von vielem andrem. Aber ich darf es nicht." Dies richtete sich gegen den Direktor, den alten Klöden, der, glaub' ich, hinter Ruthes Sittlichkeitsanschauungen ein großes Fragezeichen machte. Nun also, Ruthe war ein prächtiger Mann, trotzdem er uns das "Rätsel des Lebens" immer schuldig blieb, aber wenn ich ihn auch noch mehr geliebt hätte, daß er von der Rudower Wiese nicht los konnte, das war doch etwas Schreckliches für mich. Denn wenn er in seiner Köpnickerstraße war und der Rest meiner Kameraden es wenigstens nicht mehr allzuweit bis nach Hause hatte, dann fing für mich das Vergnügen erst an, dann mußt' ich mit nur zu oft wundgelaufenen Füßen - Stiefel, in die meine wurden. Ich war immer gern dabei, was ein klein wenig mit Ruthes Persönlichkeit zusammenhing. Wenn wir auf den Latten einer Dorfkegelbahn saßen und unsre Milch verzehrten, ließ Ruthe, der eine Art Naturmensch war, regelmäßig den Lehrer fallen und spielte sich auf den Rousseauschen Philanthropen und Jugenderzieher aus. Er berührte dann gern Sittlichkeitsfragen. „Ja, meine lieben jungen Freunde, Botanik ist gut und Naturwissenschaften sind gut. Aber das wichtigste bleibt doch der sittliche Mensch. Ich würde Ihnen gerne davon erzählen, hier jetzt gleich und auch in der Klasse. Sie würden davon mehr haben, als von vielem andrem. Aber ich darf es nicht.“ Dies richtete sich gegen den Direktor, den alten Klöden, der, glaub’ ich, hinter Ruthes Sittlichkeitsanschauungen ein großes Fragezeichen machte. Nun also, Ruthe war ein prächtiger Mann, trotzdem er uns das „Rätsel des Lebens“ immer schuldig blieb, aber wenn ich ihn auch noch mehr geliebt hätte, daß er von der Rudower Wiese nicht los konnte, das war doch etwas Schreckliches für mich. Denn wenn er in seiner Köpnickerstraße war und der Rest meiner Kameraden es wenigstens nicht mehr allzuweit bis nach Hause hatte, dann fing für mich das Vergnügen erst an, dann mußt’ ich mit nur zu oft wundgelaufenen Füßen – Stiefel, in die meine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0202" n="193"/> wurden. Ich war immer gern dabei, was ein klein wenig mit Ruthes Persönlichkeit zusammenhing. Wenn wir auf den Latten einer Dorfkegelbahn saßen und unsre Milch verzehrten, ließ Ruthe, der eine Art Naturmensch war, regelmäßig den Lehrer fallen und spielte sich auf den Rousseauschen Philanthropen und Jugenderzieher aus. Er berührte dann gern Sittlichkeitsfragen. „Ja, meine lieben jungen Freunde, Botanik ist gut und Naturwissenschaften sind gut. Aber das wichtigste bleibt doch der sittliche Mensch. Ich würde Ihnen gerne davon erzählen, hier jetzt gleich und auch in der Klasse. Sie würden davon mehr haben, als von vielem andrem. Aber ich darf es nicht.“ Dies richtete sich gegen den Direktor, den alten Klöden, der, glaub’ ich, hinter Ruthes Sittlichkeitsanschauungen ein großes Fragezeichen machte. Nun also, Ruthe war ein prächtiger Mann, trotzdem er uns das „Rätsel des Lebens“ immer schuldig blieb, aber wenn ich ihn auch noch mehr geliebt hätte, daß er von der Rudower Wiese nicht los konnte, das war doch etwas Schreckliches für mich. Denn wenn <hi rendition="#g">er</hi> in seiner Köpnickerstraße war und der Rest meiner Kameraden es wenigstens nicht mehr allzuweit bis nach Hause hatte, dann fing für mich das Vergnügen erst an, dann mußt’ ich mit nur <hi rendition="#g">zu</hi> oft wundgelaufenen Füßen – Stiefel, in die meine<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [193/0202]
wurden. Ich war immer gern dabei, was ein klein wenig mit Ruthes Persönlichkeit zusammenhing. Wenn wir auf den Latten einer Dorfkegelbahn saßen und unsre Milch verzehrten, ließ Ruthe, der eine Art Naturmensch war, regelmäßig den Lehrer fallen und spielte sich auf den Rousseauschen Philanthropen und Jugenderzieher aus. Er berührte dann gern Sittlichkeitsfragen. „Ja, meine lieben jungen Freunde, Botanik ist gut und Naturwissenschaften sind gut. Aber das wichtigste bleibt doch der sittliche Mensch. Ich würde Ihnen gerne davon erzählen, hier jetzt gleich und auch in der Klasse. Sie würden davon mehr haben, als von vielem andrem. Aber ich darf es nicht.“ Dies richtete sich gegen den Direktor, den alten Klöden, der, glaub’ ich, hinter Ruthes Sittlichkeitsanschauungen ein großes Fragezeichen machte. Nun also, Ruthe war ein prächtiger Mann, trotzdem er uns das „Rätsel des Lebens“ immer schuldig blieb, aber wenn ich ihn auch noch mehr geliebt hätte, daß er von der Rudower Wiese nicht los konnte, das war doch etwas Schreckliches für mich. Denn wenn er in seiner Köpnickerstraße war und der Rest meiner Kameraden es wenigstens nicht mehr allzuweit bis nach Hause hatte, dann fing für mich das Vergnügen erst an, dann mußt’ ich mit nur zu oft wundgelaufenen Füßen – Stiefel, in die meine
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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