Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.zahlen will, seinen Groschen verliert und nun unter rührender Teilnahme des ganzen Publikums nach diesem Groschen zu suchen beginnt, bis er zuletzt, weil die Abfahrtszeit schon weit überschritten ist, doch wieder heraus und an die Luft muß. Ich war jedesmal, während ich Thränen lachte, doch auch wieder von einem tiefen Mitgefühl mit dem armen Kerl erfüllt, der bis zuletzt die Hoffnung nicht aufgeben wollte. Solche, abwechselnd mit Karikaturen aus dem high life und dann wieder mit Bummlern und Rowdies sich beschäftigenden Geschichten waren seine Spezialität, aber ebenbürtig daneben standen seine Kinder- und Schauspielergeschichten. Wenn ich sage Schauspielergeschichten, so ist das nicht ganz richtig, denn er erzählte nicht etwa die herkömmlichen Theateranekdoten; alles, was er gab, waren vielmehr nur ganz alltägliche Begegnungen mit zur Bühne gehörigen Personen. Mit Berndal war er Jahre lang auf der Schule zusammen gewesen; immer auf derselben Bank, und so nahmen sie sich gegenseitig nichts übel. Jedesmal wenn sie sich trafen und eine Strecke mit einander gingen, sagte Lucae: "Berndal, ich weiß nicht, Du sprichst immer noch so theatermäßig mit mir; sprich doch 'mal wie ein Mensch," worauf dann Berndal mit derselben Regelmäßigkeit antwortete: zahlen will, seinen Groschen verliert und nun unter rührender Teilnahme des ganzen Publikums nach diesem Groschen zu suchen beginnt, bis er zuletzt, weil die Abfahrtszeit schon weit überschritten ist, doch wieder heraus und an die Luft muß. Ich war jedesmal, während ich Thränen lachte, doch auch wieder von einem tiefen Mitgefühl mit dem armen Kerl erfüllt, der bis zuletzt die Hoffnung nicht aufgeben wollte. Solche, abwechselnd mit Karikaturen aus dem high life und dann wieder mit Bummlern und Rowdies sich beschäftigenden Geschichten waren seine Spezialität, aber ebenbürtig daneben standen seine Kinder- und Schauspielergeschichten. Wenn ich sage Schauspielergeschichten, so ist das nicht ganz richtig, denn er erzählte nicht etwa die herkömmlichen Theateranekdoten; alles, was er gab, waren vielmehr nur ganz alltägliche Begegnungen mit zur Bühne gehörigen Personen. Mit Berndal war er Jahre lang auf der Schule zusammen gewesen; immer auf derselben Bank, und so nahmen sie sich gegenseitig nichts übel. Jedesmal wenn sie sich trafen und eine Strecke mit einander gingen, sagte Lucae: „Berndal, ich weiß nicht, Du sprichst immer noch so theatermäßig mit mir; sprich doch ’mal wie ein Mensch,“ worauf dann Berndal mit derselben Regelmäßigkeit antwortete: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0329" n="320"/> zahlen will, seinen Groschen verliert und nun unter rührender Teilnahme des ganzen Publikums nach diesem Groschen zu suchen beginnt, bis er zuletzt, weil die Abfahrtszeit schon weit überschritten ist, doch wieder heraus und an die Luft muß. Ich war jedesmal, während ich Thränen lachte, doch auch wieder von einem tiefen Mitgefühl mit dem armen Kerl erfüllt, der bis zuletzt die Hoffnung nicht aufgeben wollte.</p><lb/> <p>Solche, abwechselnd mit Karikaturen aus dem <hi rendition="#aq">high life</hi> und dann wieder mit Bummlern und Rowdies sich beschäftigenden Geschichten waren seine Spezialität, aber ebenbürtig daneben standen seine Kinder- und Schauspielergeschichten. Wenn ich sage Schauspielergeschichten, so ist das nicht ganz richtig, denn er erzählte nicht etwa die herkömmlichen Theateranekdoten; alles, was er gab, waren vielmehr nur ganz alltägliche Begegnungen mit zur Bühne gehörigen Personen. Mit Berndal war er Jahre lang auf der Schule zusammen gewesen; immer auf derselben Bank, und so nahmen sie sich gegenseitig nichts übel. Jedesmal wenn sie sich trafen und eine Strecke mit einander gingen, sagte Lucae: „Berndal, ich weiß nicht, Du sprichst immer noch so theatermäßig mit mir; sprich doch ’mal wie ein Mensch,“ worauf dann Berndal mit derselben Regelmäßigkeit antwortete:<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [320/0329]
zahlen will, seinen Groschen verliert und nun unter rührender Teilnahme des ganzen Publikums nach diesem Groschen zu suchen beginnt, bis er zuletzt, weil die Abfahrtszeit schon weit überschritten ist, doch wieder heraus und an die Luft muß. Ich war jedesmal, während ich Thränen lachte, doch auch wieder von einem tiefen Mitgefühl mit dem armen Kerl erfüllt, der bis zuletzt die Hoffnung nicht aufgeben wollte.
Solche, abwechselnd mit Karikaturen aus dem high life und dann wieder mit Bummlern und Rowdies sich beschäftigenden Geschichten waren seine Spezialität, aber ebenbürtig daneben standen seine Kinder- und Schauspielergeschichten. Wenn ich sage Schauspielergeschichten, so ist das nicht ganz richtig, denn er erzählte nicht etwa die herkömmlichen Theateranekdoten; alles, was er gab, waren vielmehr nur ganz alltägliche Begegnungen mit zur Bühne gehörigen Personen. Mit Berndal war er Jahre lang auf der Schule zusammen gewesen; immer auf derselben Bank, und so nahmen sie sich gegenseitig nichts übel. Jedesmal wenn sie sich trafen und eine Strecke mit einander gingen, sagte Lucae: „Berndal, ich weiß nicht, Du sprichst immer noch so theatermäßig mit mir; sprich doch ’mal wie ein Mensch,“ worauf dann Berndal mit derselben Regelmäßigkeit antwortete:
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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